Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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seit der gotische König in vollem Rückzug und nach Ausbruch der Empörung die gotische Sache halb verloren schien, fast alle Tage. Teils mit dem Druck, teils ohne den Druck oder die Erscheinung byzantinischer Truppen vor den Toren ergaben sich viele Schlösser und Städte an Belisar.

      Da nun die meisten doch lieber den Schein einer Nötigung abwarteten, um, falls die Goten gleichwohl unverhofft wieder siegen sollten, eine Entschuldigung zu finden, war dies für den Feldherrn ein weiterer Grund, solche kleinen Abteilungen, meist aus Italiern und Byzantinern gemischt, unter Führung der Überläufer, die der Gegend und der Verhältnisse kundig waren, auszusenden. Und diese Scharen, ermutigt durch den fortgesetzten Rückzug der Goten, wagten sich weit ins Land; jedes gewonnene Kastell wurde ein Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen.

      Eine solche Streifschar hatte jüngst auch Castellum Marcianum gewonnen, das bei Cäsena, ganz in der Nähe des königlichen Lagers, eine Felshöhe oberhalb des großen Pinienwaldes krönte. Der alte Hildebrand, an den Witichis seit seiner Verwundung den Oberbefehl abgegeben, sah diese gefährlichen Fortschritte der Feinde und den Verrat der Italier mit Ingrimm: und da er ohnehin die Truppen nicht gegen Herzog Guntharis oder gegen Ravenna beschäftigen wollte – er hoffte auf eine friedliche Lösung des Knotens –, beschloß er, gegen diese kecken Streifscharen einen züchtigenden Streich zu tun.

      Späher hatten gemeldet, daß, am Tage nach Rauthgundens Ankunft im Lager, die neue, byzantinische Besatzung von Castellum Marcianum sogar Cäsena, diese wichtige Stadt im Rücken des gotischen Lagers, zu bedrohen wagte.

      Grimmig schwur der alte Waffenmeister diesen Frechen das Verderben. Er selbst stellte sich an die Spitze einer Tausendschaft von Reitern, die in der Stille der Nacht, Stroh um die Hufe der Rosse gewickelt, in der Richtung gegen Cäsena aufbrachen.

      Der Überfall gelang vollkommen.

      Unbemerkt gelangten sie bis in den Wald, an den Fuß des hoch auf dem Fels gelegenen Kastells. Hier verteilte Hildebrand die Hälfte seiner Reiter auf alle Seiten des Waldes, die andere Hälfte ließ er absitzen und führte sie leise die Felswege des Kastells hinan. Die Wache am Tor ward überrascht, und die Byzantiner, von einer überlegenen Macht überfallen, flohen nach allen Seiten den Fels hinab in den Wald, wo der große Teil von den Berittenen gefangen wurde. Die Flammen des brennenden Schlosses erleuchteten die Nacht.

      Eine kleine Gruppe aber zog sich fechtend über das Flüßchen am Fuß des Felsens zurück, über das nur eine schmale Brücke führte. Hier wurden die verfolgenden Reiter Hildebrands von einem einzelnen aufgehalten, einem Anführer, nach dem Glanz der Rüstung zu schließen.

      Dieser hochgewachsene und schlanke, wie es schien noch junge Mann – sein Visier war dicht geschlossen – focht wie ein Verzweifelter, deckte die Flucht der Seinen und hatte schon vier Goten niedergestreckt.

      Da kam der alte Waffenmeister zur Stelle und sah eine Weile den ungleichen Kampf mit an.

      «Gib dich gefangen, tapferer Mann!» rief er dem einsamen Krieger zu, «dein Leben sichr’ ich dir.»

      Bei diesem Ruf zuckte der Byzantiner zusammen: einen Augenblick senkte er das Schwert und sah auf den Alten. Aber schon im nächsten Moment sprang er wütend vor und wieder zurück; er hatte dem vordersten Angreifer mit gewaltigem Streich den Arm vom Leibe geschlagen. Entsetzt wichen die Goten etwas zurück.

      Hildebrand ergrimmte. «Drauf!» schrie er, vorspringend, «jetzt keine Gnade mehr! Zielt mit den Speeren.» – «Er ist gefeit gegen Eisen!» rief einer der Goten, ein Vetter Tejas, «dreimal hab’ ich ihn getroffen – er ist nicht zu verwunden.»

      «Meinst du, Aligern?» lachte der Alte grimmig, «laß sehen, ob er auch gegen Stein gefeit ist.»

      Und er schleuderte seinen steinernen Wurfhammer – er war fast der einzige, der nicht von dieser heidnisch alten Waffe gelassen – sausend gegen den Byzantiner.

