– Praktisch, sagte Wolf ebenso liebenswürdig wie vorhin, stelle ich mir vor, daß wir ihn nicht zweimal wöchentlich nach Vereinbarung bestellen, sondern fest verpflichten.
– Und kannst du mir verraten, fragte der Staatsanwalt abweisend, was er den Rest der Woche machen soll?
– Du erinnerst mich, Olda, antwortete Wolf und dosierte mit der Vorsicht eines Apothekers sein Gift, an die Leute, die den Schauspieler fragen, was er tagsüber tut. Vor drei Jahren schien es noch ganz in Ordnung zu sein, daß der oberste Scharfrichter des Staates auf der Lohnliste als Chauffeur fungierte und Vollstreckungen ihm vermittels eines Koeffizienten als Kilometergeld angerechnet wurden. Es war ja euer Gremium, das über die eigene Nasenspitze hinausgesehen und mir den Status eines selbständigen Referenten mit Sonderprämien verliehen hat. Allerdings ändert keine bürokratische Charge etwas daran, daß ich Henker bin und bleibe und mein sogenannter Sekretär Karli mein Gehilfe oder meinetwegen auch Knecht bleibt, denn nur Putzfrauen lassen sich Raumpflegerinnen titulieren, wir aber werden nie jemandem zum Gespött werden. Sagt also auch ihr B und bewilligt mir einen Lehrling, der in keinem Henkerhaus gefehlt hat, denn das Scharfrichteramt ist kein Handwerk wie etwa die Metzgerei, sondern eine Wissenschaft mit eigenen Gesetzen und Zweigen, eigenen Klassikern und Erfindern und nicht zuletzt mit eigener Literatur.
– So etwas wie ›Die Denkwürdigkeiten‹ von Henri Sanson? fragte der Verteidiger beflissen, die habe auch ich gelesen.
– Die Memoiren der französischen Kollegen, sagte Wolf herablassend, und ebenso die tschechischen ›Erinnerungen der Henkersfamilie Mydlář‹ würde ich dem Schimssa nicht weniger verschämt anbieten als einem Philosophiestudenten die Fibel. Schimssas Studienplan, und ich betone gleich –
fuhr Wolf fort, nunmehr völlig Herr der Lage,
– nur auf dem Gebiet der Literatur, wobei ich Jurisprudenz, Anatomie und andere Hauptfächer auslasse, würde anfangs enzyklopädische Werke umfassen, von der grundlegenden Arbeit des Cesare Beccaria ›Über Delikte und Strafen‹ vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum zweibändigen Werk ›Die Strafe‹, Verfasser von Hentig, auf das die gegenwärtige Generation schwört, später eine Reihe von Studien zum Thema, wie etwa ›Die Pfählung‹ von Siegmund Stiassny, Kershaws ›La Guillotine‹ oder Rolphs ›Hanged by the Neck‹, und schließlich wissenschaftlich orientierte und deshalb unerläßliche Schriften wie beispielsweise Schlabows ›Archeologitscheskoje obsledovanije dvuch trupov is balot‹, also ›Die archäologische Untersuchung der zwei Moorleichenfunde‹. Einen selbständigen Studienzweig würde die kritische Analyse jener Bücher bilden, die ich ironisch »Libri anti-henkeri« nenne, verfaßt von moralisch defekten Graphomanen wie Camus und anderen Gegnern der Todesstrafe. Stellvertretend für viele genügt es, die ›Maria Stuart‹ des Herrn Stefan Zweig aufzuschlagen, und schon brodelt einem ein Text entgegen, der amoralisch, beleidigend, dekadent und frech ist, mit einem Wort –
fuhr Wolf fort und kniff die Augen zusammen, um die von seinem fotografischen Gedächtnis projizierte Passage deutlicher zu erkennen,
– jüdisch: »Niemals kann – und hier lügen alle Bücher und Berichte
– die Hinrichtung eines lebenden Menschen romantisch und rein ergreifend sein. Immer wird der Tod durch das Henkerbeil zum gräßlichen Schrecknis und zur niedrigen Schlächterei. Der erste Hieb des Scharfrichters hat schlecht getroffen, nicht durch den Nacken ist er gefahren, sondern stumpf auf das Hinterhaupt. Ein Röcheln, ein Stöhnen bricht erstickt aus dem Munde der Gemarterten, aber nicht laut. Der zweite Schlag fährt tief in den Nacken und läßt das Blut grell aufspritzen. Aber erst der dritte löst das Haupt vom Rumpf. Und abermalige Gräßlichkeit: als der Henker das Haupt an den Haaren aufheben und zeigen will, faßt er nur die Perücke, und das Haupt löst sich los. Wie eine Kegelkugel rollt und poltert es blutüberströmt auf den Bretterboden, und da der Henker es jetzt abermals faßt und aufhebt, erblickt man – gespenstiger Anblick – das einer alten Frau mit eisgrau geschorenem Haar ...
