Die Henkerin. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461372
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Ich, fuhr sie fort, würde ihnen eigenhändig bei lebendigem Leib die Haut abziehen, und alle Mütter würden mir dafür die Hände küssen. Schade, daß ich kein Mann bin!

      Ihr Mann hob zum Protest immerhin schlaff die Hand. Zufällig war es die Hand mit dem Glas. Der Professor hob sofort das seine, bis Glas an Glas klang.

      – Richtig, Herr Doktor, sagte er bewundernd, da kann man nur auf das Wohl Ihrer Gattin trinken.

      Doktor Tachecí stand auf, trank aus und setzte sich, ohne sich erklären zu können, warum. Die anderen blieben stehen.

      – Gnädige Frau, sagte Professor Wolf, so denkt wohl jede normale Frau, aber kaum eine getraut sich, es auszusprechen. Es waren ja auch Frauen, die den harten Kern des ständigen Publikums vor der Guillotine bildeten, wie zeitgenössische Radierungen bezeugen. Doch selbst die Französische Revolution, die Exekutionen zu Volksfesten erhob, hat das allergrößte Unrecht nicht beseitigt; die Gleichberechtigung ist einer einzigen menschlichen Tätigkeit nicht zuteil geworden, und just der, bei der ein Mensch am meisten Mensch ist. Noch zweihundert Jahre lang, bis –

      Professor Wolf verlor allmählich seine kühle Gemessenheit und begann einem romantischen Dichter zu ähneln,

      – zum heutigen Tage, blieb das Privileg der gesetzlichen Vergeltung unlogischerweise dem Manne vorbehalten. Der Frau wurde nicht nur verwehrt, in den Strafvollzug ihre Kaltblütigkeit und Gewitztheit einzubringen, sie durfte überdies, wenn sie selbst ihr Leben verwirkt hatte, den Tod nicht aus weiblicher Hand empfangen. Welche Ungerechtigkeit und –

      Professor Wolf suchte einen Moment lang nach dem richtigen Wort,

      – Rückständigkeit in einer Zeit, da Frauen Raumschiffe lenken und Kriege führen. Um so größer soll unsere Freude sein, daß wir vier es sind, die als erste den Anbruch einer modernen Ära begrüßen dürfen. Dank sei den Aufgeklärten, die diesem Gedanken ihr ganzes Leben geweiht haben ...

      – Dank sei Ihnen, Herr Professor! warf Dozent Schimssa ein.

      – Nein, nein, Kollege, sagte Professor Wolf bewegt, aber kategorisch, wir sind nur die Schiffsjungen toter Kapitäne. Sie haben das Ziel bestimmt, uns ist es nur vergönnt, vom Mastkorb aus ›Land!‹ zu rufen. Unser Beruf hat zum erstenmal in der Geschichte eine würdige Stätte gefunden, wo er sich unter den gleichen Bedingungen entwickeln kann wie viel, viel jüngere Berufe. Mehr noch: Nach dem 21.Januar 1790, als die französische Nationalversammlung die Exekutionsgleichheit deklarierte, wird der heutige Tag in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem die Gleichheit der Vollstreckungsbeamten eingeführt wurde. Hier haben wir sie! –

      rief er herzlich aus, als sich die Tür öffnete und Lízinka eintrat, den blassen Teint von der überstandenen Anspannung rosig überhaucht,

      – hier ist sie, unsere zukünftige erste Vollstreckerin und aller Wahrscheinlichkeit nach die erste

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      Henkerin der Welt!

      Die letzten Worte hörte Frau Tachecí nicht mehr, weil sie sie gar nicht zu hören brauchte. Von Rührung überwältigt, ging sie auf ihre Tochter zu, umarmte sie und drückte ihr Gesichtchen an den vollen Busen.

      – Du mein Lízikind, sagte sie unter Tränen, mein Goldschatz, du ahnst ja nicht, wie glücklich ich bin!

      Professor Wolf bedeutete Dozent Schimssa, erneut die Gläser zu füllen.

      – Na, Herr Doktor, sagte er, das ist doch ein Grund zum Trinken!

      Doktor Tachecí begann zu lachen.

      – Das ist gelungen! sagte er, das ist Ihnen gelungen! Das ist Ihnen aber wirklich gelungen!

      Er lachte immer lauter, bis er einen Schluckauf bekam. Obwohl sich sein Gesichtsausdruck nicht veränderte, sah es aus, als weinte er.

      Dozent Schimssa ging auf ihn zu, offenbar in der Absicht, ihm den Rücken zu klopfen. Doch der Professor war schneller. Er hielt seine Hand fest und sagte warnend:

      – Nicht, Kollege, lieber nicht ...

