»Frau Petzold, Sie durchtrennen den Dann.«
Sophies Augen verrieten ihren Schrecken.
»Worauf warten Sie noch?«, fragte Dr. Norden schärfer als beabsichtigt. »Brauchen Sie eine schriftliche Einladung?«
»Oder ist diese Aufgabe zu profan für Sie?«, setzte Matthias Weigand noch einen drauf.
Über den Operationstisch hinweg sah Daniel seinen Freund und Kollegen verwundert an. Doch Matthias hatte den Blick schon wieder gesenkt.
Sophie schnaubte und griff nach Schere und Kauter und beugte sich über das Operationsfeld. Die Gerätschaften schmatzten leise, kurz darauf zischte es. Ein helles Piepen ließ die Ärzte aufhorchen.
»Blutdruckschwankung«, erklärte Dr. Klaiber. »Verliert sie Blut?«
»Ja, alles hochentzündlich«, antwortete der Kollege Ringelstetter.
»Halten Sie Strom drauf!«, befahl Dr. Norden.
Der Assistenzärztin stand der Schweiß auf der Stirn.
»Das Gewebe reißt ein!« Sophies Stimme bebte vor Aufregung.
»Ist der Eingriff doch nicht so ein Spaziergang, wie Sie dachten, was?«, konnte sich Weigand einen zynischen Kommentar nicht verkneifen.
»Matthias!«, mahnte Daniel Norden streng. Und zu Sophie Petzold gewandt sagte er: »Ganz ruhig. Wir bekommen das hin.«
Sie atmete durch, nickte und arbeitete hochkonzentriert weiter.
»Die Blutung steht!«, konnte sie wenig später verkünden.
»Blutdruck wieder stabil.« Auch Arnold Klaiber war zufrieden. »Hb-Wert 5,4.«
»Klemme!«, verlangte Dr. Norden, der neben Sophie stand und jeden ihrer Handgriffe im Blick hatte.
Endlich holte er Luft und entspannte sich.
»Sehr gut, Frau Petzold«, lobte er.
An dieser Stelle war der Eingriff für ihn beendet. Den Rest konnte er ruhigen Gewissens den erfahrenen Kollegen überlassen. Auf ihn wartete eine andere Aufgabe, und er machte sich unverzüglich auf den Weg.
Als er Ralf Lücke neben Bettinas Freundin Carina sitzen sah, lächelte er.
»Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten.« Er begrüßte die beiden. »Es war ein komplizierter Eingriff.«
»Wie geht es Bettina?« Das war alles, was Ralf im Augenblick interessierte.
»Den Umständen entsprechend gut. Sie ist stabil.«
»Kein künstlicher Darmausgang?« Es war Carina, die diese bange Frage stellte.
Daniel schüttelte den Kopf.
»Glücklicherweise nicht.« Dennoch gab es einen Wermutstropfen. »Aber ob unsere Methode langfristig Erfolg haben wird, wird sich allerdings erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Es sind noch einige Eingriffe notwendig. Sie müssen Geduld haben.«
Ralfs Augen wurden schmal.
»Was soll das heißen? Einige Operationen?«, hakte er misstrauisch nach. »Ich dachte, mit diesem einen Eingriff wäre alles gut.«
»Leider ist dem nicht so.« Daniel bedachte den Ehemann mit forschendem Blick. »Und ich kann nur ahnen, wie schwer diese Situation für Sie zu ertragen ist. Ich habe erfahren, was mit Ihrem Vater passiert ist. Aber …«
Mit einer Geste unterbrach Ralf den Klinikchef.
»Kein Wort mehr darüber!«, erklärte er in aller Entschiedenheit. »Ich bin nicht zurückgekommen, um gleich wieder zu gehen.« Er blinzelte verlegen zu Carina hinüber. »Ich bin gekommen, um zu bleiben und notfalls als Stallbursche zu arbeiten«, fuhr er sanfter fort. »Und das, obwohl ich Pferde nicht ausstehen kann.«
»Das klingt nach wahrer Liebe!«, lachte Daniel, ehe er sich verabschiedete.
