Mit finsterer Miene vernahm Herzog Guntharis diese Unglücksbotschaften; aber rasch faßte er seinen Entschluß. Er brach sofort mit all seinen Truppen gegen die Stadt auf, sie durch einen raschen Streich zu nehmen.
Der Überfall mißlang.
Aber die Empörer hatten die Befriedigung, zu sehen, daß die Festung, deren Besitz den Bürgerkrieg entschied, wenigstens auch dem Feind sich nicht geöffnet hatte. Im Südosten, vor der Hafenstadt Classis, hatte sich der König gelagert. Des Herzogs Guntharis geübter Blick erkannte alsbald, daß auch die Sümpfe im Nordwesten eine sichere Stellung gewährten, und rasch schlug er hier ein wohlverschanztes Lager auf.
So hatten sich die beiden Parteien, wie zwei ungestüme Freier um eine spröde Braut, hart an beide Seiten der gotischen Königsstadt gedrängt, die keinem ein günstiges Gehör schenken zu wollen schien.
Tags darauf gingen zwei Gesandtschaften, aus Ravennaten und Goten bestehend, aus dem nordwestlichen und aus dem südöstlichen Tor der Festung, dem Tor der Honorius und dem des Theoderich, und brachten, jene in das Lager der Wölsungen, diese zu den Königlichen, den verhängnisvollen Entscheid von Ravenna.
Dieser mußte sehr seltsam lauten. Denn die beiden Heerführer, Guntharis und Witichis, hielten ihn, in merkwürdiger Übereinstimmung, streng geheim und sorgten eifrig dafür, daß kein Wort davon unter ihre Truppen gelangte. Die Gesandten wurden sofort aus den Feldherrnzelten beider Lager unter Bedeckung von Heerführern, die jede Unterredung mit den Heermännern verwehrten, nach den Toren der Stadt zurückgebracht.
Aber auch sonst war die Wirkung der Botschaft in den beiden Heerlagern auffallend genug. Bei den Empörern kam es zu einem heftigen Streit zwischen den beiden Führern: dann zu einer sehr lebhaften Unterredung von Herzog Guntharis mit seiner schönen Gefangenen, die, wie es hieß, nur durch Graf Arahad vor dem Zorne seines Bruders geschätzt worden war.
Darauf versank das Lager der Rebellen in die Ruhe der Ratlosigkeit.
Folgenreicher war das Erscheinen der ravennatischen Gesandten in dem Lager gegenüber. Die erste Antwort, die König Witichis auf die Botschaft erließ, war der Befehl zu einem allgemeinen Sturm auf die Stadt.
Überrascht vernahmen Hildebrand und Teja, vernahm das ganze Heer diesen Auftrag. Man hatte gehofft, in Bälde die Tore der starken Festung sich freiwillig auftun zu sehen. Gegen das gotische Herkommen und ganz gegen seine sonst so leutselige Art gab der König niemand, auch seinen Freunden nicht, Rechenschaft von der Mitteilung der Gesandten und von den Gründen dieses zornigen Angriffs.
Schweigend, aber kopfschüttelnd und mit wenig Hoffnung auf Erfolg, rüstete sich das Heer zu dem unvorbereiteten Sturm: er ward blutig zurückgeschlagen. Vergebens trieb der König seine Goten immer wieder aufs neue die steilen Felswände hinan. Vergebens bestieg er dreimal, der erste, die Sturmleitern: vom frühen Morgen bis zum Abendrot hatten die Angreifer gestürmt, ohne Fortschritte zu machen, die Festung bewährte ihren alten Ruhm der Unbezwingbarkeit.
Und als endlich der König, von einem Schleuderstein schwer betäubt, aus dem Getümmel getragen wurde, führten Teja und Hildebrand die ermüdeten Scharen ins Lager zurück.
Die Stimmung des Heeres in der darauffolgenden Nacht war sehr trübe und gedrückt. Man hatte empfindliche Verluste zu beklagen und nichts gewonnen, als die Überzeugung, daß die Stadt mit Gewalt nicht zu nehmen sei. Die gotische Besatzung von Ravenna hatte neben den Bürgern auf den Wällen gefochten; der König der Goten lag belagernd vor seiner Hauptstadt, vor der besten Festung seines Reichs, in der man Schutz und Zeit zur Rüstung gegen Belisar zu finden gehofft!
Das schlimmste aber war, daß das Heer die Schuld des ganzen Unglückskampfes, die Notwendigkeit des Bruderstreits auf den König schob. Warum hatte man die Verhandlung mit der Stadt plötzlich abgebrochen? Warum nicht wenigstens die Ursache dieses Abbrechens, war sie eine gerechte, dem Heere mitgeteilt? Warum scheute der König das Licht?