      Schimssa warf unwillkürlich einen Blick auf die eigene Hand, deren scharfe Kanten die Karateausbildung verrieten, und nickte verstehend. Dorktor Tachecí schluchzte und weinte vor Lachen. Endlich merkte er, daß ihm der Erstickungstod drohte, und er versuchte aufzustehen. Er wartete, bis der schwankende Raum sich stabilisierte, dann konzentrierte er sich darauf, durch den Engpaß zwischen den zwei karminroten Sakkos in die Diele zu gelangen.

      Einen Moment lang verwirrte es ihn, daß er sich in einer Winterlandschaft voller rodelnder Kinder befand, bevor ihm klar wurde, daß er die Stirn an den Rahmen eines Bildes gelehnt hatte. Er schloß die Augen und schob den Kopf weiter, bis er die Wand des Ganges spürte, die ihn sicher wie ein Schienenstrang ins Bad führte.

      Dort zog er das Jackett aus und hängte es dicht neben den Kleiderhaken. Dann schob er die Krawatte sorgfältig bis auf den Rücken, um sie nicht naß zu machen, beugte sich über die Wanne und drehte tastend den Hahn der Dusche auf. Als der kalte Wasserstrahl ihn wohltuend ins Genick traf, öffnete er die Augen. Er erblickte ein anderes Bild, diesmal ein Stilleben, eine ›nature morte‹ mit Huhn und Karpfen. Während ihm das Wasser über die Krawatte in die Hose rann, versuchte er sich angestrengt zu erinnern, wer es gemalt hatte und wie es in die Badewanne gekommen war. Schließlich begriff er: Das war kein Bild, sondern wirklich.

      8

      ein toter Karpfen und tatsächlich ein geschlachtetes Huhn.

      – Hinaus! rief Doktor Tachecí, als er wieder auf der Schwelle des Wohnzimmers erschien. Aus Haaren, Hemd und Hose tropfte Wasser, ansonsten sah er erstaunlich nüchtern aus. Lízinka saß artig auf dem Stuhl ihrer Mutter, die das Hochzeitskaffeeservice auf den Tisch gestellt hatte und nun den Marmorkuchen anschnitt.

      – Um Gottes willen, Emil, sagte Frau Tachecí entsetzt, wieso ... Was hast du da in der Hand?

      – Ein Huhn, sagte ihr Mann, schweig! Sie sind Professor? fragte er Wolf.

      – Allerdings, Herr Doktor, sagte Wolf.

      – Was für ein Professor? fragte Doktor Tachecí.

      – Ich bin der Professor der Exekutionswissenschaft Wolf, und dies ist der Dozent der Exekutionswissenschaft Schimssa.

      – Ihr seid Henker! sagte Doktor Tachecí zürnend.

      – Unsere Diplome, Herr Doktor, sagte Professor Wolf würdevoll, sind ebenso gültig wie das Ihre.

      – Ihr seid Henker! rief Doktor Tachecí, und kommt von der Arbeit!

      – Emil, besinn dich! rief seine Frau.

      – Sei still! schrie ihr Mann. Und Sie wagen mir vorzuschlagen, meine Tochter soll Menschen morden?

      Professor Wolf erhob sich. Jetzt ähnelte er weder einem Landarzt noch einem romantischen Dichter. Der Farbe seines Sakkos entströmte Blutgeruch. Er drohte in der nächsten Sekunde zu explodieren, und das Staatswappen verlieh seinem Zorn übermenschliches Format.

      Doktor Tachecí erschrak jedoch nicht. Er war im kritischen Moment endlich zum Vater herangereift, und die Verteidigung des eigenen Nachwuchses flößt größere Kräfte ein als das Staatsinteresse. Obwohl er sich noch nie mit jemandem geschlagen hatte, war er bereit, auf den Widersacher mit dem toten Huhn einzudreschen.

      Wolf war ein zu guter Psychologe, um dies nicht zu merken. Er besann sich anders und strebte zum Bücherschrank.

      – Sie gestatten? fragte er kurz; und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er das zweite von acht Büchern heraus, deren Rücken ein weithin sichtbares Ganzes bildeten.

      – Ich könnte eine Reihe von Koryphäen meines Berufes zitieren, sagte er dann, aber ich beschränke mich auf diejenigen, die Sie anerkennen, Herr Doktor. Alexander Dumas würden Sie gewiß nicht beschuldigen, es auf die Seele Ihrer Tochter abgesehen zu haben. Überzeugen wir uns also, was er auf Seite 381 des zweiten Teils der ›Drei Musketiere‹ sagt: »Als