„Wie gewaltig die Felsen ragen! Dort in der Schlucht muss es wohl schon dunkel werden, wenn die Sonne sonst noch hoch am Himmel steht!“
„Solch eine Einsamkeit hat doch etwas Gewaltiges!“
„Das Schweigen im Wald —“
„Es geht auf die Nerven.“
„Man glaubt gar nicht, was für eine beredte Sprache solch tiefe Stille spricht!“
„Die Donner des Weltenalls.“
„Wie es sich wohl in die tiefe Klamm hier hinter der Halde herniedersieht?“
„Das können wir ja konstatieren.“
„Mir deucht es manchmal, als hörte ich Wasserrauschen ...“
„Bei der Schneeschmelze gar möglich!“
„Wenn wir fertig diniert haben, werfen wir noch einen Blick hinab, ehe wir uns auf den Heimweg machen.“
Gesagt, getan.
Man legte allen Ballast auf dem duftenden Heu nieder, klomm unter Lachen und Scherzen die Stiege wieder herab und schlug querfeldein, über wild romantisch getürmtes Geröll und herrliche Moosbildungen, den Weg nach der Klamm ein.
„Hören Sie doch!“ Lobelia blieb plötzlich stehen und hob lauschend das Köpfchen.
„Ist ein Wasserfall in der Nähe? Es rollt eben wieder so ein seltsames Getöse ...“
„Ja, ja! Ich lauschte auch schon. — Kann jetzt schon ein Gewitter im Anzug sein, es klang wie ein ferner Donner!“
„Unmöglich! Da, hier oben, um diese Jahreszeit?“
„Aber was ist es sonst?“
„Hören Sie? Da grollt es wieder.“
„Und diesmal näher, als käme es aus den Felsen hinter der Wiese her.“
Man stand und lauschte.
„Joseph Maria! Heiliger Herr und Gott!“
Herr Aloys Sturmlechner schrie es gellend auf und deutete mit der Hand nach einem vorspringenden Felsblock, — kaum ein paar hundert Meter von ihnen entfernt. „Da schaut’s! A Bär — a Bär!“
Kreideweiss, mit schlotternden Knien stand er. Gleichzeitig rollte es wie ein furchtbares Donnergebrüll über ihnen. Auf dem Felsplateau zeichnete sich die gedrungene Gestalt eines sehr grossen und starken braunen Bären ab, den struppigen Kopf vorgestreckt, und die Vranken gegen die Felsschrunden gestemmt.
„Herrgott des Himmels! Wo kommt hier in diese Gegend ein solches Ungetüm her?!“ rang es sich voll bebenden Entsetzens von Lobelias Lippen; der Oberst aber riss den Arm seiner Nichte jäh an sich.
„Vorwärts! So schnell wie möglich entfliehen! Die Bären können rasend schnell laufen, und dem Gebrüll nach hat er Hunger!“
„Er sieht uns! Er hat uns entdeckt!“ keuchte Sturmlechner mit weit aufgerissenen Augen noch einmal zurückstarrend. „Nun erbarm’ sich die heilige Mutter Gottes, dös koans von uns zu Fall kommt!“
„Er setzt sich in Trab! Er folgt uns!“
Wie ein gellender Aufschrei rang es sich von den Lippen des jungen Mädchens.
„Laufens, was das Zeug haltet!“
„Wohin?“
„Nach dem Heustadel hinauf! Das ist unsre einzige Rettung!“
In wahnsinniger Flucht stürmten die drei einsamen Menschen dem rettenden Unterschlupf entgegen.
Noch einmal rollte die furchtbare Stimme des Raubtiers, schon bedeutend näher, hinter ihnen, sich an den schroffen Felswänden in grausigem Echo brechend; dann war es still, nur das Poltern und Aufkrachen der Steine in der Klamm zeigte es an, dass der Bär am Rand des Abgrunds einherrannte und jetzt anscheinend auf die Wiefenhalde abbog, seinen Opfern den Weg zum Stadel abzuschneiden.
