Die Henkerin. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461372
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Man hat sie nicht in die höhere Schule aufgenommen, sagte Frau Lucie, sie schien ihnen entweder zu schön oder zu gescheit.

      – Wozu braucht sie dann die höhere Schule? fragte Oskar.

      – Ich will, daß sie etwas wird, sagte Frau Lucie, ich will nicht, daß es ihr so ergeht wie mir.

      – Lucie ... sagte Doktor Tachecí vom Bad her.

      – Höhere Schule, sagte Oskar, Herrschaft, wer wäre da ... Wer hat mir da ... Moment, da gibt es doch so eine Kommission ... Sekunde, Krümelchen ...

      – Das hast du schon lange nicht mehr zu mir gesagt, sagte Frau Lucie.

      – Was? Ja so, entschuldige, ich sag’s auch nicht zu dir.

      – Schade, sagte Frau Lucie.

      – Hat es eine Woche Zeit? fragte Oskar, bis ich aus den Bergen zurück bin? Wir könnten dann alles auf einmal erledigen.

      – Kannst du mir wenigstens die Kommission nennen?

      – Ja so, sagte Oskar, ich weiß schon. Städtische Berufsberatungskommission. Der Name des Vorsitzenden ist mir entfallen, aber du kannst dich ruhig auf mich berufen, ich habe ihm ein Hausboot besorgt.

      – Dann beschränke ich mich einstweilen auf ein Danke, Ossi, sagte Frau Lucie, und geh, damit du dich nicht erkältest.

      – Woher weißt du das? fragte Oskar.

      – Versteht sich doch, sagte Frau Lucie, sag Krümelchen, deine Tante habe angerufen. Fröhliche Ostern, Ossi!

      Sie legte den Hörer auf und die strahlende Miene zugleich ab. Vom Bad her ließ Doktor Tachecí sich vernehmen:

      – Lucie, wer war das?

      – Ein Mensch, sagte Frau Tachecí, der mich einmal heiraten wollte. Du gestattest?

      Ihr Mann trat zurück, damit sie wieder ins Bad konnte.

      – Warum rufst du ausgerechnet den an? fragte er.

      – Das kann ich dir sagen, erwiderte seine Frau, wäre ich vor sechzehn Jahren nicht so strohdumm gewesen, dann wäre Lízinkas Vater heute

      2

      er!

      – Schon möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, sagte trocken der Vorsitzende der Berufsberatungskommission, und es war vielleicht sogar jenes Hausboot, weswegen mein Vorgänger dieses Amt fristlos aufgeben mußte.

      Für Frau Tachecí war dies der letzte Beweis, daß Lízinkas Sache unter keinem guten Stern stand. Schon am Dienstag nach Ostern war sie von der Benachrichtigung erschüttert worden, daß sie ordnungshalber erst am Donnerstag vorsprechen konnten. Oskar sumpfte in den Bergen herum, ihrem Mann konnte sie mit so etwas nicht kommen, sie hatte sich also aufs Bett gelegt und Erschöpfung vorgetäuscht. Dies hatte bei ihrem Temperament so viel Beherrschung erfordert, daß sie am Mittwoch einem Zusammenbruch nahe war. Nur die Liebe zu Lízinka und das Wissen, daß Doktor Tachecí sich im Amtsverkehr wie ein überführter Verbrecher benahm, hatten sie am Donnerstag abermals in den tristen Korridor vor den Raum getrieben, aus dem gedämpft das Weinen erfolgloser Schüler und das Geschrei gekränkter Väter drangen.

      Erfahrung und Gewohnheit hatten sie gezwungen, sorgsam zu überlegen, wie sie und Lízinka sich am passendsten kleiden sollten. Das gesteckte Ziel riet zur Kaschierung sämtlicher Vorzüge, wie stets, wenn man sich mehr aufs Bitten denn aufs Fordern verlegen muß, und unbedingt immer dann, wenn man es mit einer Frau zu tun bekommt. Partner sollte jedoch ein Mann sein, überdies der Freund eines Mannes, der, wie sie wußte, weibliche Schönheit krankhaft vergötterte. Deshalb hatte sie auf die stärkste Karte gesetzt.

      Sie trug ein enganliegendes, buntgemustertes Modellkleid aus Frankreich, das ihre schmale Taille, den vollen Busen und den schlanken Hals betonte. Für Línzinka hatte sie ein weißes, ärmelloses Minikleid gewählt, in einem Farbton, wie er dem Schnee vor Sonnenaufgang eignet.

      Jetzt stellte sie bestürzt fest, daß ein Nonnengewand eher angebracht gewesen wäre.

      Vorsitzender der Kommission war gegenwärtig ein Mann, der sich seiner undankbaren Funktion über Jahre hinweg angepaßt hatte wie ein mittelalterlicher Krieger der Rüstung. Sein kinnbärtiger Kopf, der auf dem robusten Körper saß, als bedürfe er keines Halses, erhöhte den Eindruck von Unverwundbarkeit. Die weißen Finger verrieten Frau Tachecí den Nichtraucher, die leicht miefige Kleidung den Junggesellen. Sie erkannte, daß er keinerlei Leidenschaften frönte, kein Schmiergeld brauchte und Frauen fürchtete.

      Außer ihm war eine Sekretärin da, eine ältere, knochige Person, die sie beide scharf musterte, angewidert die Augen abwandte und auf ihrem Notizblock eine Reihe von Kreuzchen zu kritzeln begann. All dies sagte Frau Tachecí, daß sie sich hier für ihr gescheitertes Leben schadlos hielt, indem sie sich am Scheitern anderer weidete, zu dem sie kräftig beitrug.

      Der Vorsitzende blickte nicht einmal auf. Er hatte schon allzu viele niedergeschlagene Gesichter gesehen, um sie unterscheiden zu können; bei dieser Massenabfertigung konnte er sich den Luxus der Anteilnahme gar nicht leisten. Nachdem er seinen Vorgänger mit dem einen Satz zu Grabe getragen hatte, deutete er mit dem Handrücken auf freie Stühle, schlug Lízinkas Akte auf und schüttelte ablehnend den Kopf.

      – Konservatorium natürlich ... Gymnasium, natürlich, natürlich –

      sagte er fast angeekelt,

      – einfach um jeden Preis Abitur, ob es dazu reicht oder nicht. Also, kurzum, liebe Frau: Von den Schulen mit Reifeabschluß bleibt hier nur die höhere Musikschule für sichtbehinderte Jugendliche, aber davon kann bei ihr, wie ich dem ärztlichen Gutachten entnehme, leider keine Rede sein. Dem Abitur können Sie also adieu sagen, liebe Frau, und Gott danken. Wenn Sie und Ihr Mann –

      fuhr der Vorsitzende der Kommission fort,

      – sie wirklich lieben, dann trachten Sie danach, ihr eine Fachausbildung zu sichern, solange noch Zeit ist. Handwerk hat nach wie vor goldenen Boden, und aufs Konservatorium zu gelangen, ist einfach ein Kinderspiel, gemessen daran, auf eine Fachschule für Stewardessen oder Friseusen zu kommen. Schlagen Sie sich das also einfach aus dem Kopf und seien Sie froh! Warum soll ein so junges und gesundes Mädchen –

      fuhr der Vorsitzende der Kommission fort, ohne den Blick zu heben,

      – sein Leben mit Fönwellen verpulvern oder in der Luft verpuffen lassen, wenn ihr zum Beispiel so eine Fachlehranstalt für Gartenbau das ganze Jahr über festen Boden unter den Füßen und frische Luft bietet. Also?

      – Aber sie ... ist kälteempfindlich ... sagte Frau Tachecí.

      Der Überraschungsangriff hatte bewirkt, daß ihr nichts Besseres einfiel.

      – Natürlich, sagte der Vorsitzende herablassend. Aber was tut’s! Es gibt interessantere Berufe, als bei Regen und Matsch Kohlrabi setzen und häufeln; wenn sie einfach wärmefreudig ist, dann weiß ich nichts Besseres als eine Fachlehranstalt für das Bäckereiwesen. Also?

      – Sie verträgt auch keine Wärme ... sagte Frau Tachecí zutiefst deprimiert.

      – Natürlich, natürlich, sagte der Vorsitzende befriedigt, weil er sich dem Ziel nahe wähnte, na, macht auch nichts. Warum soll sie winters wie sommers für ein paar Kröten um drei Uhr früh aufstehen, zumal ihr so eine landwirtschaftliche Lehranstalt mit dem Zweig Großmästereien automatisierte Arbeit bei Vollklimatisierung bietet. Und, wird sie nach Schulabschluß direkt auf dem Land eingesetzt, sogar Haus und Mitgift, was einfach praktisch auf einen Bräutigam hinausläuft. Also abgemacht?

      Mit geübter Bewegung hielt er der Sekretärin Daumen und Zeigefinger hin, und sie legte in die Lücke dazwischen genauso mechanisch ein Formular.

      – Großer Gott, sagte Frau Tachecí, einer Ohnmacht nahe, großer Gott, kann man sie denn zu Schweinen schicken?

      Hätte sie geschrien, gedroht oder geweint, er hätte es gar nicht wahrgenommen, doch da sie mit sonderbar erstickter Stimme flüsterte, als sei der angerufene Allmächtige ebenfalls