Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
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auch wenn sie sich unglücklich darüber aussprechen sollte; es kann mich nicht kränken, sie kennt mich ja noch nicht.«

      Der Direktor versprach es. In glücklicher Stimmung verbrachte er diesen Abend mit seiner Braut, und ehe er sich von ihr trennte, wurde der Hochzeitstag festgesetzt.

      Der Direktor hatte in den letzten Jahren kein schönes Familienleben genossen. Verschiedene Haushälterinnen hatten sich in seinem Hause abgelöst; die eine konnte nicht lange bleiben, die andere wollte er nicht behalten. Zuletzt hatte er gar keine mehr genommen, ein bewährtes Dienstmädchen hatte den Haushalt so notdürftig in Ordnung gehalten. Fröhlichen Herzens reiste er nun heim, endlich stand ihm wieder ein glückliches, behagliches Familienleben in Aussicht und seinem Kinde die richtige Leitung. Das Dienstmädchen wollte er vor der Hochzeit wechseln, es war zu sehr Herrin im Haus geworden, die zukünftige Hausfrau sollte nicht unter ihm zu leiden haben.

      Allerlei Geschäfte erwarteten bei seiner Heimkehr den Direktor; erst nachmittags fand er eine günstige Viertelstunde, um mit seiner Tochter zu sprechen. Er pflegte sonst um diese Zeit allein bei einer Tasse Kaffee seine Zeitung zu lesen. Heute rief er Berta herbei. »Du kannst auch einmal eine Tasse Kaffee mit mir trinken, Berta,« sagte er, »dabei erzähle ich dir von meiner Reise und wir feiern ganz heimlich ein kleines Fest.«

      Das Mädchen sah ihn groß an. »Der Kaffee reicht nur für dich, Vater, und was sollen wir denn feiern?« Dabei setzte sie sich aber doch neben ihn und sah sehr begierig zu ihm auf.

      »Meine Verlobung mit der Witwe Frau Missionar Gruner,« sagte er und fügte hinzu: »Sie läßt dich grüßen als ihre zukünftige Tochter; im nächsten Monat soll unsere Hochzeit sein.«

      Berta nahm diese Nachricht sehr ruhig auf. »Das ist recht,« sagte sie, »das ist viel gescheiter als die Haushälterinnen, die immer wieder wechseln, die bleibt dann doch!«

      »Ja, das ist zu hoffen,« sagte der Vater.

      »Welcher ist sie ähnlich von allen, die wir schon gehabt haben?« fragte Berta.

      »Keiner; du mußt sie dir nicht wie eine Haushälterin denken, sondern wie eine Frau, die dir Mutterliebe entgegenbringt, aber auch Liebe von dir verlangt.«

      »O weh, Vater,« sagte Berta mit komischem Entsetzen, »Liebe habe ich gar keine. Weißt du noch die erste Haushälterin, die zärtliche Fräulein Schmidt, die immer wollte, ich sollte sie lieb haben wie ein Kind, und die mich immer küßte, weißt du die noch? Die war mir von allen die Schrecklichste!«

      »Laß doch einmal die Haushälterinnen beiseite,« sagte der Vater ärgerlich, »vollends Fräulein Schmidt; deine künftige Mutter hat auch nicht die Spur von Ähnlichkeit mit ihr. Wenn du nicht ein ganz liebeleeres Herz hast, so wirst du der Frau mit Liebe entgegenkommen, die uns ersetzen will, was wir an deiner Mama verloren haben.« Berta schwieg. Sie besann sich über sich selbst und kam zu dem traurigen Schluß, daß sie wohl in der Tat ein ganz liebeleeres Herz habe, aber sie sprach es nicht aus. Und nun erzählte der Direktor seinem Kinde von den früheren Schicksalen der künftigen Mutter. Aber als er im besten Erzählen und sie im gespannten Zuhören war, wurden sie unterbrochen; denn Lisette, das Dienstmädchen, kam herein und meldete, daß Luise und Lore, zwei Freundinnen von Berta, gekommen seien, sie zu besuchen. Ärgerlich über die Störung sprach der Direktor: »Warum kommen die beiden schon wieder? Sie waren doch erst vor einigen Tagen da.«

      »Mir ist’s selbst nicht recht, daß sie fast täglich kommen und immer so lange bleiben; aber ich kann es doch nicht ändern,« erwiderte Berta und ging hinaus zu den beiden Schulfreundinnen, die ihr in diesem Augenblick sehr ungelegen kamen. »Das muß alles anders werden,« sprach der Vater vor sich hin, »es tut not, daß eine Hausfrau für Ordnung in all diesen Dingen sorgt und Bertas Verkehr überwacht.«

      Die beiden Mädchen waren inzwischen ins Wohnzimmer geführt worden, wo sie unaufgefordert ihre Hüte ablegten, so daß Berta wohl merken konnte, sie würden so bald nicht wieder gehen. Sie hätte jetzt doch so gerne über das nachgedacht, was der Vater ihr mitgeteilt hatte, und hätte ihn noch vieles fragen mögen. Unmöglich konnte sie wie sonst lustig mit den Freundinnen plaudern.

