»Offenbar ist Ihnen die Dringlichkeit nicht klar. Es handelt sich um den Computer der zukünftigen Klinikchefin«, fuhr Daniel fort. »Sie kommen jetzt sofort hierher und kümmern sich höchstpersönlich um dieses Computerproblem.«
Daniel hielt inne und lauschte der Antwort. Er lächelte und reckte den Daumen der rechten Hand hoch.
»In zehn Minuten? Wunderbar. Auf Wiederhören.« Zufrieden mit dem Ergebnis des Telefonats legte Daniel auf. »Na bitte, geht doch! Ich verstehe gar nicht, was daran so schwer ist.«
Fee lachte. Sie stand auf und legte die Arme um seinen Hals.
»Wenn du so mit deinen Mitarbeitern umgehst, wundert mich gar nichts mehr.«
»Ach ja? Wie meinst du das?«, fragte Daniel scheinheilig.
»Lass mich nachdenken. Zu Hause ist der Fernseher kaputt, und der Kundendienst hat sich bis heute nicht blicken lassen.«
»Kein Problem. Gib mir die Nummer, und der Schaden ist spätestens morgen repariert.«
»Abgemacht.«
Fee küsste ihn auf den Mund, ehe sie sich abwandte. »Ich kümmere mich inzwischen um deine armen Kollegen.« Sie ging zur Tür.
Daniel Norden sah ihr nach. Ihm schwante nichts Gutes. War es möglich, dass Fee sein scherzhafter Unterton entgangen war?
»Wo willst du hin?«, fragte er.
An der Tür drehte sie sich noch einmal um.
»Ich fange gleich an mit der Mitarbeitermotivation.« Mit dem Zeigefinger lockte sie ihn zu sich. »Lust auf Bienenstich im ›Allerlei‹? Oder lieber eine Biskuitroulade mit Sahne und Erdbeeren aus Tatjanas Schrebergarten?«
»Wenn ich dich nachher mit nach Hause nehmen darf, entscheide ich mich für den Bienenstich«, raunte er ihr ins Ohr, ehe sie sich Hand in Hand auf den Weg machten, um ihre wohlverdiente Pause gemeinsam zu genießen.
*
Die Assistenzärztin Sophie Petzold saß am Schreibtisch in der Notaufnahme und war in einen Unfallbericht vertieft.
»Guten Tag!«
Erschrocken zuckte sie zusammen. Schon wollte sie über die Schwester herfallen, die sich erdreistete, sie derart rücksichtslos zu stören. Zum Glück konnte sie sich im letzten Moment zurückhalten. Es handelte sich nicht um eine Schwester, sondern um eine wildfremde, gut gekleidete Frau, die ihr gegenüberstand und sie abschätzig musterte.
»Was kann ich für Sie tun?«
Die Dame fuhr sich über den nussbraunen Pagenkopf, durch den sich einzelne Silberfäden zogen. Sophie bemerkte die sorgfältig lackierten und manikürten Fingernägel. Ein farbloser Stein funkelte am Ringfinger.
»Mein Name ist Endress. Alexandra Endress.«
Sie sah Sophie erwartungsvoll an.
»Kennen wir uns?«
Eine ärgerliche Falte erschien zwischen Alexandras Augen. Ihr Blick fiel auf das Namensschild an Sophies Kittel.
»Von einer Assistenzärztin hätte ich einen gewissen Bildungsgrad erwartet. Ich möchte gern den Chefarzt sprechen.«
In Sophie sträubte sich alles. Um nicht länger zu ihrer Kontrahentin aufsehen zu müssen, erhob sie sich vom Stuhl und hielt Alexandra Endress die Hand hin.
»Ich bin die diensthabende Ärztin. Dr. Petzold.«
Alexa zögerte, die dargebotene Hand zu nehmen.
»Also gut. Ich möchte mich einweisen.«
Irritiert legte Sophie Petzold den Kopf schief.
»Haben Sie einen Einweisungsschein von Ihrem Arzt? Eine Überweisung?«
»Junge Frau, Sie können mir glauben, dass ich selbst sehr gut beurteilen kann, wann ein Aufenthalt in einer Klinik unerlässlich ist.«
»Und was fehlt Ihnen, wenn ich fragen darf?«
»Sind Sie die Ärztin oder ich?«, fragte Alexandra Endress postwendend.
