„Und wenn ich den Leuten nun erzähle, wer Herr Cornelius Vandergult in Wirklichkeit ist?“
„Dann bringt man dich zur Beobachtung deines Geisteszustandes in eine Irrenanstalt.“
„Also gut,“ sagte Hieronimy. „Du bist jetzt oben; da gibst du mir einen Fusstritt. Das hätte ich mir gleich denken können.“
„Das lügst du. Du weisst genau, dass es eine Lüge ist. Ich trenne mich von dir, weil ich mit einem Verbrecher mein Leben nicht teilen will.“
Er zog die Brieftasche. „Hier hast du fünfhundert Pfund. Wenn du vernünftig bist, kannst du damit irgend etwas anfangen.“
Hieronimy warf einen finsteren Blick auf das Geld. Zögernd nahm er die Hand aus der Tasche; zögernd streckte er sie nach dem Gelde aus. „Wenn du meinst, dass du mich nun los bist, mein Lieber, dann irrst du dich. Du sollst an mich denken, das gebe ich dir schriftlich. Hans Hieronimy lässt sich nicht beiseite schieben. Frag’ mal den dicken Tommy Taylor in Brooklyn. Der wollte es auch so mit mir machen; und dabei bin ich es, der ihm zu seiner Kneipe in der zweiundfünfzigsten Strasse verholfen hat. Sie haben ihn noch gerade aus dem Hudson gefischt; zwei Sekunden später hätte es ihm nichts mehr genützt. Es hat mich drei Jahre Sing Sing gekostet; nun schön.“
„Mach’, dass du fortkommst.“
*
Pünktlich um halb neun am nächsten Morgen richtete der Hotelkellner das tägliche Bad.
„Was gibt es Neues?“
„Ein Herr wartet.“
„Wie heisst er? Was will er?“
„Ein Mr. Higgins. Es scheint etwas Wichtiges zu sein, was er von Ihnen will, Mr. Vandergult. Er ist sehr aufgeregt.“
„Hat er ein anständiges Trinkgeld gegeben?“ erkundigte sich Vandergult lachend.
„Der,“ sagte der Kellner geringschätzig mit einer Daumenbewegung über die Schulter. „Der trägt ja Zugstiefel.“
„Was hat das mit den Stiefeln zu tun?“
„Verzeihung, Mr. Vandergult.“
„Reden Sie nur. Das interessiert mich.“
„Ja, die Sache ist nämlich so. Leute mit Zugstiefeln geben überhaupt keine Trinkgelder.“
„Nanu?“
„Es ist so, Mr. Vandergult. Da können Sie jeden Kollegen fragen. Glauben Sie mir;“ seine weiteren Worte waren unverständlich, denn platschend ergoss sich das Wasser in die Wanne.
Als es wieder ruhig wurde, sagte Vandergult: „Ich habe inzwischen meine Stiefel Revue passieren lassen. Gott sei Dank, es sind keine Zugstiefel darunter. Ich darf also hoffen, dass ich vor Ihren Augen bestehen kann.“
„Oh, Mr. Vandergult! Nehmen Sie mir das offene Wort nicht übel. Es ist mir nur so entschlüpft.“
„Wie kommt es denn, dass Leute mit Zugstiefeln ...“
„Das weiss ich auch nicht. Es ist ein anderer Schlag. Glauben Sie mir, in unserem Beruf lernt man Menschen kennen. Am liebsten sind mir Gäste, die glattrasiert sind wie Mr. Vandergult.“
„Was, damit hat es auch eine besondere Bewandtnis?“
„Aber freilich. Männer mit Vollbärten geben keinen Penny.“
„Das ist ja grossartig.“ — — —
Mr. Higgins, der eine halbe Stunde später in den kleinen Salon eintrat, trug in der Tat Zugstiefel. Er sah Mr. Vandergult mit einem festen Blick aus seinen runden Augen ins Gesicht. Und schob den Hut ein wenig in den Nacken.
