»Hast du versucht, mit ihr darüber zu reden?«
Bastian lachte bitter.
»Ein Mal? Zehn, zwanzig, dreißig Mal. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich versucht habe, zu ihr vorzudringen. Vergeblich. Was ist? Warum schaust du mich so an?«
»Na ja.« Sophie rutschte von der Bettkante und ging ein paar Mal vor dem Bett auf und ab. Sie haderte sichtlich mit sich. Endlich blieb sie wieder vor ihm stehen und sah ihn an. »Weißt du eigentlich, dass ich euch beneidet habe, seit du mir die Hochzeitsanzeige geschickt hast?«
»Ausgerechnet du?« Bastian konnte es kaum glauben. »Ich dachte immer, dass du in anderen Sphären schwebst und über solch irdische Dinge erhaben bist.«
Sophies forschender Blick ruhte auf ihrem Ex-Freund.
»Hast du dich deshalb damals von mir getrennt?«
»Ja. Und deshalb dachte ich mir auch nichts dabei, als ich dir die Hochzeitsanzeige geschickt habe. Ich dachte, dass dich das eh nicht sonderlich kümmert.« Er schnitt eine Grimasse. »Vielleicht wollte ich dich aber auch aus der Reserve locken.«
»Ich war so verletzt. Damals hätte ich mir diese Blöße niemals gegeben.«
»Und heute?«
Sophies Wangen wurden flammend rot.
»Basti, bitte. Du hast im Augenblick andere Probleme. An so etwas darfst du noch nicht einmal denken.« Mit entschiedenen Schritten ging sie zur Tür. Dort angekommen, blieb sie noch einmal stehen. Sie zögerte, ehe sie zum Bett zurückkehrte und Bastian einen Kuss auf den Mund gab. Dann verschwand sie so schnell aus dem Zimmer, dass er dachte, geträumt zu haben.
*
Jutta wusste nicht mehr, wie lange sie mit dem Rollstuhl am Fenster gestanden und hinausgestarrt hatte. Vor ihren Augen war aus dem Nachmittag Abend geworden, bis die Nacht schließlich ihr samtschwarzes Tuch über die Welt gedeckt hatte. Die Lichter im gegenüberliegenden Haus flammten auf. Der Schein fiel hinaus in den Garten und malte lange Schatten auf den Rasen. Hinter den Fensterscheiben liefen Menschen geschäftig auf und ab. Sie lebten, lachten und liebten. All das, was Jutta nicht mehr konnte. Zumindest bildete sie sich das ein.
Sie war so versunken in ihr Selbstmitleid, dass sie das Klingeln an der Tür nicht hörte. Erst, als an der Terrassentür ein Schatten auftauchte und die Scheibe vom Klopfen zitterte, erwachte sie aus ihrer Erstarrung.
»Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken?«, fauchte sie und rollte zurück, um ihrer Schwester zu öffnen. Judica kam herein und schüttelte sich wie ein Hund.
»Ich stehe schon zwanzig Minuten vor deiner Tür und versuche, mich irgendwie bemerkbar zu machen«, schimpfte sie und rieb sich die kalten Hände. Obwohl der Frühling längst Einzug gehalten hatte, war es an diesem Abend empfindlich kalt. »Ans Telefon bist du auch nicht gegangen. Kannst du dir eigentlich vorstellen, dass ich mir Sorgen gemacht habe?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Das Telefon hat nicht geklingelt!«, behauptete Jutta der Einfachheit halber.
Judica verschwand und kam gleich darauf mit dem Apparat zurück. Der Anrufbeantworter blinkte.
»Ich habe eher den Verdacht, du wolltest es mal wieder nicht hören.«
»Glaub doch, was du willst.« Wütend drehte sich Jutta mit dem Rollstuhl um und fuhr aus dem Zimmer.
Judica seufzte. So viel Sturheit hatte sie selten zuvor erlebt. Der Gedanke, die Wohnung wieder durch die Terrassentür zu verlassen, war verlockend. Doch sie besaß zu viel Verantwortungsgefühl und widerstand dem Impuls. Stattdessen folgte sie Jutta in die Küche. Sie stand an der Arbeitsplatte und hatte sich ein Glas Wein eingeschenkt. Diesmal verkniff sie sich eine Bemerkung.
»Ich war bei Basti in der Klinik. Zum Glück geht es ihm gut. Er kann morgen früh nach Hause gehen.«
»Dann bin ich nicht mehr hier.« Jutta trank einen großen Schluck.
Judica erschrak.
