Höchste Zeit, sich auf den schwierigen Eingriff vorzubereiten.
*
Ein strahlendes Lächeln auf den Lippen saß Annabelle Werner am Bett ihres Sohnes. Elias hatte die Operation überstanden und war vor einer halben Stunde aus der Narkose aufgewacht.
»Jetzt kannst du nicht nur Feuerwehrmann oder Fußballer werden«, erklärte sie überglücklich. »Du kannst auch Bergsteigen gehen. Oder ganz einfach nur auf Bäume klettern …«
Die Tür öffnete sich, und sie hielt inne, um zu sehen, wer sich die Ehre gab.
»Und runterfallen. Das lässt du schön bleiben. Ich habe keine Lust, dich noch einmal zu operieren«, erklärte Dr. Lammers und trat ans Bett.
Sofort verfinsterte sich Elias’ Miene.
»Frau Dr. Fee hat mir versprochen, dass ich dich nicht mehr sehen muss.«
Annabelle erschrak. Sie schickte ihrem Sohn einen tadelnden Blick.
Ungerührt schlug Lammes die Decke zurück und prüfte, ob der Verband richtig saß und das Bein geschwollen war.
»Glaub mir, ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt«, erklärte er ernst. »Aber du bist nun einmal mein Patient, und ich muss mich um dich kümmern. Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?«
Elias schüttelte den Kopf und starrte an ihm vorbei. Annabelle Werner wollte den Fauxpas ihres Sohnes wieder gut machen.
»Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Herr Dr. Lammers«, erklärte sie innig und in bester Absicht.
»Schon gut. Wenn Sie wirklich so begeistert sind von meiner Arbeit, können Sie sich gern erkenntlich zeigen. Eine Flasche Chateauneuf du Pape ist jederzeit willkommen.«
Angesichts dieser dreistigkeit blieb endlich auch Annabelle der Mund offen stehen.
Volker Lammers ignorierte ihren ungläubigen Blick und verabschiedete sich.
»Ich habe dir doch gesagt, dass er ein Ekel ist«, hörte er Elias noch sagen, ehe die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
»Warum sind Kinder nur so unsäglich dumm?«, fragte er sich kopfschüttelnd.
Vollkommen zufrieden mit sich und seiner Leistung machte er sich auf den Weg in sein Büro. Er öffnete die Tür und stutzte.
»Hallo.« Sein ungläubiger Blick ruhte auf der attraktiven Frau, die an seinem Schreibtisch saß. Sie warf die langen, blonden Haare in den Nacken und lächelte ihn lasziv an. »Wer sind Sie und was haben Sie in meinem Büro verloren?«, fragte Volker viel freundlicher als beabsichtigt.
Die herbe Schönheit lächelte.
»Sie haben sich eine Sekretärin gewünscht? Hier bin ich!« Ihre Stimme war ungewöhnlich tief, was sie in Lammers’ Augen nur noch attraktiver machte.
Er räusperte sich und trat näher. Obwohl er seine Mitmenschen zutiefst verachtete, war auch Volker letztlich nur ein Mann und beileibe kein Kostverächter.
»Kaum zu glauben, dass in dieser Klinik etwas so schnell funktioniert«, erwiderte er. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Frau …« Er sah sie fragend an.
»Nennen Sie mich Jacky.« Sie klimperte mit ihren langen Wimpern, stand aber nicht auf. »Stets zu Ihren Diensten.«
»Das gefällt mir.« Lammers leckte sich über die Lippen und kam um den Schreibtisch herum. Er blieb neben Jacky stehen und beugte sich hinunter. Plötzlich stutzte er. »Moment mal.« Es lag nicht an der Verkleidung des Pflegers, dass er den Schwindel durchschaute. Mit perfektem Makeup, einer Echthaarperücke und schlanken, langen Beinen in Leggins sah Jakob so täuschend weiblich aus, dass selbst Felicitas ihn nicht erkannt hatte. Es lag vielmehr an dem Lachen, das Jakobs Lippen zucken ließ. Nicht mehr lange, und es würde vorbei sein mit seiner Beherrschung. Das erkannte auch Volker Lammers. »Sie … Sie sind … Sie sind ja gar keine Frau«, platzte er empört heraus. »Sie sind ein Mann!«
»Aber ich beherrsche das Zehn-Finger-System«, japste Jakob, ehe er nicht länger an sich halten konnte. Er lachte und lachte, bis sich die Tränen eine Spur in sein kunstvolles Makeup gruben.
