Ewige Jugend. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711472927
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Oberst durch die Zähne. „Er scheint verfolgt zu sein ... vielleicht gar angeschossen, man kann in dem dicken Fell nur keine Blutspur entdecken.“

      „Sonst sind Bären nicht so wütend, wenn man sie nicht reizt.“

      „Gewiss nit! Als mein Vater selig noch lebte, da hatten wir öfters Bären in Obermais! Von Schloss Planta schoss man sie aus dem Fenster. Aber eine solch wilde Bestie ist dermalen nicht dabei gewesen.“

      „Sicherlich haben schon Jäger seine Spur aufgenommen und ihn angeschossen.“

      „Oder ist’s vielleicht eine Bärin, der man das Lager ausgehoben hat?“

      „Nun hält sie uns für ihre Angreifer!“

      „Wohl möglich.“

      „Ihre Wut ist so grausig!“

      „Gibt’s denn jetzt junge Bären?“

      „Da hab’ i so gar keine Erfahrung! — Aber im Frühjahr? Man könnt’s halt meinen.“

      „Ich habe mich ja noch nie mit derartigem Raubzeug befasst, — in meiner Heimat pirscht man auf einen Rehbock oder bläst einem Krummen das schwache Lebenslichtlein aus!“

      „Gibt es denn hier in der Schlucht immer Bären?“

      „O ka Ahnung! Seit Jahren hat man nix mehr davon gehört. — Es wechseln bei besonders strengem Winter wohl mal etzliche aus Graubünden herüber, aber heuer hatten wir kaum Kälte!“

      „Wird denn das grausige Tier noch lange hierbleiben?“ ächzte Lobelia, und ihr Haupt sank wie tief ermattet zur Brust. „Wenn er Hunger hat, muss er doch Nahrung suchen!“

      „Na, na! Nit immer! Grad dann halt so ein rabiates Viech die Wacht bei seinem Feind!“

      „Wie sollen wir denn dann jemals von hier erlöst werden?“ Lobelia rang die Hände, und ihr Blick irrte wie in Verzweiflung zu dem Himmel, der sich von der sinkenden Sonne schon rötlich zu färben begann.

      „Fürchtens Ihnen nur nit, Gnädige!“ tröstete Herr Sturmlechner und sah doch selber dabei wie eine Kalkwand aus. „So an Bärengebrumm hörens schon weithin ins Tal! — Das dauert gar nit lang, dann wimmelt’s hier auf der Halde von Schützen, die alle kommen, um uns zu retten!“

      „Proviant haben wir ja auch noch.“

      „Wann es sich die Gnädige nur a bisserl kommod machen möcht’!“

      „Ich habe keine Ruhe, Herr Sturmlechner!“

      „Ich desto mehr!“ versuchte der Oberst zu scherzen. „Jetzt wollen wir uns mal hier einen Gral bauen! — Komm, Kind! Lass deinen Verehrer da unten ruhig traben! Er scheint jetzt Karussell um das Stadel zu laufen! Das hat er billig!“

      „Wir müssen doch beobachten, wo er abbleibt!“

      „Warum, Lobelia? Je mehr wir uns hier oben rühren, desto mehr machen wir auf uns aufmerksam!“

      „Jetzt könnten wir auf keinen Fall mehr an den Heimweg denken, die Nacht tät uns ja derquer kommen, und da ist’s nit gut mit einem solchen Mistviech Kirschen essen!“

      „Wenn wir nicht nach Hause kommen, werden sie hoffentlich Boten nach uns ausschicken!“ flüsterte Fräulein von Welten und zitterte so heftig an allen Gliedern, dass der Oberst sie in das ausgehöhlte Heu mehr tragen musste, als dass sie ging.

      „Aber niemand ahnt, wo wir sind, dass wir so querfeldein von dem Weg abgebogen sind!“

      „Dann gehens dem Gebrüll nach.“

      „Dieses schauerliche Brüllen! Ach, ich habe mich immer so sehr vor Bären geängstigt, grad, als ob mir’s wie eine Vorahnung in allen Gliedern gelegen hätte, dass ich noch einmal etwas so Unbeschreibliches mit solchem Ungeheuer erleben würde.“

      „Nur nicht ohne Not sich sorgen! — Der alte, liebe, treue Herrgott lebt noch, der verlässt uns nicht!“

