»Was denn? Sind die alle für Frau Endress?«
»Dazu Karten und Geschenke!« Iris war fündig geworden und füllte die letzte Vase mit Wasser.
Elena deutete auf den Stapel Post auf dem Tisch.
»Das Telefon hat sie zum Glück gar nicht erst angemeldet.«
Sichtlich enttäuscht sank Oskar auf einen der freien Stühle.
»Aber woher wissen die Leute das?«, fragte er ungläubig.
»Die Meldung war ganz groß in der Zeitung.«
Jakob griff nach der neuesten Ausgabe der Tageszeitung und hielt sie hoch. Alexandras Name prangte in fetten Lettern auf der Titelseite.
Oskar verstand die Welt nicht mehr.
»Aber Frau Endress ist doch erst seit heute Morgen hier in der Klinik.«
Elena lächelte.
»Ich denke, Frau Endress hat rechtzeitig dafür gesorgt, dass ihre Vertrauten von ihrer Absicht, in die Klinik zu gehen, erfahren. Offenbar ist sie mit allen Wassern gewaschen.«
»Alexandra ist eben eine geschickte Unternehmerin und versteht es, sich ins Gespräch zu bringen«, verteidigte Oskar seinen Schwarm energisch.
»Schon möglich.« Elena lächelte beschwichtigend. »Ich werde Ihre Blumen auf jeden Fall später zu ihr bringen.«
»Das ist sehr nett.« Oskar nestelte einen Umschlag aus der Sakkotasche und reichte ihn Schwester Elena. »Könnten sie ihr auch diese Karte überreichen?« Plötzlich wirkte er fast schüchtern. Hektische rote Flecken traten auf seine Wangen.
»Für Sie tue ich das doch gern.«
»Das ist sehr lieb.« Nach ein paar weiteren Bemerkungen blieb Oskar nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten.
Schwester Iris wartete, bis er außer Hörweite war.
»Sieh mal einer an. Und ich dachte die ganze Zeit, Herr Roeckl ist mit Frau Lenni liiert.«
»Das ist er ja auch«, gestand Elena und ordnete das Grün in Oskars Strauß. »Aber wie heißt es so schön?«
Sie drehte sich zu ihren Kollegen um. »Alter schützt vor Torheit nicht.«
Iris und Jakob lachten.
»Dann bleibt zu hoffen, dass er nicht zu töricht wird. Frau Lenni macht mir nicht den Eindruck, als würde sie großmütig über so einen Fauxpas hinweg sehen.«
»Dieser Eindruck täuscht ganz und gar nicht«, konnte Elena aus den Erzählungen ihrer Freundin Felicitas bestätigen und stimmte in das Lachen ihrer Kollegen ein.
*
Bevor Volker Lammers aus dem OP-Bereich hinaus auf den Flur trat, sah er nach links und rechts. Er hatte Glück. Die Luft war rein, von den Eltern des kleinen Severin war keine Spur zu sehen. Mit wehendem Kittel eilte er über den Flur in Richtung seines Büros. Er war so müde, dass er seine Umgebung kaum noch wahrnahm.
Auch Felicitas Norden war schnell unterwegs. Die Operation des Verkehrsopfers war gut verlaufen, und sie beeilte sich, um rechtzeitig zur Angehörigen-Sprechstunde zu kommen. Sie bog um die Ecke. Im nächsten Moment spürte sie einen dumpfen Schlag. Benommen stolperte sie rückwärts.
»Menschenskind, Lammers, können Sie nicht aufpassen?«
»Dasselbe könnte ich Sie fragen«, erwiderte er und fuhr sich über die Augen.
Fee stutzte.
»Alles in Ordnung?«
»Solange ich keine dummen Fragen beantworten muss, ja.«
Nur mit Mühe konnte sich Felicitas eine scharfe Antwort verkneifen. Das lag nicht zuletzt am erschöpften Aussehen ihres Stellvertreters.
»Wie ist der Eingriff bei Severin Lohns verlaufen?«, erlaubte sie sich eine letzte Frage in der Annahme, dass sie Gnade vor seinen Augen fand.
