Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass etwas Ungutes im Busch war. Er schnappte sich James’ Tablet vom Tisch, indem er gefährlich auf einer Couchecke balancierte. Dann scrollte er sich durch die Nachrichtenseiten, checkte sogar kleinere lokale Zeitungs-Links, die vielleicht etwas bringen würden, das die großen Provider für unwichtig hielten.
Wieder nichts, was in das Muster gepasst hätte.
Er atmete aus und das mulmige Gefühl, das ihn die ganze Zeit vom Schlafen abgehalten hatte, fiel von ihm ab. Die Erleichterung hielt jedoch nicht lange vor. Falls es tatsächlich ein Dämon war, oder sogar ein kleiner Schwarm, der das Pferd zerfleischt hatte, dann wären die Kreaturen jetzt satt. Träge. Würden vielleicht tagelang nicht mehr auftauchen, um neue Beute zu machen.
Er musste jedenfalls die Augen offen halten, alles recherchieren, was auch nur im Mindesten verdächtig erschien. Das gehörte zu dem Deal, den sie mit dem Inquisitor geschlossen hatten, damit sie in der wirklichen Welt zusammenbleiben durften. Einen Fehler konnten sie sich nicht leisten, dazu stand zu viel auf dem Spiel. Wenn der Inquisitor sich noch einmal zeigte, wäre das sein Ende, das wusste er. Dann konnte er von Glück sagen, wenn er nur ins Niemandsland zurückverbannt wurde, um wieder seinen Pflichten als Seelenfahrer nachzugehen.
Und Dylan erst … Er schauderte unwillkürlich. Dylan würde sterben.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte eine tiefe, etwas brummige Stimme – leise, um ihn nicht zu erschrecken, aber er zuckte trotzdem zusammen. Langsam drehte er sich zu James, der in der Tür stand.
»Nein, ich …«, fing er mit einem schwachen Lächeln an und schaltete den Fernseher stumm. »Tut mir leid, ich hab den Fernseher extra leise gestellt, um niemanden zu wecken …«
»Hast du auch nicht.« James wedelte seine Entschuldigung mit einer Handbewegung weg. »Ich wollte nur gerade ins Badezimmer und habe das Licht gesehen.« Ein kurzes Aufblitzen seiner Zähne im Lichtschein des Bildschirms, und er fügte hinzu: »Im neuen Haus gibt’s dann für alle ein eigenes Badezimmer, denke ich.«
»Ja, genau.«
»Und du wirst auch besser schlafen, wenn du in einem richtigen Bett liegst statt auf diesem klumpigen Sofa.« James’ Tonfall ließ durchblicken, dass er genau wusste, wo Tristan den größten Teil der Nacht verbrachte, statt sich schlaflos auf den buckligen Polstern des durchgesessenen alten Sofas zu wälzen.
Tristan nickte, versuchte, seine Unschuldsmiene unter James’ wissendem Blick beizubehalten. Dann wurde Dylans Vater plötzlich ernst und aufmerksam.
»Hast du irgendwas, mein Junge?«
Es war ein ehrlich gemeintes Gesprächsangebot. Und gleichzeitig viel mehr als das – James eröffnete ihm eine Möglichkeit, ihr Verhältnis zueinander auf eine andere Basis zu stellen, endlich wegzukommen von dieser Nummer »Vater gegen nicht ganz vertrauenswürdigen Freund der Tochter«, die sie die ganze Zeit aufgeführt hatten.
Er erwog es kurz. James wusste einiges über die Dinge, die Tristan und Dylan miteinander durchgemacht hatten, er verstand, dass es Phänomene gab, die nicht von dieser Welt waren. Und natürlich war es verlockend für Tristan, seine schwere Bürde auf den Schultern eines anderen abzuladen. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. James’ Wissen war viel zu vage und die Gründe, warum sie ihm nichts Genaueres erzählt hatten, waren immer noch gültig. Je mehr James wusste, desto größer die Gefahr, die ihm vom Inquisitor drohte.
Nein, das hier war seine Bürde. Falls er sie überhaupt mit jemandem teilen konnte, dann nur mit Dylan.