      „Und so ein heiliges Madel, wie die Gnädige ist, die hat allerweg ihre Schutzengel.“

      „Ein paar Tropfen Kognak! — Komm, wir wollen hoffen, dass auch uns freundlich der Weg aus diesem Tal gezeigt wird. — Bis dahin wollen wir uns die Zeit so gut wie möglich vertreiben, — die Nacht kommt hier in den Alpentälern, in Schlüften und Schluchten wie hier, ganz besonders schnell herauf, und wenn wir auch nicht schlafen, so wollen wir uns doch nicht ohne Not durch nervenmordendes Beobachten und Auflauern schachmatt machen!“

      „Von Zeit zu Zeit vorsichtig rekognosziert!“

      „In der Dunkelheit nützt das ja nichts.“

      „Man sieht nichts.“

      „Und unser Kerkermeister, der uns hier gefangen hält, ist, so Gott will, beim Morgengrauen über alle Berge.“

      „Unwillkürlich achtet man auf jeden Laut und regt sich so auf!“ klagte Lobelia mit bebender Stimme.

      Die Herren wechselten einen schnellen Blick tiefbesorgten Einverständnisses. Sie waren beide als Soldaten im Krieg gewesen, das Jahr sechsundsechzig hatte es ihnen gezeigt, was es heissen will, in dunkler Nacht angestrengt zu lauschen, auf Vorposten zu stehen und zu wissen, dass der Tod auf leisen Sohlen umherschleicht und jede Sekunde um Sein oder Nichtsein würfelt.

      Sie ermassen die Schauder einer Nacht, wie sie jetzt heraufzog in all ihren ungeheuerlichen Konsequenzen; denn was es besagt, einen gereizten Bären als Todfeind in nächster Nähe zu wissen, ahnungslos, zu was alles Wut und Hunger solch ein Höllenvieh aufstacheln und aufreizen kann, das wussten nur sie als erfahrene Männer allein.

      Grausige, furchtbare Nacht.

      Tiefes Dunkel, — man erkennt nicht mehr die Hand vor den Augen.

      Der Wind heult in den Schlüften, unheimliche Geräusche dort und hier, und dann plötzlich das wütende Aufbrüllen des Bären in allernächster Nähe.

      Stille ...

      Qual über Qual.

      Nun hört man ihn jenseits am Stadel die Pranken in das Holz hauen, es ist, als zittere der ganze morsche Bau.

      Leises, jammervolles Weinen des jungen Mädchens.

      Sie umklammert die Hand des Onkels, und Welten fühlt, dass ihr ganzer Körper wie unter Fieberschauern bebt.

      Wie lang ist die Nacht, wie unerträglich lang!

      Die ersten Frührotlichter, die über den Himmel zucken.

      Es wird heller und heller.

      Lobelia liegt bewusstlos in dem Heu, und mit grimmigem Brummen rüttelt der Bär abermals an dem altersschwachen Bau.

      Schüsse krachen. Ein lautes Geschrei kräftiger Männerkehlen. Ein Brüllen, Röcheln — und die Sonne hat gesiegt.

      Drittes Kapitel

      Als der Vinzenz vom Brunnecker Hof das reizendste Madel, das er je geschaut, auf seinen starken Armen gehalten und ihr erst so erschrecktes Fratzerl ihn nachher beim „Behüats Gott“ so freundlich mit blitzblanken Guckerln angelacht hatte, da wollte ihm so ein Erinnern nimmer aus dem Sinn kommen. Zwar sang er mit schmetternder Stimme ein Rekrutenlied nach dem andern und hakte sich just so fidel wie zuvor bei seinem Jugendgespiel, dem Sepp, in den Arm, aber er wandte doch öfters den Kopf und schaute dem schmucken Madel nach, bis sie in der Ferne dem Blick entschwand.

      „In die Masulschlucht wollten die Herrischen!“ guckte der Sepp ein wenig überrascht, „und nun schwenkens zur Seiten in den Waldpfad ein. — Wetten, dös die Stadtleut’ sich noch verlaufen tun?“

      „Nix da! Auf den Langen in der Joppen hab’ i mi auskennt!“ rief der Toni, der Knecht beim Seitzerbauer war; „dös is der Aloys Sturmlechner. Derselbe, dess Vater in der Lauben drunten a Bankgeschäft gehalten hat.“

      „Just selbiger aus den Wasserlauben. Der is ja uns oan’!“