Sie war aber ungnädig, die Mama, einen Klaps gab sie ihm, weiter nichts, und eilte an dem weinenden Töchterchen vorbei rasch zu ihrem Mann. »Da ist die Halsbinde.«
»Wo war sie denn?« Die Mama wollte des Vaters Zorn nicht auf des Kleinen Haupt laden. »Entschuldige,« sagte sie, »ich höre jemand kommen.« Ein Mädchen war draußen. »Höfliche Empfehlungen von Fräulein Keller und sie habe doch noch ins andere Geschäft geschickt, und da seien zwei Binden zur Auswahl.«
»So, so, das ist ja recht freundlich, ich lasse danken.« Und nun kam Anne schnaufend daher: »Der Herr Oberamtmann befinden sich schlechter und können nicht ausgehen. Frau Oberamtmann schickt die beiden Halsbinden, die sie zur Auswahl genommen habe.« Nun waren genug weiße Binden im Haus. Die Frau Stadtschultheiß ließ sich’s aber nicht merken. »Das ist recht, Anne,« sagte sie, »du glühst ja ganz.«
»Es ist bloß von der Hitze,« antwortete das gute Mädchen.
»Setze dich zu der Kleinen ans Bettchen, ruhe dich ein wenig aus; gib ihr die Flasche vollends, wenn die Milch nicht zu kalt geworden ist.«
Anne ging zu dem Kind. »Sie schläft ja,« sagte sie.
»So? Hat sie die Hoffnung aufgegeben, da hat sie recht; es ist eine verständige Tochter.«
Der Stadtschultheiß kam nun im festlichen Anzug zum Vorschein und schickte sich an zu gehen.
»Wann kommst du wieder?« fragte seine Frau.
»Ich weiß nicht. Um elf Uhr Empfang, dann auf die Wiese zur Ausstellung; um zwölf Uhr etwa in die Bauernstube – da sehen wir uns wohl einen Augenblick; um ein Uhr Festessen, dann Preisverteilung auf der Wiese. Mit einbrechender Dunkelheit Stadtbeleuchtung – dazu wird dir ja unser Hausherr helfen; dann Felsenbeleuchtung; sodann Abfahrt des Prinzen und der Prinzessin. Zum Abendessen haben wir Herren uns in den Schwan verabredet. Es kann spät werden, ich will den Hausschlüssel mitnehmen.«
Kürzer als sonst, wenn es sich um einen ganzen Tag handelte, verabschiedete sich Römer. Seine Frau wußte nicht recht, war er nur ganz mit seinen Gedanken beschäftigt oder war er nicht recht zufrieden mit ihr. Sie jedenfalls war mit sich selbst nicht zufrieden; er hatte sich heute morgen vom Rathaus heimgeflüchtet und hatte zu Hause nur Verdruß gehabt, das ging ihr nach und bedrückte sie. Kurz vor elf Uhr fuhren die Wagen am Haus vorbei, die die Gäste abholen sollten; in einem saß ihr Mann, er war im Gespräch mit einem anderen Herrn und sah nicht herauf nach dem Fenster, an dem seine Frau stand, mit der Kleinen auf dem Arm, und ihm gern einen Gruß zugewinkt hätte.
Gegen zwölf Uhr machte sie sich mit Hans auf den Weg nach der Bauernstube. Sie begegneten dem Polizeidiener Hagemann.
»Wie ist es denn heute morgen mit der Wäscherin gegangen?« fragte sie ihn.
»Wie ich komme und richte aus, daß die Wäsche polizeilich abgezogen werden soll, sagt die Matzbeck zu mir: ›Was wollen Sie denn? Die Wäsche ist ja schon trocken, die muß ich so wie so abziehen‹, und sie hat sie heruntergenommen.«
»Ist die wirklich so schnell getrocknet?«
»Bewahre, Frau Stadtschultheiß, die Matzbeck hat nur so gesagt, wie sie den Ernst gemerkt hat, weil halt die Weiber immer recht behalten müssen!«
In dem Gemach, das als Bauernstube eingerichtet war, hatten sich einige Damen versammelt, denen der Vorzug zuteil werden sollte, das junge prinzliche Ehepaar zu sehen. Unter ihnen war als jüngste unsere Frau Stadtschultheiß mit ihrem kleinen Jungen, der sich ganz prächtig in bäuerlicher Tracht ausnahm. Er stand nahe dem Fenster hinter seiner kleinen Bäuerin, dem Töchterlein des Oberamtmanns, das man an einen Spinnrocken gesetzt hatte; es war ein nettes Pärchen. Eine der anwesenden Damen, die Frau eines Fabrikbesitzers, die in jungen Jahren als Erzieherin im Hause der Prinzessin angestellt war, gab den Kindern Verhaltungsmaßregeln, wie sie beim Eintritt der Gäste knicksen sollten und wie Hans dann, wenn sie ihm einen Wink gäbe, der Prinzessin den Strauß überreichen sollte.