»Raus!« Lammers Befehl klang wie ein Urschrei.
»Aber Sie brauchen doch jemanden für den Schreibkram.« Jakob lachte noch immer, als er sich nach den Krücken bückte, die er unsichtbar neben dem Schreibtisch deponiert hatte. »Ich bin wirklich gut.«
»Raus habe ich gesagt!«, wiederholte Lammers seinen Befehl.
Jakob humpelte zur Tür.
»Ich kann wirklich …«
»Rede ich eigentlich chinesisch?« Volker machte Anstalten, den Pfleger höchstpersönlich aus dem Zimmer zu jagen.
So schnell ihn Bein und Krücken trugen, machte Jakob, dass er davonkam.
Lammers blieb allein in seinem Büro zurück. Er setzte sich an den mit Akten überhäuften Schreibtisch und lehnte sich zurück. Je mehr sein Zorn verrauchte, desto klarer sah er, welche Chance er gerade vertan hatte.
*
»Sie haben mich rufen lassen?« Sophie Petzolds Stimme war genauso provokant wie der Blick, den sie Daniel Norden schickte.
Um ein Haar hätte er seine Entscheidung wieder rückgängig gemacht.
»In Ihren Augen sind wir alle erzkonservative Dinosaurier, die sich gegen jede Innovation sträuben, was?«, fragte er, während er in den Operationskittel schlüpfte.
»Was wollen Sie denn noch von mir?«, fauchte sie gereizt. »Den Fall haben Sie mir doch schon weggenommen.«
Am liebsten hätte Daniel sie an den Schultern gepackt und geschüttelt.
»Sie haben Glück, dass ich nicht Ihr Vater bin. Dieses überhebliche, respektlose Gehabe würde ich Ihnen schon austreiben«, schimpfte er. »Und jetzt gehen Sie und ziehen sich um, bevor ich es mir anders überlege. Ich will, dass Sie bei der Operation assistieren.« Er nickte ihr zu, ehe er die Haube aufsetzte und im OP verschwand.
Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Sophie sich von ihrer Verwunderung erholt hatte.
»Na bitte!«, murmelte sie, als sich die Türen öffneten und Bettina Lücke hereingeschoben wurde. Beim Anblick der Assistenzärztin huschte ein Lächeln über ihr angespanntes Gesicht.
»Da bist du ja. Ich dachte schon, du lässt mich im Stich. Genau wie Ralf«, fügte sie leise hinzu und kämpfte mit den Tränen.
Sophie trat ans Bett und griff nach Bettinas Hand.
»Hat er sich nicht mehr gemeldet?«
»Nein.« Bettina biss sich auf die Lippe. »Aber dafür bist du ja jetzt da. Ich habe gehört, du hattest Ärger.« Sie sah Sophie fragend an.
»Nur ein Missverständnis.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Letztlich musste mein Chef einsehen, dass er auf eine Ärztin wie mich nicht verzichten kann.«
Diesen einen Satz schnappte Matthias Weigand auf, der um die Ecke am Waschbecken stand und nur den Kopf schütteln konnte. Angesichts solcher Aussagen war er nicht mehr sicher, ob er Daniel nicht furchtbar unrecht getan hatte.
»Frau Petzold!« Mit einem Handtuch in der Hand trat er zu ihr. »Machen Sie sich jetzt bitte fertig.«
Sophie hatte nicht damit gerechnet, einen Zuhörer zu haben. Sie fuhr erschrocken herum. Ihre Wangen leuchteten in schönstem Rot, als sie mit gesenkten Augen an ihm vorbei hastete.
Lächelnd nahm Matthias ihren Platz ein.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Lücke. Dr. Norden und die Kollegen verstehen ihr Handwerk.«
»Und Sie?«
»Ich natürlich