»Wo willst du denn hin?«
»Ich gehe in ein Pflegeheim«, behauptete Jutta. »Ich bin doch für alle nur eine Belastung. Und jetzt, nachdem Bastian seine große Liebe wiedergetroffen hat … Ich will seinem Glück nicht im Weg stehen.« Wieder hob sie das Glas an die Lippen und leerte es in einem tiefen Zug.
Judica packte den Rollstuhl an den Griffen und drehte ihn schwungvoll zu sich herum.
»Was soll denn das schon wieder? Welche große Liebe?«, fragte sie ebenso ärgerlich wie verständnislos.
»Das hat er dir natürlich nicht auf die Nase gebunden.« Jutta lachte kalt. »Hätte mich auch gewundert.« Sie streckte sich, angelte die Weinflasche von der Arbeitsplatte und schenkte das Glas noch einmal voll bis an den Rand. Als sie trank, verschüttete sie etwas von dem Wein. Ihre Bluse färbte sich tiefrot. Doch das kümmerte Jutta nicht.
Von Minute zu Minute wuchs Judicas Abscheu vor der eigenen Schwester.
»Und mich wundert es, dass sich Bastian nicht schon längst eine andere Frau gesucht hat«, schleuderte sie ihr ins Gesicht. »Weißt du eigentlich, was für ein Glück du mit diesem Mann hast? Andere hätten schon längst die Segel gestrichen. Aber er, er versucht immer noch, dir zu helfen. Egal, wie abscheulich du zu ihm bist. Wie sehr du ihn beleidigst und vor den Kopf stößt. Du trittst dein Glück mit Füßen. Und wenn du es dann verloren hast, fühlst du dich auch noch bestätigt. Das ist krank, Jutta. Merkst du das denn nicht?« Schwer atmend stand sie vor dem Rollstuhl ihrer Schwester und wartete auf eine Reaktion. Vergeblich. »Dir ist doch nicht zu helfen.« Deprimiert wandte sie sich ab und verließ die Küche.
Ihre Hand lag schon auf der Klinke der Wohnungstür, als sie ein Stöhnen hörte, gefolgt von einem dumpfen Knall und dem Klirren des Glases, das auf dem Boden in tausend Scherben zersprang.
»Jutta!« Judicas Stimme war nicht mehr als ein erschrockenes Flüstern. In der Gewissheit, dass etwas Schreckliches passiert sein musste, lief sie in die Küche zurück.
*
»Was für ein herrliches Fleckchen Erde«, schwärmte Fee und bedankte sich, als Adrian Wiesenstein ihr die Tür zum Hotel aufhielt. Während Dési ins Schwimmbad gegangen war, hatte sie nach der Massage einem Spaziergang den Vorzug gegeben. Wie es der Zufall wollte, war sie dem Aushilfsverkäufer in der Hotellobby begegnet. Obwohl sie eigentlich mit Daniel telefonieren wollte, brachte sie es nicht übers Herz, Adrians freundliches Angebot, sie zu begleiten, abzulehnen.
»Das ist der Grund, warum ich versuche, wenigstens ein Mal im Jahr für ein paar Tage herzukommen.« Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie die schmalen Wege, vorbei an bunten Bauerngärten und romantischen Bauernhäusern auf der einen und dem See auf der anderen Seite, entlang wanderten. »Sogar Joshua zieht es immer wieder hierher. Obwohl man annehmen könnte, dass diese Umgebung für einen Sechzehnjährigen wenig attraktiv ist.«
Die nächste Frage drängte sich förmlich auf.
»Sie sind alleinrziehend?«
»Schon seit acht Jahren«, erwiderte Adrian leichthin. »Irgendwann hat Paola festgestellt, dass das Leben an der Seite eines Arztes doch nicht so attraktiv ist, wie sie sich das vorgestellt hatte.«
»Die Nacht- und Wochenenddienste. Ganz zu schweigen von den Notfällen zu allen Tages- und Nachtzeiten«, bestätigte Fee und bückte sich nach einem schönen Stein, den sie zu ihren Füßen entdeckt hatte. »Es ist ja auch nicht schön, einen Kinofilm allein zu Ende zu sehen. Oder im Restaurant die zweite Hälfte der Mahlzeit allein einzunehmen.«
Adrian schickte ihr einen erstaunten Seitenblick.
»Sie klingen, als ob Sie Erfahrung hätten.«
Fee lachte leise.
»Mein Mann ist Arzt. Früher hatte er eine Praxis, und heute ist er Chef