»Sie sprechen in Rätseln.«
Andrea senkte den Blick. Ihr Lächeln war verlegen. Um ihren Händen etwas zu tun zu geben, schob sie ein paar Akten auf ihrem Tisch ordentlich zusammen.
»Nichts für ungut, Chef. Aber als Außenstehender könnte man den Eindruck bekommen, dass da etwas läuft zwischen Ihnen und Frau Dr. Petzold.«
Wie es der Zufall wollte, gingen in diesem Moment zwei Schwestern draußen vorbei. Gedämpft drang Andrea Sanders’ Stimme auf den Flur hinaus.
Schwester Astrid zupfte ihre Kollegin am Ärmel und blieb stehen.
»Hast du das gehört?«, flüsterte sie ihr zu.
»Der Norden hat was mit der Petzold. Das müssen wir sofort den anderen erzählen.« Voller Vorfreude zog Iris ihre Kollegin mit sich.
Daniel dagegen war wie vom Donner gerührt.
»Wo denken Sie hin? Ich bin ein glücklich verheirateter Mann. Mal abgesehen davon, dass Frau Petzold eine junge, unerfahrene und sehr überhebliche Person ist, ich habe nichts anderes getan, als ihr die Leviten zu lesen.«
Andrea lächelte undurchdringlich.
»Im Gegensatz dazu bin ich alt, erfahren und sehr bodenständig. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen einen weiblichen Rat zu geben: Manche Frauen sind mit allen Wassern gewaschen und scheuen vor nichts zurück. Besonders, wenn es um ihre Karriere geht.«
Daniel wollte eben etwas erwidern, als das Telefon auf Andreas Schreibtisch klingelte.
Sie lächelte ihn an und nahm ab. Einen Augenblick später hielt sie sichtlich alarmiert den Hörer zu.
»Der Kollege Weigand von der Notaufnahme ist dran. Frau Endress wurde gerade eingeliefert.«
Schlagartig waren alle anderen Sorgen vergessen.
»Richten Sie ihm bitte aus, dass ich unterwegs bin!«, bat der Klinikchef und machte sich mit wehendem Kittel auf den Weg.
*
Dr. Felicitas Norden saß an ihrem Schreibtisch, den Blick auf den Computer geheftet. Sie war so konzentriert, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. Als es klopfte, zuckte sie zusammen.
»Ja, bitte?«
Volker Lammers kam herein.
»Sie wollten mich sehen?«, fragte er und schloss die Tür hinter sich. »Nicht, dass Sie sich vergebliche Hoffnungen machen: Ich habe kein Interesse an einer privaten Bekanntschaft mit Ihnen.«
Im Normalfall hätte Fee laut aufgelacht. Doch an diesem Tag stand ihr der Sinn nicht nach Scherzen.
»Es ist anders, als Sie denken.« Sie lehnte sich zurück und bot ihm mit einer Geste einen Platz an. Lammers nahm das Angebot an und streckte die Beine von sich. »Ich habe gehört, dass der Eingriff bei Paulina Haimerl abgebrochen werden musste.« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als Volker die Hände hochriss.
»Nicht meine Schuld!«
Diesmal konnte sich Felicitas ein Lächeln doch nicht verkneifen.
»In meinen Augen sind Sie zu fast allem fähig. Aber einen Einfluss auf allergische Reaktionen? Nein, den traue ich Ihnen dann doch nicht zu.«
»Sie sollten sich mit Frau Haimerl unterhalten. Die kann Sie eines Besseren belehren.«
Unvermittelt wurde Felicitas wieder ernst.
»Scherz beiseite, Lammers, wann können Sie einen zweiten Versuch wagen?«
Volker zog eine Augenbraue hoch.
»Wieso ich? Sie haben doch jetzt Zeit.«
»Sie haben den Fall übernommen, Sie werden ihn abschließen.«
»Bei Severin Lohns waren Sie anderer Meinung«, erwiderte er in aller Seelenruhe.
