Steven erstarrte, der Länge nach auf dem Boden liegend. Sofort schossen ein paar Dämonen auf ihn herunter, krallten sich an ihm fest und bohrten fauchend ihre Zähne in sein Fleisch. Er ignorierte sie, nahm nichts wahr außer Annas markerschütternden Schreien, die aus dem Schutzhaus drangen.
Als die Welt um ihn herum zu Weiß verblasste, schloss er die Augen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, aber irgendetwas lief gewaltig schief im Niemandsland.
Kapitel 7
»Ich glaube, wir haben ein Problem.«
»Was?« Dylan löste ihren Blick von dem Cottage Pie, über den sie gerade herfallen wollte, und schaute Tristan fragend an.
»Ich bin ziemlich sicher, dass es ein Dämon war.«
»Was?« Vor Schreck fiel ihr die Plastikgabel ins Mittagessen und die Soße spritzte über ihr Schulshirt. Sie merkte es nicht einmal.
»Das Ding, das dieses Pferd getötet hat.«
»Was?« Klick, klick, klick, fügten sich die Puzzleteile zusammen, als ihr aufging, wovon er redete.
»Mehr hast du nicht zu sagen?«
Sie beugte sich vor und funkelte Tristan an, der sich auf den Platz gegenüber von ihr fallen ließ.
»Warum glaubst du, dass es ein Dämon war? Der Ort ist doch meilenweit von den Löchern entfernt, die Jack und ich im Schleier hinterlassen haben. Es kann kein Dämon sein.« Ihre Stimme klang so scharf und schrill, dass sie zusammenzuckte und sich hastig in der überfüllten Cafeteria umblickte, aber niemand achtete auf sie. »Warum meinst du, dass es einer von ihnen ist?«
Tristan holte tief Luft. »Es gab noch eine Attacke, am selben Ort.«
»Ein Mensch?«
»Nein, Schafe.«
»Was? Ein Schaf?«
Tristan schüttelte den Kopf. »Nicht nur ein Schaf, eine ganze Herde. Auf dem Nachbarhof, erst letzte Nacht. Es stand auf einer lokalen Nachrichtenseite der BBC. Die Polizei warnt die Leute vor einem Raubtier, das möglicherweise gefährlich sein könnte.«
»Ein Raubtier? Wir sind doch nicht in Afrika – hier gibt’s keine wilden Löwen oder Tiger.«
»In den Nachrichten steht, dass es vielleicht aus einem Tiergarten ausgebrochen ist, oder einem Privatzoo.«
»Ja, okay, es gibt einen Safaripark irgendwo in der Gegend.« Nachdenklich schaute sie Tristan an. »Aber du glaubst das nicht?«
»Nein.«
»Ich …« Sie stieß ihren Cottage Pie weg, der Appetit war ihr fürs Erste vergangen. Sie wollte es zwar immer noch nicht glauben, konnte aber Tristans besorgtes Gesicht nicht ignorieren. »Wie soll es denn ein Dämon gewesen sein? Irgendwo mitten in der Pampa? Du warst dir doch sicher, dass kein anderer Seelenfahrer durchgekommen ist?«
Tristan nickte leicht genervt. Das hatte sie ihn schon x-mal gefragt.
»Dann ist es doch wahrscheinlicher, dass was Normales dahintersteckt. Falls man von ›normal‹ sprechen kann, wenn ein Panther in Zentralschottland herumläuft!«, fügte sie schnaubend hinzu. »Wie soll ein Dämon überhaupt dorthin kommen? Sie können doch nicht einfach den Schleier durchbrechen, jedenfalls nicht von allein.«
Tristan wirkte nicht überzeugt. »Ich weiß, aber es fühlt sich so … Da stimmt was nicht.«
»Ich dachte, du kannst einen Dämon nicht spüren, es sei denn, er befindet sich ganz in der Nähe?«
»Ja, stimmt. Jedenfalls nicht ohne …«
»Susanna?«, ergänzte sie, als Tristan plötzlich verstummte. Ein tiefer Seufzer entwich ihr. Sie wusste nur zu gut, wo das hinführte. »Du willst da raus. Nachforschen.«
Er nickte, zuckte hilflos mit den Schultern.
Sie kräuselte die Lippen, gab sich aber geschlagen. Wenn Tristan recht hatte – obwohl sie sich das immer noch nicht vorstellen konnte –, verlangte ihr Deal mit dem Inquisitor, dass sie hinfuhren, um sich darum zu kümmern: die Dämonen töten, herausfinden, wo zum Teufel sie hergekommen waren, und alle anderen davon abhalten, in die Welt der Lebenden einzudringen.