„Guten Tag, Mr. Higgins,“ sagte Vandergult. „Wie geht es Ihnen?“
Mr. Higgins schien über derlei belanglose Redensarten erhaben. Er trat auf Vandergult zu — so energisch, dass dieser einen halben Schritt zurückwich, weil er für die Spitzen seiner Lackschuhe fürchtete, und sagte:
„Ich bin der Besitzer des Geländes parallel der London-Brighton-Eisenbahn.“
„Aha.“
„Die London-Brighton-Eisenbahn betreibt die Linien nach der Südküste von England. Das Gelände, das mir gehört, hat einen Wert von dreihundertsiebzigtausend Pfund.“
„Ich gratuliere.“
„Dieser Preis ist allerungünstigst kalkuliert. Mit anderen Worten, er ist spottbillig.“
„Soso.“
„Also eine Frage, Mr. Vandergult: wollen Sie das Gelände kaufen?“
„Nein,“ sagte Vandergult.
Mr. Higgins nickte. „Das habe ich mir gedacht.“
„Na also,“ sagte Vandergult. „Dann sind wir uns ja einig.“
Mr. Higgins steckte die Hände in die Hosentaschen und trat wieder so nahe an Vandergult heran, dass dieser, um seine Lackschuhe in Sicherheit zu bringen, mit dem Rükken gegen die Scheibe prallte. „Sie irren sich, die Tür ist dort drüben. Dies hier ist ein Fenster.“
Mr. Higgins schüttelte den Kopf und legte Vandergult die Hand mit einem Ruck auf die Schulter. „Hören Sie, was ich Ihnen sage. Ich bin Ihnen nicht böse.“
„Sie glauben nicht,“ antwortete Vandergult, „wie glücklich mich Ihre Worte machen.“
„Aber ich möchte trotzdem ein Geschäft mit Ihnen machen. Wollen Sie fünfzigtausend Pfund verdienen, ohne einen Penny zu investieren?“
„Ja,“ sagte Vandergult.
„Hören Sie zu. Die London-Brighton-Eisenbahngesellschaft hat alles Interesse daran, mein Gelände in ihren Besitz zu bringen. Um die Wahrheit zu sagen, sie wird es in soundso viel Jahren unbedingt haben müssen. Aber, das ist eben das Dumme: erst in soundso viel Jahren. Die Gesellschaft weiss: es läuft ihr nicht weg.“
„Die Gesellschaft hat nicht unrecht,“ sagte Vandergult.
„Sie lässt sich Zeit. Darüber kann ich hinwegsterben. Das möchte ich vermeiden.“
„Das begreife ich vollkommen,“ sagte Vandergult.
„Hören Sie zu: Auf dem Bahnhof London Bridge steht eine Lokomotive unter Dampf.“
„Das ist ja hochinteressant.“
„Eine Lokomotive der London-Brighton-Eisenbahngesellschaft auf dem Bahnhof London Bridge. Diese Lokomotive werden Sie mit mir besteigen und eine Fahrt mit mir nach Norwood Junction machen.“
„Was soll ich denn da?“
„Gar nichts. Darauf fahren Sie mit mir wieder nach London Bridge zurück.“
„Und dafür wollen Sie mir fünfzigtausend Pfund bezahlen.“
„Ja.“
„Das ist grossartig,“ sagte Vandergult.
Mr. Higgins nickte und machte den vergeblichen Versuch, Vandergult durch die Mauer hindurchzudrücken. Sie war stärker als er. Enttäuscht wich er zurück.
„Ich werde dafür sorgen, dass der Manager der Eisenbahngesellschaft genau weiss: auf dieser Lokomotive fährt Vandergult. Ich zeige Ihnen während der Fahrt rechts und links mein Terrain. Sie blicken interessiert hinüber und machen sich ein paar Notizen. Verstehen Sie? Die Eisenbahngesellschaft merkt, dass Vandergult auf das Terrain reflektiert. Ein Spekulationsobjekt ersten Ranges für einen Zwischenkäufer — denn wenn die Gesellschaft es in einigen Jahren aus zweiter Hand von Ihnen erwirbt, muss sie vielleicht das Zehnfache bezahlen: Vandergult kann’s abwarten. Was wird sie also tun? Sie wird mir heute nachmittag einen Brief aufs Pult legen mit einem Angebot. Abgemacht? Fünfzigtausend Pfund bei Besteigung der Lokomotive.“
„Hunderttausend