Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
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vor dem Fenster so kahl dastand und seine dürren Äste über die Gartenmauer streckte, und sie sagte: »Wenn die Akazie wieder grüne Blätter bekommt, dann wirst du wieder gesund.« Von nun an sah Lenchen von ihrem Bett aus alle Tage durchs Fenster, ob die Akazie noch keine grünen Blätter zeigte, und sehnte sich danach.

      Der Winter verging, die gute Schwester Berta kam fort, eine andere Schwester kam und pflegte die Kinder. Es wurde Frühling, alle Hecken und Büsche trieben Blätter, viele Bäume blühten schon, nur allein die Akazie stand noch kahl, wie im Winter.

      »Ach Schwester Marie,« seufzte Lenchen, »wann wird denn endlich die Akazie grün?« Da sah Schwester Marie hinaus auf den blätterlosen Baum; sie wußte nicht, daß die Akazien alle Jahre später grün werden als die andern Bäume, und da sie den kahlen Baum sah, antwortete sie: »Der wird wohl nie mehr grün, der ist abgestorben.« Da erschrak Lenchen und dachte bei sich: »dann werde ich auch nimmer gesund, dann bin ich auch abgestorben,« und das arme Kind weinte still in seinem Bettchen, wandte sich ab vom Fenster und wollte gar nicht mehr hinaussehen. Die Schwester wußte aber nicht warum und sagte eines Tages zum Arzt: »Ich glaube, dem Kind tun die Augen weh, es wendet sich immer ab vom Fenster.«

      »Dann muß man einen Wandschirm vor sein Bett stellen,« sagte der Arzt, »damit es nicht ins Helle sieht.« So kam eine Wand vor Lenchens Bett, und es konnte das Fenster nicht mehr sehen.

      Viele Wochen vergingen, alle Kinder, die man im Winter ins Spital gebracht hatte, waren längst wieder fort, nur mit Lenchen wurde es nicht besser. »Willst du nicht versuchen aufzustehen?« fragte manchmal Schwester Marie das stille Kind.

      »Ich kann nicht, ich bin ja abgestorben,« sagte die Kleine und man ließ sie liegen.

      Eines Tages sprach der Arzt: »Ich begreife gar nicht, warum es mit diesem Kind nicht vorwärts geht. Schwester, tragen Sie einmal die Kleine vor an das Fenster, damit ich sie besser sehen kann.« Lenchen wollte nicht ans Fenster, denn sie mochte den abgestorbenen Baum nicht sehen, aber Schwester Marie nahm sie auf den Arm und tat, wie der Arzt verlangt hatte. Lenchen drückte die Augen fest zu. Am Fenster stand der Arzt. »Augen auf!« befahl er. Da folgte sie und öffnete die Augen. Ihr erster Blick fiel auf die Akazie und siehe, der Baum war über und über voll grüner Blättchen, die wiegten sich im Sonnenschein und der blaue Himmel glänzte zwischen den Zweigen hindurch, die freundlich über die Mauer herübergrüßten. Da jubelte Lenchen laut auf und rief: »Die Akazie ist grün, jetzt bin ich gesund, Schwester Berta hat es gesagt!«

      Der Arzt und die Schwester sahen sich sehr verwundert an, denn sie verstanden gar nicht, was das Kind meinte, aber sie freuten sich, daß Lenchen so glücklich war. Lange, lange blieb sie am Fenster und konnte sich nicht satt sehen an dem grünen Baum, und als noch einige Tage vorüber waren, da spielte sie drunten im Garten mit andern Kindern unter dem schönen Akazienbaum und war bald wieder frisch und gesund.

      Wie Johannes Ruhn Kaufmann wurde.

       Inhaltsverzeichnis

      Die große Frage, was einst aus ihm werden solle, war für Johannes Ruhn schon gelöst, lange ehe er aus der Schule kam; denn er hatte eine solch ausgesprochene Neigung zum Kaufmannsstand, daß seine Gedanken ganz und gar davon erfüllt waren. Sein Vater, ein tüchtiger und verständiger Mann, seines Zeichens ein Bahnarbeiter, war allerdings der Ansicht, daß für den kaufmännischen Beruf etwas Vermögen not täte, und er hatte das seinige nicht in Wertpapieren angelegt, der ganze Reichtum, den er besaß, war eine Frau und fünf Kinder. Deshalb äußerte Vater Ruhn manchmal Bedenken über die Zukunftspläne seines Ältesten; aber wenn er seinen Johannes beobachtete, wie der mit hellen Augen ins Leben sah, oder wenn er ihn von seinem zukünftigen Berufe reden hörte, dann hatte er, ohne recht sagen zu können woran es lag, den Eindruck: der wird auch ohne Vermögen vorwärts kommen. Auch seine Frau, die sonst eine sorgliche, schüchterne Art hatte, meinte von ihrem Johannes: »Den lassen wir nur machen, er findet schon seinen Weg, wenn nur alle so hell wären, wie der!«

      Als nun der Junge aus der Schule kam, gingen die Eltern mit bester Zuversicht daran, ihm eine Lehrstelle ausfindig zu machen. Der Vater hielt Umfrage, die Mutter kaufte kein Salz und kein Schmalz, ohne mit der Frage zu schließen, ob eine Lehrstelle frei sei; Johannes selbst stellte sich da und dort vor – aber es wollte nicht gelingen und die gute Zuversicht verlor sich mit jeder Woche mehr. In manchem Geschäft wäre wohl Platz gewesen, aber es wurde Lehrgeld verlangt oder höhere Ausbildung und beides stand Johannes nicht zur Verfügung. Andere besahen sich den Jungen, doch ihrem Blick entging das Besondere, das die Eltern an ihm kannten; sie sahen nur die für sein Alter noch etwas kleine, zarte Gestalt, nicht die hellen Augen, die aus dem offenen Gesicht strahlten und von Unternehmungslust glänzten. Es boten sich so viele kräftige, derbe Burschen an, ihnen wurde der Vorzug gegeben, und niemand wollte Johannes.

      So ging der Sommer hin, der Herbst kam, es fand sich kein Plätzchen, immer kleinmütiger wurde die Stimmung bei Vater, Mutter und Sohn.

      Dieser machte sich einstweilen daheim nützlich. Die Mutter konnte ruhig auswärts Arbeit annehmen, ihr Großer ersetzte ihr Kindsmagd und Köchin, denn zur Untätigkeit war seine Natur nicht angelegt, er mußte immer zu tun haben, sonst war ihm nicht wohl. Aber trotz seines guten Willens vergaß er von dieser Hausarbeit, die ihm nun zufiel, doch so manches, und das kam daher, daß seine Gedanken nicht bei der Sache waren; die arbeiteten unablässig und suchten nach Mittel und Wegen, um das ersehnte Ziel zu erreichen: Kaufmann zu werden. Wollte man ihn in keinem Geschäft aufnehmen, so mußte es anderswie gehen.

      Und es kam der Tag der Eingebung, die Stunde, in der seine hellen Augen plötzlich den Weg vor sich sahen, den er gehen mußte.

      Lange hatte er, sinnend am Fenster stehend, in den abendlichen Herbstnebel hinausgeschaut; von dort war ihm das Licht nicht gekommen, aber woher sonst? Was ist es doch für ein geheimnisvoller Hergang, wenn wir nachdenken, so lange, bis unserem Geist plötzlich aufleuchtet, was uns ohne dieses Besinnen dunkel geblieben wäre?

      Johannes Ruhn hätte auch nicht sagen können, wie es zugegangen, daß er plötzlich wußte, was er tun mußte; aber er war glückselig über diese Klarheit. Sein gutes, noch kindliches Gesicht strahlte vor Freude und die Lust belebte seinen ganzen Menschen, er stemmte die Hände auf das Fensterbrett, hob sich vom Boden und warf die Beine hinaus wie ein junges Füllen.

      Und dann begann für den kleinen Geschäftsmann die Arbeit. Die erste mußte sein: Vater und Mutter für seinen Plan zu gewinnen. Am Abend, als die kleinen Geschwister zu Bette waren, begann er mit Herzklopfen seine Gedanken zu entwickeln: Weil er in keinem Geschäft ankomme, müsse er selbst eines beginnen, und weil kein Geld da sei, müsse er etwas verkaufen, was ihn selbst nichts koste, was er geschenkt bekäme. Er wußte schon etwas, nämlich: alte Kistchen, Büchsen und Pappschachteln; die bekomme man umsonst in den Läden und auch von seinen Kameraden würde ihm jeder welche schenken. Wenn er die alle sauber herrichten und ausbessern würde, und hätte dann einen ganzen Haufen in allen Größen und Formen, dann könnte er sie verkaufen, vor Weihnachten, wo jedermann Pakete abschicke, vielleicht auf der Messe oder an einer Straßenecke, und alte Packpapiere und Schnüre müßten auch dabei sein. Und wenn er dann etwas Geld verdient habe, dann kaufe er noch Siegellack dazu und Adreßkarten und Begleitscheine, daß die Leute alles bequem beieinander hätten, und den Ungeschickten würde er auch helfen zusammenpacken und – – hier unterbrach sich Johannes. Es kam ihm plötzlich zum Bewußtsein, daß er schon eine ganze Weile redete und die Eltern noch immer kein Zeichen von Beifall gaben. So hielt er inne, begierig, was sie sagen würden.

      Es kamen allerlei Einwände. Der Mutter schien der Handel nicht fein genug; ein Trödelgeschäft sei das, und wenn er Trödler sei, komme er nimmer hinauf in den richtigen Kaufmannsstand; und ein kaltes Vergnügen wäre das, im Dezember im Freien seine Ware feilzubieten, da könnte man mehr als einen Schnupfen davontragen; auch denke sie sich’s nicht schön, betteln zu gehen, um so eine Menge Schachteln zusammenzubekommen. Mit diesen und ähnlichen Einwänden wurde aber Johannes leicht fertig; denn ihm erschien der beabsichtigte Handel sehr fein und die Kälte fürchtete er gar nicht und betteln würde er nirgends, nur bitten. Aber nun kam ein anderes,