Der Ritt in die Sonne. Paul Rosenhayn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Rosenhayn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711592632
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— achttausend Menschen starrten zu Fritz Jacobsen hinüber.

      Eben wurde die Stute „Minnehaha“ zur Wage geführt. Da flogen, man hörte förmlich das Rauschen dieser einen einzigen vertausendfachten Bewegung — also in diesem Augenblick flogen unzählbare Hüte von den Köpfen, und der Ruf gellte über die Rennbahn von Epsom:

      „Three Cheers for Cornelius Vandergult!“

      Hieronimy und Reimers schnellten entsetzt von ihren Plätzen: Jacobsen nahm den Hut ab und erhob sich blutübergossenen Gesichts. Er öffnete den Mund, vielleicht in der ehrlichen Absicht, die Situation aufzuklären; aber nicht einmal Reimers und Hieronimy vermochten auch nur ein Wort zu verstehen. Denn das allgemeine Gebrüll hatte in verstärktem Masse wieder eingesetzt.

      Dann, niemand vermochte zu sagen, auf wessen Geheiss, begann die Menge zu „Vandergults“ Standort vorzufluten. Barrieren krachten, ein paar verzweifelte Policemen versuchten sich der Strömung entgegenzuwerfen; aber sie waren wie jene kleinen Weidenzweige, die man warnend an seichte Stellen pflanzt: die Wogen rasten um sie herum, und nur durch kluges Biegen vermochten sie dem Umgerissenwerden zu entgehen. Und dann hatten die ersten Spritzer der Flut den Sattelplatz erreicht.

      Wieder erschien ein tausendstimmiges „Cheer“; dann drangen ein paar beherzte Männer über die Barriere und nahmen Fritz Jacobsen alias Cornelius Vandergult auf die Schultern.

      Nun war der Gipfel des allgemeinen Entzückens erreicht. Jacobsen lachte, sträubte sich, versuchte eine Ansprache oder dergleichen; aber nichts hatte Erfolg, nichts drang durch. Ja, er hatte das deutliche Gefühl, dass man jede seiner Gesten falsch verstand.

      Es half nichts. Er musste mitmachen, wohl oder übel. Reimers und Hieronimy versuchten sich zu drücken; aber schon hatte Jacobsen ihren Fluchtversuch bemerkt, und sein beruhigendes Winken versöhnte sie mit der aufregenden und vielleicht nicht ganz gefahrlosen Situation.

      „Wenn hier ein Pferd aus dem Stalle Vandergult gelaufen ist,“ sagte Hieronimy, „dann müssen doch Leute da sein, Stallmeister oder so was, die Vandergult kennen. Also läuft er jede Minute Gefahr, entlarvt zu werden.“

      „Bei diesem entsetzlichen Tumult versteht man sein eigenes Wort nicht,“ lachte Reimers, „wie sollte es da der Stallmeister fertigbringen, sich bemerkbar zu machen?“

      „Auf alle Fälle ist es eine verdammt unangenehme Geschichte. Wenn er schlau ist, benutzt er den nächsten unbewachten Moment, um loszukommen.“

      Aber Jacobsen war nicht schlau. Oder, vielleicht, dass er Geschmack gefunden hatte an diesem Spiel mit der Gefahr. Oder, vielleicht war die Sache einfach so, dass sich der ersehnte Moment trotz allen Hoffens nicht einstellen wollte.

      Der Lordmayor von London begrüsste Mr. Cornelius Vandergult. Und abends gab es ein Galadiner im Cecil-Hotel.

      An der Tête der Tafel sass der gefeierte Gast der Stadt London, Cornelius Vandergult, bisher genannt Fritz Jacobsen; und ihm gegenüber am Ende der Tafel sass ein Herr, der ihm lächelnd mit dem Sektglas zuprostete, und dem man den Stolz ansah über die Ehre, dem reichsten Mann der Welt und dem Sieger von Epsom zutrinken zu dürfen.

      Das war der Prinz William von Battenberg.

      Während Cornelius Vandergult die Grape-Fruit verzehrte, die ihm die Viscountess Jermyn, seine Nachbarin zur Linken, mit ihren schlanken Händen bereitete, lief ein neues Telegramm ein: für Mr. Cornelius Vandergult. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er die erste Depesche noch uneröffnet in der Brieftasche trug.

      Er riss beide auf: mit dem Dessertmesser, das ihm die Prinzess Royal Maud, seine Nachbarin zur Rechten, liebenswürdig reichte.

