– Kenne ich nicht, sagte der Angerufene.
Doktor Tachecí spürte, wie er rot wurde. Just solche herrischen Stimmen bewirkten, daß er sich beim Schlangestehen überholen und beim Wiegen übervorteilen ließ, daß er protestlos Gänseblut aß, das man ihm statt Gänseleber brachte, und widerspruchslos die Konfetti bezahlte, die man ihm statt Konfekt eingepackt hatte. Es fehlte nicht viel, und er hätte eine Entschuldigung gestammelt und aufgelegt. Doch die peinigende Vorstellung, dadurch ausgerechnet dieser Stimme seine vergötterte Frau auszuliefern, peitschte ihn zu unerhörtem Mut auf.
– Verzeihung, sagte er, ich rufe wegen meiner Tochter an.
– Welcher Tochter? fragte der Angerufene.
– Wegen meiner Tochter Lízinka, fuhr Doktor Tachecí fort und schloß die Augen wie beim Sprung in einen Abgrund, sie war gestern mit meiner Frau bei der Kommission, und man hat ihnen diese Nummer gegeben.
– Wie ist Ihre? fragte der Angerufene.
– 271425, sagte Doktor Tachecí gehorsam, Nebenstelle 15.
– Legen Sie auf, sagte der Angerufene, ich rufe zurück.
Ein Klicken verriet, daß er aufgelegt hatte. Doktor Tachecí tat ein gleiches und blieb sitzen, von der eigenen Courage gelähmt. Unmittelbar darauf öffnete er die Augen und sah ein, daß er nicht nur nichts erreicht hatte, sondern auch nicht wußte, wann man ihn anrufen würde, so daß er trotz seines Erfolgs zu Hause nichts würde mitzuteilen haben. Das Telefon schwieg. Blieb nur noch eines, nämlich erneut anzurufen, was über seine Kräfte ging. Aber sein wissenschaftlich funktionierendes Gehirn, gewöhnt, nur erwiesene Fakten zu verarbeiten, strahlte plötzlich ein lebendes Bild aus: Er sah seine Frau, nackt und begehrenswert, abermals ins Gras sinken, diesmal unter dem Gewicht eines fremden eroberungslüsternen Körpers. Er griff augenblicklich nach dem Hörer. Da klingelte der Apparat.
– Hier Professor Wolf, sagte die bekannte Stimme; sie klang jetzt freundlich, nahezu freundschaftlich. Verzeihung, ich mußte das erst überprüfen. Sie haben also eine Tochter. Würden Sie sagen, daß sie Vertrauen erweckt?
– Ich glaube, ja, sagte Doktor Tachecí. Sie hat jedes Jahr unter dem Weihnachtsbaum gesammelt.
– Ist sie für öffentliches Auftreten geeignet? fragte Professor Wolf.
– Ich denke schon, sagte Doktor Tachecí. Bei Schulfesten hat sie immer das Dornröschen gespielt.
– Darf ich daraus schließen, daß sie über ein angenehmes Äußeres verfügt? fragte Professor Wolf.
– Ich glaube, ja, sagte Doktor Tachecí.
– Und in etwa phlegmatischer Natur ist? fragte Professor Wolf.
– Ich glaube, ja, sagte Doktor Tachecí.
– Und ist sie, Herr Doktor, fragte Professor Wolf, ein Mädchen, dem man gern in einer unangenehmen Situation begegnen möchte, sagen wir beim Zahnarzt?
– Das weiß ich nicht, sagte Doktor Tachecí wahrheitsgemäß.
– Sie meinen nicht? fragte Professor Wolf beunruhigt.
– Ich weiß nicht, wiederholte Doktor Tachecí, ich war noch nie beim Zahnarzt.
– Da gratuliere ich Ihnen, sagte Professor Wolf erleichtert auflachend, Zahnärzte sind schlimmer als Mörder. Meiner ausgenommen. Sie schließen also nicht aus, daß Ihr Töchterchen beim Zahnarzt einen beruhigenden Eindruck machen würde?
– Das schließe ich gewiß nicht aus, sagte Doktor Tachecí.
– Das ist ja großartig, sagte Professor Wolf, großartig!
– Allerdings, sagte Doktor Tachecí, ist uns nicht ganz klar, um welchen Beruf es sich eigentlich handelt. Deshalb hat meine Frau mich gebeten, mich mit Ihnen zu treffen.