Wie die Rasenden stürzten sich diese der Leiter entgegen.
Noch nie hatten Weltens Arme solche Kraft entwickelt, als in diesem Augenblick, wo er seine halb ohnmächtige Nichte packte und mit sich die morschen Sprossen emporriss.
„Nur jetzt verlass uns nicht, barmherziger Gott, dass das Holz unter uns bricht, sonst sind wir verloren!“ gellte es durch seine Seele wie ein Angstschrei zum Himmel.
Droben!
Gott sei ewig gedankt!
Er stiess Lobelia nach dem Heu zurück, warf sich auf die Knie und streckte die Hand helfend dem Freund entgegen. Ob die Sprossen von der doppelten Last doch eingeknaxt waren, oder ob sie in der wahnwitzigen Hast und Aufregung nicht auf das Schwanken geachtet hatten — zwei der verwitterten Stangen brachen unter Sturmlechners wuchtigen Nagelschuhen.
„Macht nix! I kimm schon hoch!“
„Halten Sie sich an meinem Arm!“
„Nix da! I reiss Ihna ja runter!“
„Da ist ja der Bär! — Ganz dicht schon hinter Ihnen!“ schrillte Lobelias Stimme voll Verzweiflung durch die Todeseinsamkeit.
„Na, na! Ich bin ja schon droben!“ — Einen letzten energischen Schwung — Herr Aloys krallte sich an den Holzpfosten und zog sich empor.
Der Schweiss rann von seiner Stirn, er stand momentan und atmete schwer auf.
„Nun fassens mit an, Herr Oberst, dass wir die Leiter umstürzen!“
„Glauben Sie, die Bestie folgt uns!“
Wieder schrie Lobelia gellend auf vor Entsetzen, Welten aber und Sturmlechner radderten mit der Kraft der Verzweiflung an der Leiter.
„Gottlob! Sie ist ja nur hier mit Haken in die Bohle gehängt!“
„Dann nicht umwerfen, heraufziehen!“
„Gewiss noch besser!“
„Sie kommt ganz leicht hoch.“
„Zurück, Gnädige. Gebt’s a Raum!“
Die Leiter schwankte einen Augenblick über dem Köpfchen der jungen Dame, dann fiel sie mit dumpfem Schlag auf das Heu nieder.
„Gerettet!“ keuchte Welten auf. — „Soviel ich von Bären gehört habe, folgen sie in keinen geschlossenen Raum, und der Stadel ist ja an den Wetterseiten mit Brettern verschalt.“
„Hier herauf kommt er nimmer!“ nickte der Österreicher und wischte sich mit dem Sacktuch die Stirn. „Das einzige wäre, dass er sich gegen die Balken stemmt und die wurmstichige alte Sache hier ins Wanken bringt!“
„Die Stämme scheinen sehr fest! Sehen Sie doch die Lasten, die sie tragen müssen!“
Lobelia war bleich, vor Entsetzen auf die Knie gebrochen und hatte die Hände wie in schaudernder Abwehr vor das farblose Antlitz geschlagen.
„Da ist er! — Jetzt, in diesem Augenblick hätte er uns erreicht, wenn der Heuschuppen nicht gewesen wäre!“
„Ein furchtbarer, ein riesiger Kerl!“
„Alt ausgewachsener Bär!“
„Das Herz muss ja dem Mutigsten stocken, dass es zu schlagen aufhört, wenn man so ein Ungeheuer als Feind schaut!“
„Diese grässlichen Augen! Wie er hier heraufstiert! — Solch ein Anblick ist ja gar nicht zu ertragen!“
Herr von Welten legte den Arm beruhigend um die Zitternde.
„Sieh nicht mehr hinab, Kind! — Komm, wir machen dir ein warmes, weiches Lager hier im Heu.“
„Ich habe keine Ruhe dazu.“ schluchzte Fräulein von Welten, und ihre Zähne