Da ergriff der junge Mann den Fisch und schlug ihm den Kopf mit solcher Macht auf, daß dieser fast davonflog.
»Nun ist er gewiß ganz tot,« sagte der Bursche, »ich kann ihm aber auch noch den Bauch aufschlitzen, wenn Sie wollen.« Bereitwilligst reichte Frida ein Messer her. Sie gewann immer mehr Vertrauen zu ihrem Küchenjungen.
»Können Sie ihn vielleicht auch ausnehmen?«
»Ich habe es zwar noch nie getan, aber so fest wird’s nicht sein, daß ich’s nicht herausreißen kann. Wollen Sie nicht zusehen, ob ich’s recht mache?«
»Ich sehe es gut aus der Ferne,« sagte vom Herd aus Frida, die ihr Grauen vor dem Fisch gar nicht mehr los werden konnte.
»Darf man alles herausreißen, was darinnen ist?«
»Nehmen Sie nur alles heraus, was gut ist, kann ich ja wieder hineintun.«
Der Bursche brauchte nicht einmal seine ganze Kraft, um den Fisch auszunehmen, und er machte seine Sache ganz geschickt.
Nun war Frida wieder in glücklicher Stimmung. Ihr Mißtrauen gegen den Tod des Tieres war verschwunden und eifrig machte sie sich daran, den Fisch kunstgerecht zuzubereiten.
»Kann ich dem Fräulein sonst noch etwas helfen?« fragte der Bursche. »O ja, bitte, wenn Sie mir noch helfen wollten, kleine Kartoffeln zu richten, wäre ich recht froh.«
Einträchtig machten sich die Beiden an dies Geschäft und Frida erzählte dabei ihr Mißgeschick mit dem Braten.
»Man wird ihn doch noch essen können,« tröstete der Handwerksbursche.
»Ach nein, sehen Sie nur her, wie schrecklich er aussieht!« Er fand es nicht so schrecklich, sondern behauptete, da wären noch manche Leute froh daran. »Wenn Sie ihn vielleicht mitnehmen wollten,« sagte Frida ganz schüchtern, »dann müßte ich ihn doch nicht mehr sehen und ungesund ist es, glaube ich, nicht.«
»Durchaus nicht,« versicherte der Bursche. Der Braten wurde eingewickelt und verschwand in der Tasche des jungen Mannes, der sich nun dankbar entfernen wollte. Frida aber schenkte ihm für seine Hilfe noch ein Stück Geld und dankte ihm sehr. Vergnügt eilte der Handwerksbursche die Treppe hinunter, auf der ihm Fridas Mutter begegnete. Diese hatte sich bei ihrem Besuch verspätet und kam eiligst herauf. Als sie von Frida hörte, daß ein Gast angekommen sei, war ihre erste Frage:
»Ist auch der Braten gut geworden?«
»Ach nein, Mutter, der ist verbrannt, solange ich den Herrn unterhalten mußte. Aber wir haben einen prächtigen Fisch für heute mittag!«
»Einen Fisch? Woher?«
»Von der Köchin des Herrn Dr.
N.; sie war da, um Euch – oder nein, ich glaube bloß den Vater, auf morgen – oder nein – ich glaube auf übermorgen einzuladen.«
»Aber Kind, wo hattest du denn deine Gedanken?«
»Ach, bei dem Fisch!«
»Nun laß nur den Braten sehen, wir schneiden noch die schönsten Stücke auf.«
»Es geht nicht, Mutter.«
»Er kann doch nicht ganz verbrannt sein?«
»Ich mochte ihn gar nicht mehr sehen und habe ihn dem Handwerksburschen mitgegeben, der mir den schrecklichen Fisch totschlug!«
»Kind, du wirst doch den dreipfündigen Rindsbraten nicht hergegeben haben?«
Alle weiteren Erörterungen wurden durch den Gast abgeschnitten, der, als er die Stimme der Hausfrau hörte, herauskam, sie lebhaft begrüßte und in Beschlag nahm. Als Frida bei Tisch den wohlgeratenen Fisch auftrug, erntete sie großes Lob, aber sie schlug beschämt die Augen nieder und dachte an den verbrannten Braten. Die Herren aber waren in heiterer Stimmung.
»Aha,« sprach der Gast, »da merkt man doch gleich, daß man in einer katholischen Stadt ist, ihr habt heute, am Freitag, Fisch. Ich finde es sehr hübsch, wenn man sich nach der Sitte des Ortes richtet.«
Als am Abend der Gast fort war und die Mutter alles erfahren hatte, berechnete sie im stillen: Ein feiner Fisch und ein Trinkgeld dem Mädchen, ein dreipfündiger Rindsbraten und ein Trinkgeld dem Handwerksburschen – und sie kam zu dem Schluß, auch den dringendsten Besuch nie mehr vor Tisch zu machen.