»Das war nicht meine, sondern die Entscheidung der Eltern. Und die haben Sie, mit Verlaub, sich selbst zuzuschreiben.« Zu diesem Thema hätte es noch viel zu sagen gegeben. Doch die Zeit drängte. »Ich habe Sie allerdings nicht herbestellt, um mit Ihnen zu diskutieren.« Fee drehte den Laptop so, dass Volker Lammers einen Blick darauf werfen konnte. »Was halten Sie hiervon?«
»Das CT von Severin Zirkuskind?«
»Ganz recht. Das ist das CT von Severin Lohns«, korrigierte Felicitas ihn schroff. »Was sagen Sie dazu?«
Noch immer lehnte Lammers entspannt im Stuhl. Er musterte die Aufnahme eine Weile schweigend.
»Blutung mit Ödem. Mögliche postoperative Komplikation. Das wussten die Eltern vorher. Ich habe ihnen alles gesagt.«
Fee nickte und drehte den Computer wieder zu sich.
»Gut. Ich kümmere mich darum.« Sie klappte das Gerät zu und stand auf. »Sie halten mich bitte wegen Paulina Haimerl auf dem Laufenden.«
Ehe Volker Lammers Gelegenheit zu einer Antwort hatte, war sie schon auf dem Weg zur Tür.
*
Während sich seine Frau auf den heiklen Eingriff vorbereitete, erreichte Dr. Norden die Notaufnahme. Die Liege mit Alexandra Endress wurde gerade hereingerollt. Eine junge Frau war bei ihr.
»Bitte machen Sie Platz!«, forderte er sie auf und wollte sich an ihr vorbei drängen.
»Ich habe Frau Endress auf ihrer Terrasse gefunden.«
Die Stimme ließ ihn aufblicken.
»Frau Petzold?« Er sah sie fragend an. »Wo ist Ihr Kittel?«
»Ich habe Frau Endress gesucht und in ihrem Garten zu Hause gefunden.« Sophies Stimme bebte. »Sie lag in der Hollywoodschaukel.«
»Kreislauf und Atmung sind stabil«, erklärte der Notarzt Dr. Huber. »Offenbar hat sie eine Überdosis Schmerz- und Schlafmittel zu sich genommen.«
»Wachen Sie auf, Frau Endress!« Während Dr. Norden im Laufschritt neben der Liege herlief, klopfte er auf ihre Wange.
Doch Alexandra war und blieb ohne Bewusstsein. Daniel Norden veranlasste, dass sämtliche lebensrettenden Maßnahmen eingeleitet wurden, und begleitete die Durchführung.
»Sie ist stabil«, verkündete er, als er auf der Intensivstation an ihrem Bett stand. »Mehr aber auch nicht.«
Auch Sophie Petzold hatte gekämpft wie eine Löwin. Die Erschöpfung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ihr trauriger Blick ruhte auf der Patientin, die tief und fest zu schlafen schien. Eine Weile hing jeder der beiden seinen Gedanken nach.
»Sie denken auch, dass ich schuld bin, nicht wahr?«, fragte sie schließlich ungewohnt schüchtern.
Daniel sah zu ihr hinüber. Er zögerte.
»Es war nicht abzusehen, dass Frau Endress diesen Weg wählen würde«, erwiderte er endlich. »Eine starke Persönlichkeit, wie sie es ist.« Ungläubig schüttelte er den Kopf.
»Hinter der harten Schale steckt offenbar ein viel weicherer Kern, als wir alle dachten«, bemerkte Sophie.
Daniel nickte langsam. Sein fragender Blick ruhte auf der Assistenzärztin.
»Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, zu ihr zu fahren?«
Sophie zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht.« Mit dem Zeigefinger der rechten Hand strich sie versonnen über Alexandras Arm. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es mir leidtut. Ich konnte doch nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen.«
»Ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen. Auch wenn er sich möglicherweise nicht auszahlt.« Daniels Blick kehrte zu Alexandra zurück. Es stand in den Sternen, ob sie jemals wieder aus dem Koma erwachen würde. »Trotzdem müssen Sie lernen, mit