Ferryman – Die Verstoßenen (Bd. 3). Claire McFall. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claire McFall
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783038801375
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Du bist machtlos gegen sie und ich schaffe es nicht, alle auf einmal abzuwehren.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Als ich damals Michael hinübergebracht habe …«

      »Michael?«

      »Eine meiner Seelen. Die letzte vor dir. Also jedenfalls, auf meiner Reise mit Michael ist mir was Merkwürdiges an den Dämonen aufgefallen.«

      »Und was?« Jack stieß sie gegen die Schulter, um sie zum Weitersprechen zu bewegen.

      »Sie … also, es klingt bescheuert, aber es kam mir so vor, als ob sie sich zusammengetan hätten. Ja, wirklich – als würden sie ein Team bilden, um mich auf den Boden zu reißen. Normalerweise greifen sie einzeln an, völlig planlos. Aber bei Michael war es, als hätten sie sich untereinander verständigt, wie sie ihn am besten packen konnten.«

      »Und was ist daran so merkwürdig?«

      »Dämonen denken nicht«, stieß sie hervor. »Das sind hirnlose, wilde Kreaturen. In ihnen ist nichts mehr von den Seelen, die sie mal waren.«

      »Sicher?«, fragte Jack.

      »Ja«, antwortete sie. »Hundertprozentig. Deshalb kann ich es mir nicht erklären.«

      »Also …« Jack nahm seine Arme von ihrer Seite und sie stellte sich vor, wie er nach oben griff und wütend ein paar Haarbüschel packte, um daran zu zerren. Das machte er oft. »Du sagst also, es ist unmöglich.«

      Sie nickte. Es war noch dunkel, aber da sich auch seine Augen mittlerweile daran gewöhnt haben mussten, konnte er es wahrscheinlich sehen.

      »Es muss doch eine Möglichkeit geben«, beharrte er. »Dylan hat es auch geschafft – ganz allein.«

      Susanna zog den Kopf ein, fühlte sich jetzt selbst in die Ecke gedrängt. Klang da ein vorwurfsvoller Ton in Jacks Stimme mit oder bildete sie sich das nur ein? Von Dylan und Tristan redeten sie nur selten – wozu auch? Dennoch war der Gedanke an sie immer da, schwebte förmlich in der Luft zwischen ihnen. Schließlich waren die beiden der Grund dafür, dass sie jetzt in der Patsche saßen.

      Nein, das war ungerecht. Tristan und Dylan waren der Grund dafür, dass sie diesen ganzen Schlamassel angezettelt hatte.

      Und leider waren sie nicht dazu gekommen, Dylan zu fragen, wie genau sie es geschafft hatte, auf eigene Faust das wahre Niemandsland zu durchqueren.

      »Na ja, ich bin nicht Dylan«, sagte sie leise.

      »Nein, bist du nicht«, schoss Jack zurück und sie sank noch etwas mehr in sich zusammen. Es gab keine Möglichkeit, ihm auf dem winzigen Sofa auszuweichen, der Wahrheit seiner Worte zu entkommen. Erst recht nicht, solange er sie an sich drückte. »Du bist die Seelenfahrerin«, erinnerte er sie. »Du hast jede Menge Tricks auf Lager, von denen ich nur träumen kann.«

      Susanna blinzelte verblüfft.

      »War das … war das etwa ein Kompliment?«

      »Gewöhn dich lieber nicht dran«, stieß Jack finster hervor und sie verkniff sich ein Grinsen. »Also, was ich sagen wollte«, fuhr er fort und drückte sie erneut, »du kannst das schaffen.«

      »Du meinst, wir können es schaffen?«

      »Hoffentlich, ja.«

      Eine ganze Weile sagten sie nichts mehr, lagen einfach nur da und ruhten sich aus. Warteten. Irgendwann stand Jack auf, kletterte unbeholfen über sie hinweg, um die Vorhänge zu öffnen.

      »Ich will den Sonnenaufgang sehen«, verkündete er, bevor er sich wieder neben sie legte.

      Endlich, so schleichend, dass sie es zunächst kaum wahrnahmen, lichtete sich der Himmel und die Dämonen wurden sichtbar. Schlangenähnliche, sich windende Gebilde aus purer Schwärze vor einem Himmel, der sich zuerst erdig braun färbte, dann flammend orange wie der glühende Sonnenball, der sich am Horizont hochschob.

      Der Lärm draußen verebbte allmählich, als die meisten – aber nicht alle – dieser unablässig kreisenden Kreaturen sich davonmachten, um andere Opfer zu jagen. Die Luft war vorläufig rein – sicherer wurde es jetzt nicht mehr.