»Gut, gut, alles bestens.« Plötzlich wirkte Lammers fahrig. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich muss mich ein bisschen hinlegen.« Er hob die Hand zum Gruß und eilte davon.
Verwundert sah Felicitas ihm nach, ehe sie sich selbst wieder auf den Weg machte.
Volker dagegen atmete erleichtert auf, als er wenige Augenblicke später die Bürotür hinter sich schloss. Einen Moment lang lehnte er sich erschöpft dagegen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Dann gab er sich einen Ruck und ging hinüber zum Sofa, das in einer Ecke auf Besucher wartete. Er legte sich hin und streckte die Beine aus. Ein paar Atemzüge später war er eingeschlafen.
Wenn er geahnt hätte, dass sich seine Chefin in diesem Augenblick mit Carola May unterhielt, hätte er nicht so ruhig geschlafen.
»Kannst du mir etwas mehr zum Eingriff bei Severin Lohns sagen?«, fragte Fee die Kollegin nach einem schnellen Blick auf die Uhr. Bis zur Sprechstunde blieben ihr ein paar Minuten.
»Der ist gut verlaufen. Allerdings habe ich meine Zweifel, was Lammers angeht.«
Carola dachte nicht daran, einen Hehl aus dem Vorfall zu machen.
Fee zog eine Augenbraue hoch.
»Was ist passiert?«
»Er schien sehr angestrengt und hat die OP an mich übergeben.«
Felicitas wusste um Lammers’ schlechten Stand in der Klinik. Im Gegensatz zu seinen herausragenden Fähigkeiten als Kinderchirurg waren seine sozialen Kompetenzen mehr als spärlich. Trotzdem brauchte sie ihn und wollte auf keinen Fall Öl ins Feuer gießen.
»Er wollte eben kein Risiko eingehen. Seine Grenzen zu kennen und delegieren zu können sind keine Fehler.«
»Trotzdem ist es ungewöhnlich für ihn, dass er so einen prestigeträchtigen Eingriff einfach abgibt. Findest du nicht?«
»Zweifelst du an seinen Kompetenzen?«
»Nein, keineswegs.« So weit wollte Carola dann doch nicht gehen. »Wie auch immer, du solltest ein Auge auf ihn haben. Auch wenn er der beste Kinderchirurg weit und breit ist, ist das kein ehernes Gesetz.«
Fee verstand die versteckte Aufforderung.
»Wenn er sich richtig ausgeschlafen hat, werde ich seine Fähigkeiten auf den Prüfstand stellen«, versprach sie und verabschiedete sich von Carola May.
*
Dr. Daniel Norden saß im Besprechungszimmer vor einem Tablet und studierte Alexandra Endress’ neueste Werte aus dem Labor. Dr. Sophie Petzold war bei ihm. Sie unterhielten sich über die berühmte Patientin.
»Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt eine Familie hat«, erklärte Daniel, ohne den Blick von dem kleinen Bildschirm zu nehmen.
»Natürlich!«, erwiderte sie im Brustton der Überzeugung. »Fabian Endress. Er lebt auch hier in München.«
Die Tür öffnete sich, und der Pfleger Jakob kam herein. Daniel hob kurz den Kopf.
»Lassen Sie sich nicht stören«, bat er und ging zum Schrank, um nach einer Patientenakte zu suchen.
Daniel wandte sich wieder an Sophie Petzold.
»Woher wissen Sie das mit Fabian Endress?«
Sie blieb vor ihm stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
»Im Gegensatz zu Ihnen habe ich neben der Klinik auch noch andere Interessen«, erwiderte sie schnippisch. »Dazu gehört auch zeitgenössische Kunst, besonders Malerei. Ich habe letzte Woche eine Vernissage in einer Galerie besucht, in der auch Fabian ausstellt.«
»Und ich dachte, Sie hätten keine Zeit mehr für ein Privatleben«, bemerkte Daniel Norden.
Nur mit Mühe konnte sich Jakob ein Lachen verkneifen. Das lag auch an der überraschenden Neuigkeit, die Sophie gerade von