»Damit du unsere Pläne begräbst? Oder dir gleich eine andere Partnerin suchst?«
Carina schnaubte.
»Nein, du Dummerchen. Damit ich weiß, was mit dir los ist. Damit ich dir helfen und dich unterstützen kann.«
Betroffen sah Bettina zur Seite.
»Na schön«, entschloss sie sich, endlich die ganze Wahrheit über ihr Leid zu sagen. »In letzter Zeit habe ich oft Bauchschmerzen. Ich habe kaum Appetit und bin immer müde. Wenn es ganz schlimm ist, brauche ich ein privates WC. Am besten im Erdgeschoss, weil ich sonst die Treppe hoch hechle wie eine alte Frau. Das ist kein schöner Anblick, kann ich dir sagen.«
»Kein Problem.« Carina kehrte zur Tasche zurück und kam mit einem Papier wieder. Sie breitete es auf der Bettdecke aus. »Dann wird das hier eben nicht die Futterkammer, sondern deine eigene Toilette. Direkt neben deinem Büro.«
Bettina war zu Tränen gerührt. Sie lachte und weinte gleichzeitig und streckte die Arme aus, um Carina zu umarmen.
»Du bist wirklich die beste Freundin der Welt«, murmelte sie in ihre Bluse. »Ich wünschte, Ralf wäre ein bisschen wie du.«
Sanft löste sich Carina aus der Umarmung.
»Was soll das heißen?«
Bettinas Augen füllten sich mit Tränen.
»Wenn ich mich operieren lasse, will er mich nicht mehr sehen«, schluchzte sie auf.
Carina konnte es nicht glauben.
»Ich hatte ihn ja mal für einen netten Kerl gehalten. Aber wenn er das tut …« Den Rest des Satzes sprach sie nicht laut aus. Das war auch nicht nötig. Ihre geballte Faust sagte alles.
*
»Ich gehe das Verfahren noch einmal detailliert mit den Kollegen durch«, versprach Dr. Norden und beendete das Telefonat, das er unterwegs geführt hatte. Er schob das Mobiltelefon in die Kitteltasche, als ihm der Verwaltungsdirektor Dieter Fuchs den Weg vertrat.
»Haben Sie einen Moment?«
»Alle Achtung! Heute haben Sie ja einen regelrechten Narren an mir gefressen.« Daniel lächelte amüsiert.
»Machen Sie keine Witze, Norden!«, wies Dieter Fuchs ihn zurecht.
Diese Bemerkung war ihm schon deshalb peinlich, weil er unlängst versucht hatte, den neuen Klinikchef auf elegante Art und Weise loszuwerden. Der Plan war kläglich gescheitert, woraufhin Fuchs beschlossen hatte, aus der Not eine Tugend zu machen und sich mit dem Klinikchef gut zu stellen. Sehr zum Ärger seines Verbündeten Volker Lammers. Doch das kümmerte Dieter Fuchs nicht. Das gute Ansehen der Klinik und entsprechende Zahlen, etwas anderes interessierte den Verwaltungschef nicht.
»Es geht um die Bitte von Frau Sander, eine Sekretärin für die Pädiatrie einzustellen.«
Daniel unterdrückte ein Seufzen. Er hatte wirklich Wichtigeres zu tun. Zumindest im Augenblick. Doch er hatte auch schon eine Idee, wie er sich elegant aus der Affäre ziehen konnte.
»Das ist wirklich eine äußerst prekäre Angelegenheit, die wir in aller Ruhe diskutieren müssen.«
»Ich freue mich, dass Sie das ebenso …« Als Dr. Norden ihn sanft am Arm fasste und mit sich führte, hielt er inne.
»Das tue ich«, fuhr Daniel fort. »Im Augenblick habe ich aber eine Sache, die Sie noch viel mehr interessieren dürfte.«
Der vertrauliche Tonfall gefiel Dieter Fuchs.