      »Was hast du denn?« fragte Luise endlich. »Du bist ja gar nicht wie sonst!«

      »Ich habe es auch schon bemerkt, was hast du denn?« fragte Lorchen; und nun drängten sich die beiden Mädchen an Berta und fragten und plagten sie so lange, bis sie ihnen endlich mitteilte, was der Vater ihr anvertraut hatte. »Nun begreife ich’s, daß du so ernsthaft aussiehst,« sagte Luise, »es wird alles ganz anders werden bei euch.«

      »Du hast’s auch gar so schön gehabt, wie eine kleine Hausfrau;« und Lorchen griff an den silbernen Schlüsselhaken, den Berta an ihrer Schürze trug. Er war von ihrer Mama und nach deren Tode hatte ihn Berta sich ausgebeten und einige Schlüssel darangehängt. »Die Schlüssel wird sie hergeben müssen, glaubst du nicht?« sagte Lore zu Luise. »Natürlich, die wird ihr die Mutter abverlangen,« sagte Luise.

      Berta war herzlich froh, als die beiden sich endlich verabschiedeten und sie allein war. Sie suchte nach dem Vater, er war inzwischen ausgegangen; sie ging zu Lisette in die Küche, fand diese mit verweinten Augen am Herd stehen und hörte, daß ihr gekündigt worden war. Berta war sehr bestürzt; Lisette hatte immer treulich zu ihr gehalten, sie hatten sich lieb gehabt, die beiden. Ja, die Freundinnen hatten recht, alles wurde nun anders. Berta schlich sich traurig ins Zimmer, schloß den Schreibtisch auf, in dem sie ihr Tagebuch verwahrte, und während sie sonst oft über kleine Erlebnisse ihr Herz darin ausgeschüttet hatte, schrieb sie heute nur die wenigen Worte hinein: »Lisette geht. Ich bekomme eine zweite Mutter.«

      Die Braut erhielt an diesem Abend einen getreuen Bericht darüber, wie Berta die Mitteilung aufgenommen habe. Sie las ihn aufmerksam und sagte sich dann: »Wenn sich das Kind nur vor meiner Liebe fürchtet, werde ich leicht fertig werden mit ihm.«

      In den nächsten Wochen war ein geschäftiges Leben und Treiben im Haus des Direktors. Maurer und Tapezierer, Handwerksleute aller Art trieben ihr Wesen, um die ganze Wohnung schön herzustellen; und als sie alle endlich ihr Werk vollendet hatten, begann Lisette das ihrige und reinigte und putzte, bis alles nur so glänzte vor Sauberkeit.

      »Es soll mir niemand nachsagen, daß ich das Haus nicht ordentlich übergeben habe,« sagte sie und tat ihre Pflicht, obwohl sie wußte, daß sie nicht mehr da sein würde, um den Dank der neuen Hausfrau zu ernten. In einem besonderen Stübchen saß eine Kleidermacherin und fertigte für Berta ein weißes Kleid an, duftig und fein wie sie noch nie eines gehabt hatte. Eben hatte sie es zur Probe angezogen, da rief der Vater nach ihr. »Berta,« sagte er, als sie zu ihm kam, »ich finde den Schlüssel zum Schreibtisch nicht!«

      »Zu meinem Schreibtisch?« fragte Berta und griff nach ihrem Schlüsselbund.

      »Zu deinem? Nun, zu dem schönen Schreibtisch im Besuchszimmer, der gehört doch nicht dir! Gib einmal den Schlüssel!«

      Berta reichte ihn dem Vater hin. Er öffnete eine Schublade. »Die Sachen sind wohl von dir, die müssen natürlich alle heraus.«

      »Aber Vater, warum denn? Der Schreibtisch gehört doch mir, seit Mama tot ist, und ich habe auch alle die kleinen Fächer und Schubladen voll Andenken und wichtigen Sachen!«

      »Die Sachen werden so wichtig nicht sein, du mußt sie jetzt anderswo unterbringen. Es versteht sich doch von selbst; wo hat ein Kind wie du solch einen Schreibtisch! Die Mutter wird ihn brauchen, nimm also diese Dinge heraus und sage Lisette, sie solle die Schubladen ausputzen!«

      Der Vater ging, Berta aber stand ratlos da. Wo sollte sie alles hinräumen und warum mußte sie gerade den Schreibtisch hergeben, in dessen Besitz sie so glücklich und stolz gewesen war? Sie wollte es ja tun, nur sollte man nicht von ihr verlangen, daß sie mit Liebe der Frau entgegensehe, die ihr schon jetzt solche Opfer auferlegte. Mit bitterem Unmut nahm sie die Schätze heraus aus den kleinen Fächern und Schubladen, um den Platz frei zu machen für die Mutter; und Lisette, die sie an dieser Arbeit traf, sagte teilnahmsvoll: »Mußt du weichen? Ja, ja, ich muß ja auch den Platz räumen.«

      Der Hochzeitstag nahte, Berta sah mit klopfendem Herzen dem Augenblick entgegen, wo sie zum erstenmal