Das Stichwort »wahre Liebe« hatte ihn an etwas erinnert, woran er schon viel zu lange nicht mehr gedacht hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es höchste Zeit wurde, Feierabend zu machen. Aber nicht etwa, um zu Hause Zwiebeln zu schneiden.
»Heute Abend gönnen wir uns ein feudales Menü«, versprach er seiner Frau, als er Arm in Arm mit Fee die Klinik verließ. »Nur wir zwei. Ohne schlaue Sprüche von unserem Sohn. Und ohne geschwisterlichen Zwist.«
»Das klingt verlockend. Wohin willst du mich denn entführen?« Sie schmiegte sich eng an ihn.
»Wie wäre es mit dem neuen Sterne-Restaurant gleich um die Ecke?«
»Zu nobel. Das kannst du dir mit deinem Chef-Gehalt nicht leisten.«
»Du sprichst schon wie Dieter Fuchs. Und an den will ich gerade überhaupt nicht erinnert werden.« Daniel wartete, bis sich die Glastür vor ihnen öffnete. Er ließ Fee den Vortritt.
»Na gut. Wir können auch von Lammers reden, wenn dir das lieber ist«, erwiderte Fee übermütig. »Ich habe eine lustige Geschichte auf Lager.«
»Lammers und lustig?« Daniel schickte Fee einen verwunderten Seitenblick. »Das ist ein Widerspruch in sich.«
»Stimmt«, gab sie unumwunden zu. Sie trat an den Wagen und wartete darauf, dass ihr Mann die Schlösser aufschnappen ließ. »Dafür ist ›Felicitas liebt Daniel‹ eine unerschütterliche Wahrheit.« Als er ihr die Beifahrertür aufhielt, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
»Das klingt mehr als vielversprechend«, murmelte er an ihren Lippen. »Wohin darf ich dich zum Essen entführen? Oder soll ich dich doch lieber gleich heim ins Schlafzimmer bringen?«
»Zuerst zum Essen.« Lachend ließ sich Fee auf den Beifahrersitz fallen. »Weder Lammers noch Fuchs haben etwas in unserem Allerheiligsten verloren.«
»Sophia Petzold übrigens auch nicht.«
Fee schickte ihrem Mann einen belustigten Seitenblick.
»Dabei ist sie wirklich süß.«
»Nicht halb so süß wie du!«
»Dann bin ich ja zufrieden.« Fee lehnte sich zurück. Ihre linke Hand lag auf Daniels Oberschenkel, während er sie durch die Stadt zu ihrem Lieblingsitaliener brachte. Dabei war das Ziel gar nicht so wichtig. Dies war einer dieser Abende, an denen sie einfach mit ihm bis ans Ende der Welt und noch weiter hätte fahren können. Gesprächsstoff genug hatten sie auf jeden Fall.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf unser gemeinsames Wochenende freue.« Mit verträumtem Blick stand Fee vor dem Kleiderschrank und dachte darüber nach, was sie einpacken sollte. »Was denkst du? Ist es schon warm genug für mein Lieblingskleid?« Sie nahm den Kleiderbügel heraus, trat vor den Spiegel und hielt sich das geblümte, kniekurze Kleid vor den Oberkörper. Verliebt drehte sie sich hin und her. »Mit einer Strickjacke könnte es gehen«, fuhr sie fort. Dass sie keine Antwort bekommen hatte, war ihr gar nicht aufgefallen. Sie wurde erst aufmerksam, als Daniel mit betretener Miene hinter sie trat. »Was ist los?« Sie drehte sich zu ihm um und entdeckte die weiße Hose in seiner Hand. Sie wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Die Enttäuschung traf sie wie ein Magenschwinger. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Es tut mir leid. Im Augenblick haben wir in der Klinik einen Engpass. An allen Ecken und Enden fehlen uns die Ärzte. Ich bin der Chef. Wenn die Kollegen schon Überstunden schieben, kann ich mich nicht sang- und klanglos aus dem Staub machen.«
»O Dan, dabei habe ich mich so auf unser freies Wochenende gefreut.« Unvermittelt hielt Fee inne. Eigentlich wollte sie nicht jammern. Schließlich