Im Hintergrund des Zimmers stand ein riesiger Kleiderkasten und neben diesem, unter der geöffneten Türe eines Nebengemachs, hielten sich die Damen auf, um den Eindruck der Bauernstube nicht zu stören. Den Müttern des Pärchens war es nicht behaglich zumute, um so mehr als die Kinder anfingen, ungeduldig und mißmutig zu werden, und Frau Römer dachte daran, was ihr Mann von der Unsicherheit der kleinen Kinder gesagt hatte. Heute wäre es ihr ganz besonders leid gewesen, wenn ihr Hans irgend welche Störung verursacht hätte. Nun hörte man die Erwarteten kommen; rasch zogen sich die Damen zurück, nur die Frau des Fabrikbesitzers als persönliche Bekannte der Prinzessin hielt sich in der Nähe der Kinder, grüßte nun mit einer tadellosen Verbeugung die Eintretenden und wurde auch von der jungen Prinzessin sofort erkannt und begrüßt. Hinter den hohen, jugendlichen Gestalten des Prinzen und seiner Gemahlin erschienen als Begleiter mehrere Herren, worunter der Stadtschultheiß und der Vorstand des Landwirtschaftlichen Vereins, der nun auf alle Eigentümlichkeiten der schwäbischen Bauernstube aufmerksam machte. »Einige Damen,« sagte er, indem er in den Hintergrund deutete, »haben sich besonders bemüht um die getreue Ausstattung und haben auch echte kleine Bewohner gestellt.«
Die Prinzessin näherte sich freundlich den Kindern, der Prinz folgte, an seiner Seite der Stadtschultheiß. »Was stellst du denn vor?« fragte die Prinzessin das kleine Mädchen, sich freundlich zu ihr beugend.
»Ich bin eine Bäuerin von der schwäbischen Alb,« antwortete die Kleine mit höflichem Knicks. »Und du?« fragte sie, sich Hans zuwendend. Der sah sehr ernsthaft zu der schönen jungen Frau auf und antwortete mit tiefer Empfindung: »Ich bin ein geplagter Mann.« Über diese unverhoffte Antwort entstand große Heiterkeit. Der Prinz lachte laut und herzlich und sagte dann, zu Römer gewandt: »Da muß man unwillkürlich fragen, was ist denn der Papa dieses Kleinen?«
Römer sagte lächelnd: »Er ist hier Stadtschultheiß.«
»Das läßt allerlei Schlüsse zu,« entgegnete heiter der Prinz; »ja, ja, an dieser Äußerung bin ich vielleicht gar nicht ganz unschuldig!«
Hans hielt noch immer seinen Strauß, obwohl er schon leichte Winke von verschiedenen Seiten bekommen hatte. Die Dame, die hinter ihm stand, merkte, daß sie deutlicher werden mußte. »Hans,« sagte sie, »du willst ja deinen Strauß der Frau Prinzessin geben!«
»Oder vielleicht der Mama?« rief der Kleine und sprang lustig durchs Zimmer auf seine Mutter zu, die sich ganz bescheiden hinter die älteren Damen zurückgezogen hatte. So war denn richtig die Störung eingetreten. Was tun? Eine Unterhandlung konnte Frau Römer nicht mit dem Kind anfangen, so folgte sie einer raschen Eingebung, nahm den Strauß aus der Kinderhand, trat mit Hänschen vor und sagte bittend zur Prinzessin: »Wollen Sie die Blumen wohl von mir annehmen?«
»Ja gewiß, gern,« sagte die Prinzessin liebenswürdig, »was haben Sie für einen prächtigen Jungen, er hat uns den größten Spaß gemacht, der kleine geplagte Mann.«
Noch ein paar Minuten verweilten die Gäste, dann verließen sie die Stube; der ganze Aufenthalt hatte vielleicht zehn Minuten gedauert und wieviel Arbeit und Überlegung hatte die Herstellung der Bauernstube gekostet!
Die Frauen blieben allein mit den Kindern zurück. Lebhaft wurde das Vorgefallene besprochen. »Es hat sich alles ganz gut gemacht,« entschied schließlich die ehemalige Erzieherin als Sachverständige, »nur das eine war ein faux pas,
liebe Frau Stadtschultheiß, Sie hätten sagen müssen: ›Wollen Königliche Hoheit die Blumen annehmen‹; wollen ›Sie‹ ist doch gar zu vertraulich. Aber die Prinzessin wird es Ihnen nicht nachtragen,« setzte sie begütigend hinzu.
Der jungen Frau Römer war es beklommen zumute. Wie die prinzlichen Hoheiten