»Ach ja?«
»An dieser Klinik wird gerade ein außerordentlicher Eingriff geplant. Es geht um die Krankheit Morbus Crohn. Wir wollen sozusagen Pionierarbeit leisten. Die OP-Besprechung beginnt in wenigen Minuten. Ich finde, Sie sollten diesem Ereignis unbedingt beiwohnen.«
»Das sehe ich genauso.« Der Verwaltungschef sah auf die Uhr. »In Zukunft wünsche ich allerdings, früher über solche Ereignisse informiert zu werden.«
»Das war leider nicht möglich. Die Patientin hat sich erst kurzfristig dazu entschlossen.«
»Ach so, na ja, in diesem Fall komme ich natürlich mit.«
Auf dem Weg in den Besprechungsraum unterdrückte Daniel Norden das Lächeln, das um seine Lippen spielte. Er freute sich diebisch über das gelungene Ablenkungsmanöver und hielt Fuchs die Tür auf.
Die Kollegen hatten sich bereits versammelt, allen voran Dr. Weigand und der Anästhesist Arnold Klaiber. Der Klinikchef begrüßte die Anwesenden, bedankte sich für das Erscheinen und erläuterte mit Hilfe einer Power-Point-Präsentation die Umstände des Falls. Obwohl er sehnsüchtig darauf wartete, den Chef unter vier Augen zu sprechen, hörte Matthias Weigand aufmerksam zu.
»Wie willst du vorgehen?«, fragte er, als die Sprache auf die Operationsmethode kam.
»Ich hatte an die Salamitechnik gedacht.« Daniel warf ein neues Bild an die Wand. »Das heißt, dass erkrankte Bereiche des Darms äußerst sparsam entfernt werden.«
Der Gastroenterologe Dr. Ringelstetter konzentrierte sich auf die Aufnahmen.
»Wenn das gelingt, dann müsste kein künstlicher Darmausgang gelegt werden.«
»Falls doch, dann nur vorübergehend.«
Dieter Fuchs lehnte sich zurück und nickte zufrieden.
»Wenn Ihr Plan aufgeht, wäre das ein Hauptgewinn für unsere Klinik. Die Patienten würden aus ganz Deutschland anreisen, um sich hier behandeln zu lassen.« Wie immer dachte er nur ans Geschäft.
Hinter seinem Rücken verdrehte Matthias Weigand die Augen.
»Wir sollten zunächst den Operationsverlauf abwarten«, mahnte auch Daniel Norden zur Zurückhaltung. »Die Krankheit ist nach wie vor unheilbar und der Eingriff kompliziert. Es kann jede Menge schief gehen.«
»Papperlapapp.« Mit einer Geste wischte Dieter Fuchs diese Bedenken beiseite. »Wenn es um Ihre Arbeit geht, sind Sie der größte Tiefstapler, der mir je untergekommen ist.« Der Verwaltungsdirektor hatte genug gehört. Es drängte ihn, die neue Methode sofort in die Kalkulation und in den Leistungskatalog aufzunehmen. Er stand auf und klopfte Dr. Norden kameradschaftlich auf die Schulter. »Sie werden Erfolg haben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Halten Sie mich auf dem Laufenden!« An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Falls das Ihren Ehrgeiz anstachelt: Unter diesen Umständen können wir natürlich auch über eine Schreibkraft für die Pädiatrie reden.«
Ungläubig sah Daniel ihm nach, wie er durch die Tür verschwand.
»Hat man da noch Worte«, seufzte er, ehe er kopfschüttelnd an seinen Platz zurückkehrte, um mit den Kollegen die schwierigen Details zu besprechen.
*
»Tun Sie mir einen Gefallen, Lammers, und gehen Sie erst rein, wenn Elias schläft«, bat Felicitas Norden im Vorraum zum OP.
»Seit wann können Sie Gedanken lesen?«, fragte er zurück und ließ sich von einer Schwester die OP-Haube im Nacken verknoten.
Sie verzichtete auf eine Antwort, wünschte ihm viel Glück und betrat den OP, um kurz nach ihrem Schützling zu sehen.
»Vergessen Sie meine Sekretärin nicht!«, rief Volker ihr nach, ehe er den Mundschutz anlegte.
Elias lag auf der Liege und wartete auf den Eingriff. Die Anästhesistin Ramona Räther war bei ihm.
»Dr. Lammers kommt erst, wenn du schon schläfst. Und er ist ganz sicher wieder weg, wenn du aufwachst«, versprach sie.
»Wenn ich überhaupt wieder aufwache«, brummte der Junge missmutig.
»Aber, aber …« Tadelnd schüttelte Ramona den Kopf. »Zweifelst du etwa an meinen Fähigkeiten?«
Elias senkte den Blick.