      Die wuchtige Steinaxt schlug krachend grad auf den stolz geschweiften Helm, und wie blitzgetroffen fiel der Tapfere nieder. Zwei Männer sprangen rasch hinzu und lösten ihm den Helm.

      «Meister Hildebrand», rief Aligern erstaunt, «das war kein Byzantiner.» – «Und kein Italier», sagte Gunthamund. «Sieh die Goldlocken – das war ein Gote!» meinte Hunibad. Hildebrand trat hinzu – – und schrak zusammen.

      «Fackeln her», rief er – «Licht! – – Ja», sprach er finster, seinen Steinhammer wieder aufhebend, «das war ein Gote. Und ich – ich hab’ ihn erschlagen», fügte er mit eisiger Ruhe hinzu. Aber seine Faust zitterte am Hammerschaft.

      «Nein, Herr», rief Aligern, «er lebt. Er war nur betäubt! Er schlägt die Augen auf.»

      «Er lebt?» fragte der Alte mit Grauen, «das woll’n die Götter nicht!» – «Ja, er lebt!» wiederholten die Goten, ihren Gefangenen aufrichtend. «Dann weh über ihn und mich! Aber nein! Ihn senden die Götter der Goten in meine Gewalt! Bind ihn auf dein Roß, Gunthamund, aber fest! Und wenn er entwischt, gilt es deinen Kopf statt des seinen. Auf, zu Pferd und nach Hause!»

      Im Lager angelangt, fragte die Bedeckung den Waffenmeister, was sie für diesen Gefangenen rüsten sollten.

      «Einen Bund Stroh für heute nacht», sagte der, «und für morgen früh – einen Galgen.» Mit diesen Worten ging er in das Zelt des Königs und berichtete den Erfolg seines Zuges.

      «Wir haben unter den Gefangenen», schloß er finster, «einen gotischen Überläufer. Er muß hängen, ehe die Sonne morgen niedergeht.» – «Das ist sehr traurig», sagte Witichis seufzend. – «Ja, aber notwendig. Ich berufe das Kriegsgericht der Heerführer auf morgen. Willst du den Vorsitz führen?» – «Nein», sagte Witichis, «erlaß mir’s: ich bestelle Hildebad an meiner Statt.» – «Nein», sagte der Alte, «das geht nicht an. Ich bin Oberfeldherr, solang du im Zelte liegst: ich fordere den Vorsitz als mein Recht.» Witichis sah ihn an: «Du siehst grimmig und so kalt! Ist’s ein alter Feind deiner Sippe?» – «Nein», sprach Hildebrand. – «Wie heißt der Gefangene?» – «Wie ich, Hildebrand.» – «Höre, du scheinst ihn zu hassen, diesen Hildebrand! Du magst ihn richten, aber hüte dich vor übertriebener Strenge. Vergiß nicht, daß ich gern begnadige.»

      «Das Wohl der Goten fordert seinen Tod», sagte Hildebrand ruhig, «und er wird sterben.»

      Siebzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Früh am andern Morgen wurde der Gefangene verhüllten Hauptes hinausgeführt auf eine Wiese, im Norden, «an der kalten Ecke» des Lagers, wo sich die Heerführer und ein großer Teil der Heermänner versammelt hatten.

      «Höre», sagte der Gefangene zu einem seiner Begleiter, «ist der alte Hildebrand auf dem Dingplatz?»

      «Er ist das Haupt des Dings.»

      «Barbaren sind und bleiben sie! Tu mir den Gefallen, Freund – ich schenke dir dafür diese purpurne Binde – und geh zu dem Alten. Sag’ ihm: ich wisse, daß ich sterben muß. Aber er möge doch mir – und mehr noch meinem Geschlecht – hörst du? – meinem Geschlecht – die Schande des Galgens ersparen. Er möge mir heimlich eine Waffe senden.» Der Gote, Gunthamund, ging, Hildebrand zu suchen, der das Gericht bereits eröffnet hatte. Das Verfahren war sehr einfach. Der Alte ließ zuerst das Gesetz von Regeta vorlesen, dann von Zeugen feststellen, wie man sich des Gefangenen bemächtigt, darauf diesen selbst vorführen. Noch immer bedeckte ein Wollsack sein Haupt und seine Schultern. Eben sollte dieser abgenommen werden, als Gunthamund sich zu Hildebrand drängte und in sein Ohr flüsterte.

      «Nein», sagte dieser, die Stirn runzelnd. «Ich laß ihm sagen: die Schmach für sein Geschlecht sei seine Tat, nicht seine Strafe.» Und laut fuhr er fort: «Zeigt das Antlitz des Verräters! Er ist Hildebrand, der Sohn des Hildegis!»

      Ein Ruf des Staunens und Schreckens lief durch die Menge.

      «Sein eigner Enkel!» – «Alter, du sollst nicht weiter richten! Du bist grausam gegen