      Susanna richtete sich auf und schwang ihre Beine vom Sofa herunter. Jack kam neben ihr hoch, dann stand er auf und streckte sich. Er ging nicht zur Tür wie sonst immer, um seinen Kopf hinauszustrecken, soweit es gefahrlos möglich war, und die restlichen Dämonen zu verhöhnen. Stattdessen stellte er sich vor die kleinere Fensteröffnung, aber so, dass er außer Sicht der Dämonen blieb, die noch immer hin und wieder gegen die Wände und das Dach krachten, als hätten sie Angst, sie könnten sonst in Vergessenheit geraten.

      »Bist du bereit?«, fragte er.

      Nein, wahrhaftig nicht. Aber das spielte keine Rolle, denn bereit würde sie nie sein. In Wahrheit wäre es besser gewesen, die Reise sofort anzutreten. Damals, als sie die Verantwortung für Jack getragen und voller Schuldgefühle ihm gegenüber gewesen war, auch wenn er es ihr natürlich nicht leicht gemacht hatte, mit seiner mürrischen und unberechenbaren Art. Jetzt war er ihr Freund. Nein, mehr als das. Sie kannte ihn besser als jedes andere Wesen, das ihr jemals begegnet war, einschließlich Tristan. Jack zählte für sie und sie wusste, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte.

      Ihn zu verlieren, war ein schrecklicher Gedanke.

      Ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle und sie kämpfte mit den Tränen.

      »Alles okay?«, fragte Jack, als er ihr Gesicht sah. »Hast du Angst?«

      »Nein.« Sie schüttelte den Kopf und lachte, was aber eher wie ein Schluchzen klang. »Also … ja. Ich …« Sie trat einen Schritt vor und fasste nach Jacks Hand. »Bleib immer dicht bei mir, okay? Ich will dich nicht verlieren.«

      Jack nickte. Ausnahmsweise keine pampige Antwort. Stattdessen drückte er leicht ihre Finger.

      »Und wenn wir da draußen sind«, fügte sie hinzu, als sie daran dachte, wie oft sie im Niemandsland vom Sonnenuntergang überrascht worden war, wie oft sie eine Seele in letzter Sekunde vom Abgrund zurückgerissen hatte, »darfst du die Dämonen nicht ansehen. Tu einfach so, als ob sie nicht da wären. Du kannst nicht gegen sie kämpfen, also versuch es erst gar nicht. Konzentrier dich lieber auf mich, auf den Weg, dem wir folgen, oder auf deine Füße, wenn es sein muss.«

      »Okay, ich behandle sie wie Luft … oder wie meinen Stiefvater«, gab Jack trocken zurück. »Kein Problem. Darin hab ich jede Menge Übung.«

      Susanna lachte. Jacks schwarzer Humor sorgte dafür, dass sich die Spannung in ihren Schultern löste, und wirkte wahre Wunder gegen ihre weichen Knie, die beinahe unter ihr wegsackten. Auf dem Weg zur Tür, mit Jack im Schlepptau, der wie ein Schatten hinter ihr blieb, seine Hand noch immer in ihrer, wurde sie wieder ernst. Sie hielt kurz inne, ihre freie Hand auf der Türklinke, ohne ihn anzusehen.

      »Ich bring dich hier raus, Jack«, flüsterte sie. »Das schwöre ich.«

      Dann stieß sie die Tür auf.

      Kapitel 3

      »Tristan, bist du jetzt endlich fertig?« Dylan musste ihn so direkt fragen, weil alles Seufzen, Schnauben und Herumwirbeln auf ihrem Stuhl nichts geholfen hatte. Er wollte einfach nicht einsehen, dass sie sich halb tot langweilte.

      »Ähm … ja«, murmelte Tristan, ohne vom PC aufzusehen. Sein Finger lag auf der Maus, klick, klick, klick, während er sich durch die Website scrollte, die er gerade studierte.

      »Im Ernst, Mrs Lambert wirft uns jetzt bestimmt bald raus. Sogar die Putzkolonne ist schon weg!« Sie rollte auf ihrem Stuhl zu ihm hinüber. »Was schaust du dir da überhaupt an?«

      Seit der Mittagspause saßen sie in der Bibliothek, wo ihr Geschichtslehrer die Computertische für ihre Doppelstunde am Nachmittag reserviert hatte – die Klasse sollte über den Sklavenhandel im Amerika des achtzehnten Jahrhunderts recherchieren. Inzwischen war es fast siebzehn Uhr und sie wollte endlich aus der muffigen Luft herauskommen, und aus der beklemmenden Atmosphäre, die Mrs Lambert verbreitete – die unfreundlichste Schulbibliothekarin der Welt (die vielleicht