Wenn tatsächlich ein Dämon hier sein Unwesen trieb und sie nichts unternahmen, würde der Inquisitor einschreiten müssen und …
»Also gut«, seufzte sie. »Morgen ist Freitag, da haben wir nachmittags frei. Dann können wir hinfahren. Reicht das?«
Tristan verzog das Gesicht, weil er wahrscheinlich lieber sofort aufgebrochen wäre, aber er nickte knapp.
»Morgen«, stimmte er zu.
»Wir werden nichts finden.« Sie nahm ihre Gabel wieder in die Hand und zwang sich, einen Bissen zu essen. »Du wirst schon sehen.«
Sie sagte es mit Überzeugung und konnte nur hoffen, dass sie recht behielt.
»Ich finde das immer noch dumm«, maulte sie, wadentief im Schlamm stehend. Ihre Füße in den Gummistiefeln waren eiskalt und eine ihrer Socken drohte jeden Moment herunterzurutschen. In der linken Hand hielt sie einen Regenschirm, auf den dicke, fette Tropfen vom Himmel klatschten und einen unregelmäßigen Trommelrhythmus über ihrem Kopf entfachten. Die andere Hand, die vor Kälte schon ganz starr war, hatte sie tief in ihre Jackentasche geschoben. Bei jedem Ausatmen bildete sich ein Dampfwölkchen vor ihrem Mund.
Der schottische März war nicht gerade der geeignetste Zeitpunkt, um im Matsch auf dem Land herumzustiefeln. In ihren Augen galt das allerdings für jeden einzelnen Monat im Jahr. Sie war schon vor ihrem tödlichen Unfall kein Outdoor-Mädchen gewesen und ihre Erfahrungen im Niemandsland – oder jenseits davon – hatten sie nur noch darin bestärkt, dass die freie Natur nicht ihr Ding war.
Tristan reagierte nicht. Hatte es wahrscheinlich aufgegeben, sie zu beschwichtigen, nachdem die ersten fünf Versuche nicht gefruchtet hatten. Stattdessen fasste er das nächste Feld ins Auge, seine Finger um die oberste Reihe eines Stacheldrahtzauns geklammert. Dylan blieb ein gutes Stück hinter ihm, weil … na ja … der Anblick dahinter so grässlich war.
Mehr als grässlich.
Das Ganze erinnerte an einen Slasher-Film: zahllose übereinandergestapelte Kadaver, die Beine verdreht, in absurden Winkeln abgeknickt, mehr Fleisch als Haut sichtbar. Alles war verkohlt, das Feuer noch nicht ganz aus, und die Hitze erzeugte einen wogenden Dunst, der sich nach oben wand wie ein abziehender Geist.
Dass es sich um Schafkadaver handelte und nicht um menschliche Leichen, nahm dem Anblick nichts von seinem Schrecken.
»Tristan, ehrlich, ich verstehe nicht …«
»Ich muss näher ran«, unterbrach er sie.
»Was?«
Statt einer Antwort schwang er seine Beine über den Zaun und ließ sich auf das Feld mit dem qualmenden Kadaverhaufen fallen.
»Tristan!«, rief sie und stürzte hinterher, stolperte quatschend durch den schlammigen Morast. Weiter als bis zum Zaun kam sie jedoch nicht – nicht nur, weil sie mit ihren viel zu großen Gummistiefeln unmöglich hinüberklettern konnte. Aus dieser Nähe konnte man die Einzelheiten deutlicher erkennen, der Rauch war nicht mehr so undurchdringlich und der Gestank, der ihr schon von Weitem den Atem geraubt hatte, war hier geradezu bestialisch. Würgend zog sie ihren Jackenkragen hoch, hielt ihn sich vors Gesicht und atmete durch den Mund. Aber das bedeutete, dass sie es jetzt förmlich auf der Zunge schmecken konnte: Ruß und verkohltes Holz, darunter der vertrautere Geschmack von Lamm- oder Schaffleisch.
Lammfleisch schmeckte ihr normalerweise. Aber nach dem Anblick hier würde sie wahrscheinlich nie wieder welches essen können.
Tristan schien der Gestank nichts auszumachen oder er war wild entschlossen, das alles zu ignorieren. Er stand direkt vor dem Haufen, nah genug, dass er die