»Alles gut«, sagte er zu James. »Ich hab nur … nachgedacht.«
»In Ordnung.« James klang enttäuscht, machte auch keinen Hehl daraus, dass er ihm nicht glaubte, hakte aber nicht weiter nach. »Dann versuch mal noch ein bisschen zu schlafen. Du musst morgen früh raus.«
»Ja, Sir.« Er schaltete den Fernseher ab und tat so, als würde er unter die Decke kriechen. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Tristan.«
James verschwand im Flur und eine Minute später hörte Tristan die Toilettenspülung, dann das leise Klicken der Tür, als Dylans Dad in das Zimmer zurückging, das er mit Joan teilte.
Er wartete lange, bis er zu Dylan zurückschlich. Der Gedanke an die Dämonen lag ihm noch immer wie Blei im Magen.
Kapitel 5
»Schau nicht hin!«
»Mach ich doch gar nicht.«
»Ich weiß, dass …« Susanna drückte Jacks Hand. »Schau nicht hin.«
Schweiß tropfte ihr von der Stirn, ihre Kleidung klebte ihr an der Haut. Die Hitze war gnadenlos; kein noch so leiser Windhauch, der ihnen Erleichterung verschaffte. Obwohl das letzten Endes ein Segen war, denn zuvor hatte der Wind um sie herumgeheult, hatte den Sand vom Boden aufgewirbelt und nach ihnen geschleudert, scharfe Sandkörner, die ihnen die Haut zerkratzten und in Mund, Nase und Augen drangen.
Dafür war es mit zusammengekniffenen Augen einfacher gewesen, die Dämonen zu ignorieren.
Inzwischen war es Mittag, dem Stand der Sonne nach zu urteilen. Noch heißer wurde es also hoffentlich nicht, aber da der Boden den ganzen Morgen über die Sonnenglut gespeichert hatte, drohte der Nachmittag noch stickiger zu werden, wenn der festgebackene Sand seine Hitze auf sie abstrahlte.
Schatten gab es nicht. Nichts als trockene, rissige Erde, hügelig genug, um den Weg vor ihnen zu verbergen, und zackige Felsgipfel und herabgestürzte Trümmer, die aus unerfindlichen Gründen keine Schatten warfen. Im »normalen« Niemandsland, das ihr vertraut war, bedeuteten Schatten Gefahr, einen Ort, an dem vielleicht Dämonen lauerten. Hier rettete sie die teuflische rote Sonne – und verweigerte ihnen zugleich auch nur den Hauch eines Schattens, der ihnen die Chance geboten hätte, ihren gnadenlosen Strahlen zu entkommen.
»Ich brauche Wasser«, krächzte Jack neben ihr.
»Nein, brauchst du nicht«, erinnerte sie ihn. »Du bist tot. Deine Seele braucht weder Essen noch Wasser.«
»Also gut«, knurrte Jack. »Ich will Wasser. Besser so?«
Sein Atem ging in rauen, keuchenden Stößen, als der Hang, den sie erklommen, immer steiler wurde, bis alle Muskeln in Susannas Beinen sich schmerzhaft verkrampften.
»Verdammter Mist«, fluchte Jack weiter. »So heiß war mir in meinem ganzen Leben noch nicht.«
»Tröste dich einfach damit, dass das alles hier nicht echt ist«, riet sie ihm.
»Hä?«
»Es ist nicht die Wirklichkeit«, wiederholte sie. »Deine Haut brennt nicht wirklich, du bist nicht wirklich durstig. Und egal, wie erhitzt du dich fühlst, die Sonne wird dich nicht töten.« Sie lachte keuchend und fügte hinzu: »Hitzschläge gibt es im Niemandsland nicht.«
»Sag, was du willst – mir kommt es verdammt echt vor«, murrte Jack. »Und ich fühle mich hundeelend – so als würde ich jeden Moment sterben.«
Wie in aller Welt sollte er sterben, wenn er sowieso schon tot war? Susanna hütete sich natürlich, diesen Gedanken laut auszusprechen. »Du stirbst nicht«, sagte sie stattdessen. »Daran musst du dich halten und immer schön einen Fuß vor den anderen setzen. Und ja nicht die Dämonen ansehen!«
Das Letzte fügte sie hinzu, weil sie aus dem Augenwinkel sah, wie Jacks Hand sich unwillkürlich zur Faust ballte. Anscheinend juckte es ihn in den Fingern, einen der Dämonen, die auf ihre Köpfe herunterschossen, zu packen und auf den Boden zu knallen.
»Ich … versuche es«, brachte er zähneknirschend hervor. »Aber es fällt mir verdammt schwer. Die sind wie Wespen. Am liebsten würde ich eine Zeitung nehmen und sie alle