Nur mit Mühe konnte sich Sophie Petzold einen passenden Kommentar verkneifen.
»Kommen Sie bitte mit. Ich werde mir die Sache ansehen.« Sie ging vor und winkte die Patientin mit sich. Auf dem Weg ins Behandlungszimmer liefen sie Oskar Roeckl über den Weg. Er balancierte zwei Kisten in Richtung Klinikkiosk. Obwohl Lenni ihn schon händeringend erwartete, blieb er beim Anblick von Alexandra Endress abrupt stehen. Wie eine Königin stolzierte sie an ihm vorbei, mit hoch erhobenem Kopf, wehendem Mantel und entschlossenen Schritten. Erst als sie an ihm vorbei war, erwachte er zu neuem Leben.
»Einen Moment bitte!«, rief er ihr nach.
Sofort fühlte sich Alexandra angesprochen. Sie blieb stehen und drehte sich um. Ihr abschätziger Blick glitt an Oskar hinunter und wieder hinauf. Das, was sie zu sehen bekam, erfüllte sie mit Wohlwollen.
»Ja?«, fragte sie überraschend freundlich.
Strahlend kam Oskar auf sie zu. Er stellte die Kisten auf den Boden und bat um ihre Hand. Ganz Gentleman hauchte er einen Kuss auf den Handrücken.
»Sie sind die Unternehmerin Alexandra Endress, nicht wahr?«
»Ganz recht.« Sie nickte huldvoll. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Schlagartig färbten sich Oskars Wangen tiefrot.
»Mein Name ist Oskar Roeckl. In früheren Jahren war ich selbst Unternehmer. Noch heute bin ich Mitglied im Unternehmerverband und verfolge die Entwicklung mit Spannung. Besonders Ihre Geschichte begeistert mich seit vielen Jahren. Ich bewundere Ihre Durchsetzungskraft in dieser Männerdomäne.« Er machte eine kunstvolle Pause. »Geschäftsführerin einer großen Brauerei … das muss Ihnen erst einer nachmachen.«
»Ich habe nicht vor, mich vom Thron stoßen zu lassen«, erwiderte Alexandra sichtlich geschmeichelt.
Schon wollte Oskar das Gespräch fortsetzen, als er ein Tippen auf der Schulter spürte. Er fuhr herum und sah in Lennis zornblitzende Augen.
»Hier steckst du also! Und ich kann sehen, wie ich die Kunden vertröste.« Sie sah hinüber zu Alexandra Endress. »Tut mir leid, dass ich Ihnen Ihren Kavalier jetzt entführen muss. Sie können uns ja bei Gelegenheit in unserem Kiosk besuchen.« Sie lächelte süßlich.
»Vielen Dank. Vielleicht tue ich das ja sogar.« Alexandra Endress Blick wanderte von Lenni zurück zu Oskar. »Vorausgesetzt, mein Gesundheitszustand lässt es zu.« Sie nickte ihm zu, ehe sie sich abwandte und Sophie Petzold bedeutete, dass sie bereit war.
Oskar und Lenni sahen den beiden nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren.
»Darf ich mal erfahren, was das für eine Darbietung war?«, fragte Lenni scharf.
Oskar bückte sich wieder nach den Kisten und hob sie vom Boden auf. »Was für eine Darbietung meinst du? Frau Endress ist eine wunderbare Frau. Das musste ich ihr einfach einmal sagen«, erwiderte er, ehe er sich mit verzückter Miene auf den Weg zum Kiosk machte.
*
Die Sirene war schon von Weitem zu hören. Felicitas Norden war bereits informiert.
»Tut mir leid, aber ich muss unser Schäferstündchen an dieser Stelle beenden.« Sie schickte dem Teller mit der restlichen Erdbeerroulade einen bedauernden Blick.
»Früher hast du mich so angesehen«, reklamierte Daniel.
»Früher hatte das Wort Schäferstündchen auch eine andere Bedeutung.« Sie beugte sich über ihn und küsste ihn zum Abschied.
Auf dem Weg in die Notaufnahme traf sie auf ihren Stellvertreter Volker Lammers.
»Was machen Sie denn schon hier? Haben Sie kein Zuhause?«
»Antwort