Noch eine Viertelstunde lang zucken konvulsivisch die Lippen, die zu übermenschlich gewaltsam die Angst der Kreatur in sich verpreßt, und die Zähne schlagen gegeneinander ... Und schon wollen inmitten des gelähmten Schweigens die Knechte die dunkle Last wegtragen, da löst ein kleiner Zwischenfall das fahle Entsetzen. Denn im Augenblick, da die Henker den blutüberströmten Rumpf aufheben, um ihn ins Nachbarzimmer zu schaffen, wo er einbalsamiert werden soll, rührt sich etwas unter den Kleidern. Unbemerkt von allen, war ihr kleiner Lieblingshund der Königin nachgeschlichen und hatte sich gleichsam in Angst um ihr Schicksal an ihren Körper gedrückt. Jetzt springt er vor, überströmt und naß von dem vergossenen Blut. Er bellt und beißt und keift und kläfft, er will von der Leiche nicht weichen. Mit Gewalt suchen ihn die Henker wegzureißen. Aber er läßt sich nicht fassen und nicht locken, wild springt er die fremden, großen schwarzen Bestien an, die ihn mit dem Blut seiner geliebten Herrin so brennend –
zitierte Wolf zu Ende und öffnete die Augen,
– verwundet.« Ähnliche Pamphlete, durch Säuberung öffentlicher und Konfiszierung privater Bibliotheken gewonnen, würde mein Schüler studieren, wissenschaftlich widerlegen und zum Schluß –
fuhr Wolf fort, als er spürte, wie sein Enthusiasmus sich auf die beiden übertrug,
– verbrennen, was zur üblichen Sollerfüllung der Scharfrichter gehörte, wodurch die Theorie gewaltlos in die Praxis überginge. Im Lehrplan würde auch Entspannungsliteratur nicht fehlen, sofern der Autor sich und sei es partiell, aber fundiert mit den durchgenommenen Themen befaßt, so etwa die Bibel, wo eine ganze Palette klassischer Hinrichtungsarten recht anständig beschrieben wird. So –
fuhr Wolf fort und mußte sich erstmals nach langer Zeit anstrengen, seine metallische Stimme nicht vor Ergriffenheit beben zu lassen,
– wäre das schmale Profil endgültig überwunden, somit auch der neuralgische Punkt unserer Justiz, und außerdem würden wir einen Beruf, den das Mittelalter kulturlos vor die Stadtmauern verbannte und der auch bei uns keine Publizität genießen darf, im Gegensatz zu jedem Hanswurst –
fuhr Wolf fort und konnte es nicht verhindern, daß zumindest sein abgehärtetes Herz zu hämmern begann,
– vom Theater, wieder dort einreihen, wohin er von Anfang an gehört: in die Familie der humanitären Wissenschaften.
– Mensch, Friedl, sagte der Staatsanwalt fast flüsternd, als ihm die Durchdachtheit, Reichweite und Folgenschwere dieser Konzeption aufging, was du hier vorschlägst, ist eigentlich eine Universität!
Aus dem Schwarm der Perseiden, auch Laurentiustränen genannt, löste sich, vom kosmischen Flug zermürbt, eine Schnuppe und starb, blendenden Glanz versprühend, eines langsamen Todes. Wolf machte sich bewußt, daß dieser widerliche Schwule eben genauso blendend seine fixe Idee formuliert hatte und daß sie nunmehr in Erfüllung gehen würde.
Er hob den rechten Fuß und verlagerte den Schwerpunkt seines Körpers über die