– Treffen müssen wir uns vor allem mit dem Fräulein Tochter, sagte Professor Wolf, um sie einer Prüfung zu unterziehen.
– Dürfte ich wissen, auf welchem Gebiet? fragte Doktor Tachecí, damit sie sich ein bißchen vorbereiten könnte ...
– Nicht nötig, sagte Professor Wolf, es handelt sich lediglich um einen psychotechnischen Test.
– Wohin sollen wir also mit ihr kommen? fragte Doktor Tachecí.
– Haben Sie ein Bad? fragte Professor Wolf.
– Ich glaube, ja, sagte Doktor Tachecí überrascht und korrigierte sich sofort, ja, bestimmt haben wir eins.
– Wir kommen lieber zu Ihnen, sagte Professor Wolf, im häuslichen Milieu wird sie sich wohler fühlen, und wir können alles in Ruhe besprechen. Paßt es Ihnen morgen um 14.30 Uhr?
– Morgen ist Samstag, sagte Doktor Tachecí.
– Wir arbeiten vornehmlich samstags, sagte Professor Wolf. Richten Sie der Frau Gemahlin eine freundliche Empfehlung aus, und das Töchterchen soll beruhigt schlafen. Wenn sie ein normales junges und gesundes Mädchen ist, dann schafft sie das mit einer
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Hand.
– Und wenn es zwei sind? fragte Frau Tachecí. Wie willst du die Flasche teilen?
– Sie werden sie eben gemeinsam hier austrinken, sagte ihr Mann.
– Du hast phantastische Vorstellungen von Bestechung! sagte seine Frau.
Sie saßen im Eckwohnzimmer, zu qualvollem Warten verurteilt. Frau Tachecí rauchte nervös und zuckerte ab und zu den Marmorkuchen nach. Doktor Tachecí ging seine Alben durch und reinigte voll Sorgfalt häufig die Lupe. Lízinka beobachtete eine Fliege auf der Fensterscheibe. Schloß sie das rechte Auge, so erklomm die Fliege den Transformator. Schloß sie das linke Auge, so krabbelte die Fliege über den Feldweg. Ließ sie beide Augen offen und schielte ein wenig, so sah sie zwei Fliegen, dafür verschwammen Transformator und Feldweg.
– Wenn jemand zu mir sagt, wir kommen, dann frage ich, wer! sagte Frau Tachecí.
– Ich dachte, er spricht im Pluralis majestatis, sagte ihr Mann.
– Heilige Einfalt! sagte seine Frau. Mein Gott, möchtest du nicht endlich diese albernen Briefmarken lassen?
Nach der am Donnerstag gemachten Erfahrung hatte sie ein graues Sackkleid inländischer Erzeugung an, das Taille, Busen und Hals kaschierte.
– Verzeih, sagte ihr Mann überrascht, ich hatte keine Ahnung, daß dich das stört.
Er hatte den englischen, aus dem Nachlaß seines Vaters stammenden und umgearbeiteten Anzug an, den er seit Jahren zum samstäglichen Tee trug.
– Es stört mich erst seit ungefähr fünfzehn Jahren, sagte seine Frau. Lízinka, schiel nicht!
Lízinka hörte auf, die Fliege anzuschielen. Sie hatte einen langen Rock von der Farbe ihres Haars an und ein weißes Blüschen, das sich rührend über den winzigen Brüsten bauschte.
Frau Tachecí zuckerte den Marmorkuchen nach und zündete sich eine neue Zigarette an.
– Solltest du nicht weniger rauchen? fragte Doktor Tachecí besorgt.
– Das ist der einzige Luxus, den sich deine Frau leisten kann, sagte Frau Tachecí.
– Ich dachte nur, wenn er zufällig Nichtraucher sein sollte, sagte ihr Mann kleinlaut.
– Glaubst du? erschrak sie, drückte die Zigarette aus, öffnete beide Fensterflügel und half dem Rauch mit den Händen nach. Dabei warf sie einen Blick auf die Uhr.
– Eine Minute nach halb, sagte sie beunruhigt.
– Eine Minute vor halb, sagte ihr Mann beruhigend.
Von irgendwoher erklang das Zeitzeichen und gleichzeitig die leise Wohnungsklingel. Frau Tachecí ergriff den Aschenbecher und leert ihn zum Fenster hinaus.
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