      Beide waren vom Bankhaus I. C. Rothermel in Berlin. In dem ersten fragte er, Rothermel, an, ob Herr Vandergult geneigt sei, seinen Anteil an der Filmfabrik des Herrn Oskar Richwald zu verkaufen, selbstverständlich mit entsprechendem Nutzen. Und ob Mr. Vandergult weiter geneigt sei, ihn, Rothermel, zum Sachwalter für die Durchführung dieses Geschäfts zu ernennen. Das Gerücht, dass sich das Haus Vandergult an der Richwaldschen Filmfabrik beteiligt habe, habe die Aufmerksamkeit der Börse begreiflicherweise auf dieses Unternehmen gelenkt. Die Finanzwelt vermute hier ganz besondere Chancen — ein Vandergult wisse schon, was er tue!

      Und in dem zweiten Telegramm drahtete Herr Rothermel: Da er noch keine Antwort empfangen habe, so sehe er, dass sein erstes Telegramm zu wenig konkret gewesen sei. Also klipp und klar: es liege ein Angebot vor, Herrn Vandergult seinen Anteil in Höhe von fünfzigtausend Dollars gegen eine sofortige Zahlung von einer halben Million Dollars abzukaufen. Um Antwort werde ergebenst gebeten.

      Darauf liess sich Fritz Jacobsen von der Viscountess Jermyn ein Blatt Papier und von der Prinzess Royal Maud einen Bleistift geben und schrieb:

      „Einverstanden.“

      Hierauf reckte er den Arm nach hinten, und jemand kam mit einer devoten Verbeugung, nahm ihm das Telegramm ab und versprach absolut sofortige Beförderung.

      Das war der Präsident des Königlichen Rennklubs.

      Als Fritz Jacobsen spät in der Nacht den Hotelkorridor entlangschritt, öffnete sich behutsam die Tür des Zimmers, das neben dem seinigen lag. Heraus trat auf den Zehenspitzen ein Mann.

      Es war Hieronimy.

      „Was hast du da gemacht?“

      In Hieronimys Gesicht stieg Verlegenheit auf, aber unter dem strafenden Blick des Freundes mochte sie sich in herausfordernden Trotz verwandeln.

      Er öffnete die Hand. Eine Brillantbrosche blitzte darin.

      „Hast du die gestohlen?“

      „Aber feste.“

      „Wer wohnt hier?“

      Hieronimy zuckte, verdrossen widerstrebend, die Achseln. „Die Gräfin Demidow.“

      „Augenblicklich legst du diese Brosche wieder da hin, wo du sie hergenommen hast.“

      Hieronimy trat einen Schritt zurück und mass Jacobsen von oben bis unten mit einem bösen Blick. „Sag’ mal, sprichst du eigentlich im Ernst, oder machst du Ulk?“

      „Ich spreche im Ernst,“ antwortete Jacobsen drohend, „Bringe den Schmuck zurück, sage ich dir.“

      Hieronimy schlug eine Lache an. „Und das sagst du — ein Schwindler?“

      Eine Blutwelle stieg Jacobsen ins Gesicht. Eine schwere und drohende Pause legte sich zwischen die beiden.

      „Ich bin kein Schwindler,“ sagte Jacobsen endlich. „Ich habe kein Wort der Unwahrheit gesprochen, ich habe niemals behauptet, Vandergult zu sein. Man hat mich in diese Dinge hineingedrängt. Gegen meinen Willen. Das weiss keiner so genau wie du.“

      Wieder lachte Hieronimy auf. Das brachte Jacobsens Blut in Wallung; er packte jenen bei der Schulter, um ihm den Schmuck zu entwinden.

      Ein Schritt klang auf. Es war eine Dame, die einen erstaunten Blick auf die beiden warf und plötzlich befremdet stehenblieb. „Was suchen Sie in meinen Zimmern?“

      „Sind Sie die Gräfin Demidow?“ fragte Jacobsen.

      „Allerdings.“

      „Ich habe einen Dieb abgefasst — sehen Sie hier.“

      „Das ist mein Eigentum.“

      „Bestimmen Sie, was mit diesem Mann geschehen soll, Frau Gräfin.“

      „Lassen Sie ihn laufen. Er wird schon einmal an den Unrechten kommen,“ sagte die Gräfin. „Lassen Sie ihn laufen. Und haben Sie vielen Dank, mein Herr.“

      Hieronimy ging den Korridor hinunter, dem Ausgang entgegen, seinen Zimmern zu. Jacobsen holte ihn mit ein paar schnellen Schritten ein. „Du packst deine Sachen und verlässt augenblicklich das Hotel. Mit einem Verbrecher habe ich nichts gemein.“

      Hieronimy richtete seine dunklen, glänzenden Augen auf den Weggenossen, der ihm so unvermittelt den Abschied gab — aus Gründen, die er nicht begriff, die ihm ein Vorwand dünkten,