Mißmutig saßen die Leute bei ihren Wachtfeuern oder lagen in den Zelten, ihre Wunden pflegend, ihre Waffen flickend: nicht, wie sonst, scholl Gesang der alten Heldenlieder von den Lagertischen, und wenn die Führer durch die Zeltgassen schritten, hörten sie manches Wort des Ärgers und des Zornes wider den König.
Gegen Morgen traf Hildebad mit seinen Tausendschaften von Florentia her im Lager ein. Er vernahm mit zornigem Schmerz die Kunde von der blutigen Schlappe und wollte sofort zum König; aber da dieser noch bewußtlos unter Hildebrands Pflege lag, nahm ihn Teja in sein Zelt und beantwortete seine unwilligen Fragen.
Nach einiger Zeit trat der alte Waffenmeister ein, mit einem Ausdruck in den Zügen, daß Hildebad erschrocken von seinem Bärenfell, das ihm zum Lager diente, aufsprang und auch Teja hastig fragte: «Was ist mit dem König? Seine Wunde? Stirbt er?»
Der Alte schüttelte schmerzlich sein Haupt: «Nein: aber wenn ich richtig rate, wie ich ihn kenne und sein wackres Herz, wär’ ihm besser, er stürbe.»
«Was meinst du? Was ahnst du?»
«Still, still», sprach Hildebrand traurig, sich setzend, «armer Witichis! Es kommt noch, fürcht’ ich, früh genug zur Sprache.» Und er schwieg.
«Nun», sagte Teja, «wie ließest du ihn?» – «Das Wundfieber hat ihn verlassen, dank meinen Kräutern. Er wird morgen wieder zu Roß können. Aber er sprach wunderbare Dinge in seinen wirren Träumen – ich wünsche ihm, daß es nur Träume sind, sonst: weh dem treuen Manne.»
Mehr war aus dem verschlossenen Alten nicht zu erforschen. Nach einigen Stunden ließ Witichis die drei Heerführer zu sich rufen. Sie fanden ihn zu ihrem Staunen in voller Rüstung, obwohl er sich im Stehen auf sein Schwert stützen mußte; seitwärts auf einem Tisch lag sein königlicher Kronhelm und der heilige Königsstab von weißem Eschenholz mit goldner Kugel. Die Freunde erschraken über den Verfall dieser sonst so ruhigen, männlich schönen Züge. Er mußte innerlich schwer gekämpft haben. Diese kernige, schlichte Natur aus einem Guß konnte ein Ringen zweifelsvoller Pflichten, widerstreitender Empfindungen nicht ertragen.
«Ich hab’ euch rufen lassen», sprach er mit Anstrengung, «meinen Entschluß in dieser schlimmen Lage zu vernehmen und zu unterstützen. Wie groß ist unser Verlust in diesem Sturm?»
«Dreitausend Tote», sagte Teja sehr ernst. «Und über sechstausend Verwundete», fügte Hildebrand hinzu.
Witichis drückte schmerzlich die Augen zu. Dann sprach er: «Es geht nicht anders. Teja, gib sogleich Befehl zu einem zweiten Sturm.»
«Wie? Was?» riefen die drei Führer wie aus einem Munde.
«Es geht nicht anders», wiederholte der König. «Wie viele Tausendschaften führst du uns zu, Hildebad?» – «Drei, aber sie sind todmüde vom Marsch. Heut’ können sie nicht fechten.»
«So stürmen wir wieder allein», sagte Witichis, nach seinem Speer langend.
«König», sagte Teja, «wir haben gestern nicht einen Stein der Festung gewonnen, und heute hast du neuntausend weniger…» –
«Und die Unverwundeten sind matt, ihre Waffen und ihr Mut zerbrochen», mahnte der alte Waffenmeister.
«Wir müssen Ravenna haben!»
«Wir werden es nicht mit Sturm nehmen!» sagte Teja.
«Das wollen wir sehen!» meinte Witichis.
«Ich lag vor der Stadt mit dem großen König», warnte Hildebrand: «er hat sie siebzigmal umsonst bestürmt: wir nahmen sie nur durch Hunger – nach drei Jahren.» –
«Wir müssen stürmen», sagte Witichis, «gebt den Befehl.» Teja wollte das Zelt verlassen. Hildebrand hielt ihn. «Bleib», sagte er, «wir dürfen ihm nichts verschweigen. König! Die Goten murren: sie würden dir heut’ nicht