Der Handwerksbursche zehrte mittags und abends an dem Braten, von dem er nur die verbrannte Rinde abgelöst hatte, und er fragte sich, ob er es wohl noch einmal in seinem Leben zu so einem kräftigen Stück Fleisch bringen werde.
Frida aber tat um Mitternacht einen lauten Schrei, denn ihr träumte, der Fisch sei vom Tisch herunter und in ihren Schoß gesprungen!
Ein Wunderkind.
Wunderkinder gibt es aller Art. Solche, die wie Mozart mit drei Jahren Klavier spielen, andere, die im gleichen Alter mehrere Sprachen lesen können.
Von einem Wunderkind ganz eigener Art möchte ich erzählen. Mein Wunderkind heißt Fridolin und ist das älteste Kind von armen Arbeitersleuten. Es war sechs Jahre alt geworden, ohne daß jemand ahnte, was für ein besonderes Geschick in dem Kleinen steckte, bis eines Tages der Vater zu ihm sagte: »Nimm meinen Sonntagsrock und trag ihn zum Schneider, daß er den Riß am Ärmel flicke.« Fridolin trug den Rock zum Schneider und dieser versprach, den Schaden wieder gut zu machen. »Ich will darauf warten,« sagte Fridolin. »So schnell geht’s nicht,« entgegnete der Schneider; »ich habe vorher noch anderes zu nähen.« »Ich kann ja warten,« wiederholte das kleine Bürschlein. »Da dürftest du lange warten,« meinte der Schneider, »geh du nur wieder heim.« »Ich kann auch lang warten,« versetzte der Kleine und rührte sich nicht von der Stelle. Zwei junge Burschen, ein Geselle und ein Lehrling, die auch an der Arbeit saßen, lachten über den Kleinen, der sich nicht vertreiben ließ; da lachte der Schneider auch, legte den Rock beiseite, setzte sich an die Arbeit und sagte zu seinem Gesellen: »Laß den Knirps nur stehen, er wird schon bald genug kriegen.« Aber Fridolin bekam nicht genug. Er stand hinter dem Gesellen und sah ihm zu, wie er Knopflöcher nähte. Acht Uhr war es wie er gekommen war, und um zehn Uhr stand er noch da. – Nun trat die Meisterin ins Zimmer mit Bier und Brot, und der Meister setzte sich mit dem Gesellen an den Tisch. Fridolin aber, ohne ein Wort zu sagen, nahm den Platz ein, an dem der Geselle gearbeitet hatte, und ergriff die Arbeit, die jener beiseite gelegt hatte. Der Schneider beobachtete den wunderlichen Kleinen aus der Ferne; als er aber merkte, daß er sich an des Gesellen Arbeit vergriff, trat er leise hinter ihn und sah ihm zu. Dann winkte er den Gesellen und alle drei sahen mit Staunen, wie die Kinderfingerchen die Nadel behend durch den dicken Stoff schoben, wie Stich an Stich kam, daß auch nicht fadenbreit dazwischen fehlte, und wie das Schneiderlein so in seine Arbeit vertieft war, daß es nicht einmal nach ihnen aufschaute. »Wer hat dich gelehrt, Knopflöcher machen?« fragte jetzt der Schneider. »Der da!« antwortete Fridolin und deutete auf den Gesellen, dem er vorher zugesehen hatte. Da staunte der Meister und fragte den Kleinen nach allerlei: ob er zu Hause auch schon genäht habe, woher er’s könne usw., aber es war aus dem Büblein nicht viel herauszubringen. Nun tat’s ihm der Schneider zulieb und machte sich an das Ausbessern des Rockes, den Fridolin gebracht hatte, und der Kleine stand dabei und verwandte kein Auge davon. Als die Arbeit fertig war und Fridolin mit dem Rock gehen wollte, sagte der Schneider zu ihm: »Dich freut unser Handwerk, das seh’ ich, komm du nur ein andermal wieder, wenn du zusehen willst.«
Als am nächsten Morgen in aller Frühe die Meisterin aus der Türe trat, um droben in der Kammer den Lehrbuben zu wecken, saß der kleine Fridolin auf der Treppe und sagte: »Ich will nähen helfen.« Da ließ ihn die Meisterin ein und der Schneider gab ihm eine Arbeit, von der er dachte: