Lisa schnappte nach Luft. Glücklicherweise hatte Ramona Räther die Worte ihres Kollegen mitbekommen.
»Diesmal gab es keine Probleme mit der Narkose. Es ist alles gut gegangen. Wenn alles wie geplant verläuft, haben wir keine Komplikationen zu befürchten«, versprach sie.
Lammers schickte ihr einen überraschten Blick.
»Genau das habe ich doch gerade gesagt«, bemerkte er beleidigt.
Ramona lachte.
»Ich weiß. Ich habe deine Worte nur für Frau Haimerl übersetzt.« Sie zwinkerte Volker zu, wünschte der Mutter alles Gute, und machte sich auf den Weg zum nächsten Eingriff.
Volker und Lisa blieben allein zurück. Er wollte sich schon verabschieden, als sie ihn zurückhielt.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Dr. Lammers.« Sie sah ihm tapfer in die Augen. »Statt mir eine eigene Meinung zu bilden, habe ich mich von anderen beeinflussen lassen.«
Lammers schnitt eine Grimasse.
»Deshalb habe ich kurz überlegt, ob ich dem Schreihals nicht noch ein Stück mehr abschneide. Aber dann dachte ich, dass ich mehr davon habe, wenn Sie mir als Ausdruck Ihrer unendlichen Dankbarkeit eine Flasche guten Roten zukommen lassen«, erwiderte er.
Lisa beschloss, Ramonas Beispiel zu folgen und seine Worte nicht ernst zu nehmen.
»Einverstanden. Aber zuerst würde ich gern meine Tochter sehen.«
»Sie sollten froh sein, dass Sie mal ihre Ruhe haben.«
Lisa betrachtete den Arzt mit schief gelegtem Kopf.
»Sie können Kinder nicht besonders gut leiden, was?«
»Merkt man das?«, fragte Volker Lammers zurück.
»Warum sind Sie dann ausgerechnet Kinderchirurg geworden?«
»Wegen der Dankbarkeit und Anerkennung der Eltern«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Kein anderer Arzt bekommt so viele Geschenke wie ein Kinderchirurg.« Er nickte ihr zu. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen. Ich habe mich lange genug mit Ihnen beschäftigt. Zeit für einen Kaffee.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und marschierte davon.
Lisa Haimerl sah ihm kopfschüttelnd nach. Was für ein wunderlicher Mann!, ging es ihr durch den Sinn. Doch Hauptsache, er hatte das Leben ihrer Tochter gerettet. Etwas anderes zählte nicht.
*
Müde fuhr sich Dr. Daniel Norden über die Augen. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Schon nach sieben. Doch der Papierberg auf seinem Schreibtisch ließ keinen Gedanken an Feierabend zu.
»Wenigstens eine Pause«, murmelte, hob den Telefonhörer und wählte die Nummer seiner Frau. »Bist du schon auf dem Sprung?«, fragte er, als sie sich meldete.
In Fees Lachen war keine Freude.
»Heute ist so ein Tag, an dem ich das Gefühl habe, der Papierberg auf meinem Schreibtisch wird immer höher. Dabei wollte ich eigentlich mit dir feiern gehen.«
»Wir haben etwas zu feiern?«, erkundigte sich Daniel überrascht.
»Allerdings.« Fee lehnte sich zurück und zwirbelte die Telefonschnur um den Zeigefinger. »Zwei kritische Operationen, die beide gut ausgegangen sind. Wenn das keine Gründe sind …«
»Ich gratuliere, Frau Oberärztin. Was hat übrigens der Kollege Lammers damit zu tun? Mir ist zu Ohren gekommen, dass es Probleme gab.«
Fee lachte leise.
»Sieh mal einer an. Die Klinikpost funktioniert wieder einmal ganz hervorragend. Ich hatte kurz befürchtet, dass Lammers einen fatalen Fehler gemacht hat. Zum Glück war meine Angst unbegründet. Der Ruf meiner Abteilung ist gerettet. « Sie machte eine kunstvolle Pause. »Das erinnert mich übrigens an etwas, das mir zugetragen wurde.«
»Ach ja? Und was?«, fragte Daniel arglos, als es klopfte und Sophie Petzold den Kopf zur Tür hereinsteckte. Als sie sah, dass er telefonierte, wollte sie wieder gehen. Doch Daniel bedeutete ihr zu bleiben. »Sei nicht böse, Fee, ich bekomme gerade Besuch von der Kollegin Petzold. Kann ich dich gleich zurückrufen?«, fragte er.
»Oh, die hübsche Sophie«, entfuhr es ihr gallig. »Keine Eile, mein Lieber. Bestimmt ist es was Wichtiges. Um diese Uhrzeit.«
Daniel verstand die Anspielung nicht.
»Schon möglich. Ich melde mich wieder.« Er legte auf und bot Sophie mit einer Geste den Platz vor seinem Schreibtisch an.
Sie schüttelte den Kopf. Statt sich zu setzen, reichte sie ihm ein Blatt Papier.
»Was ist das?«, fragte Daniel Norden.
Sophie wich seinem Blick aus. Wie eine Schülerin, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte, stand sie vor dem Schreibtisch.
»Ich habe mich auf eine Stelle bei einer Pharmafirma beworben und eine Zusage bekommen.« Sie räuspert sich. »Nächsten Monat kann ich anfangen.«
»Wie bitte?« Daniel verstand nicht. »Zusätzlich? Wann wollen Sie denn das noch machen? Haben Sie mir nicht die ganze Zeit erzählt, wie maßlos überfordert Sie sind?«
Sophie Petzold seufzte. Sie hatte gehofft, dieses Gespräch kurz und schmerzlos hinter sich zu bringen. Jetzt musste sie feststellen, dass das reines Wunschdenken gewesen war.
»Ich kündige, Herr Chefarzt.«
Mit einem Schlag war Daniel hellwach.
»Um in einer Pharmafirma anzufangen?« Er konnte es nicht glauben. »Welches Aufgabengebiet?«
Um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, verschränkte Sophie die Hände auf dem Rücken und reckte die Brust heraus.
»Meine Zuständigkeit umfasst die Beantwortung von medizinisch-wissenschaftlichen oder pharmazeutischen Anfragen von Ärzten oder Apothekern bezüglich unserer Arzneimittel.« In weiser Voraussicht hatte sie die Aufgabenbeschreibung auswendig gelernt. »Außerdem werde ich medizinisch-wissenschaftliche Dokumente und Publikationen zur Wirksamkeit der Präparate erstellen.«
»Da langweile ich mich ja schon beim Zuhören.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Wie kommen Sie nur auf so eine Idee?«
Mit jedem seiner Worte wurde Sophie nervöser. Sie wollte sich nicht rechtfertigen, brachte es aber auch nicht fertig, ihren Chef mit einer fadenscheinigen Begründung abzuspeisen.
»Die Belastung, die Arbeit mit den Patienten … das ist nichts für mich.«
»Das ist doch nicht richtig«, widersprach Daniel spontan. »Ich bin mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden. Sie werden eine hervorragende Fachärztin werden.«
Krampfhaft sah Sophie an ihm vorbei.
»Es tut mir leid. Mein Entschluss steht fest.«
Daniel Norden dachte nach.
»Ich weiß, dass es in letzter Zeit ein paar Meinungsverschiedenheiten gab. Dass Sie hier und da bei den Kollegen angeeckt sind.«
»Nicht nur bei den Kollegen«, fiel sie ihm ins Wort.
»Stimmt, auch bei den Patienten. Aber Sie haben Charakter bewiesen und versucht, Ihren Fehler wiedergutzumachen. Dieses Verhalten verdient allerhöchste Anerkennung.«
»Dummerweise nützt das Frau Endress nichts.« Sophie biss sich auf die Unterlippe.
»Und deshalb wollen Sie sich den Rest Ihres Berufslebens hinter einem Schreibtisch verstecken?« Daniel hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl aus. Er stand auf und kam um den Tisch herum.
»Ich