Also holten sie das Wasser aus dem Kanal oder dem Bach, und das Holz – das stahlen sie! Es gab ja genug davon in den Hütten entlang des Bachs und davor. Ob da nun mal eine Beige den Hang hinunterrugelte und bald vom Hochwasser fortgerissen wurde, oder ob sie im Bettelhaus so nach und nach verschwand, das kam am Ende aufs gleiche heraus – und es kam auch nicht darauf an!
Und dann war der alte Zigeuner auch dauernd besoffen: wie das? Most hatten sie keinen im Keller, weil sie keine eigenen Bäume und auch keine Fässer hatten, und so viel Geld bekam er doch auch nicht, daß er sich den Rausch aus der Wirtschaft holen konnte. In den Wirtschaften durfte er sich auch nicht sehen lassen, wenn er nicht den Ranzen voll haben wollte. Also Schnaps? Aber woher?
Als dann die Bomber und feindlichen Flugzeuge über dem Dorfhimmel immer mehr wurden, hieß es, den Zigeunern würden Schnapsflaschen abgeworfen. Tatsächlich wurde der Zigeuner dann auch tage- und wochenlang nicht gesehen: vielleicht suchte er dann in den Wäldern unseres Dorfes und anderer Dörfer nach dem Schnaps und nach den anderen Dingen, die er doch von uns nicht bekam. Auch die Kinder sprangen nach der Entwarnung auf die Wiesen und in die Wälder und suchten und suchten . . .
Aber meistens fand man nur Starenkisten an den Bäumen, die man mit den Stützen, die sonst Baumäste abfingen, herunterstupfte. Am schönsten wars im Frühjahr, wenn in den Vogelkästen noch Junge hockten, die dann mit herunterfielen. Aber es konnten auch nur die Eier sein; die konnte man werfen wie Ostereier, bloß waren ihre Schalen nicht so dick und platzten viel früher. Auch konnte man diese Vogeleier nicht essen, sondern nur zertreten oder einfach liegenlassen.
Atta, Persil, Henko – hinein!
Aber wenn man richtig Schlitten oder Schi fahren wollte, dann ging man auf die Wiesen und Hänge um den Ort und fuhrwerkte nicht in den Straßen und Gassen herum. Und da gab es ganz schön steile Stellen. Und zwar auf beiden Seiten des Tals. Man war mit allen Bahnen vertraut.
Ich hatte schon lange einen Schlitten, einen ganz neuen, den hatte meine Mutter beim Wägner am Kanal gekauft.
Damit zog ich oft vom Haus weg, kam allein auf eine Bahn auf dieser oder einer anderen Seite des Tals, oder ich schloß mich unterwegs einfach einer Gruppe Kinder an und landete dann dort, wohin sie ging.
Es gab eigentlich in jedem Winter viel Schnee, und immer lief es gut; ich rauschte den Hang hinab, kam knapp an einem Baum vorbei und war rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause. Man brauchte mich nie suchen, auch damals nicht, als ich doch gegen einen Baum fuhr: damals brachten mich die Kinder, weil ich nur dalag und keinen Mucks mehr von mir gab, auf meinem Schlitten heim. So ist mir das nachher erzählt worden. Und warum soll ich es nicht glauben?
In allen Lagen fuhren wir mit dem Schlitten die Bahn hinab: sitzend; auf dem Bauch; zu zweit; zu dritt – auf einem Schlitten; in Kolonne mit aneinandergebundenen Schlitten.
Und das Geschrei, das wir vollführten: »Aus der Bahn, Katz hat Schlittschuhe an!« schrien wir zum Beispiel, und wenn eine ganz steile und vielleicht auch gefährliche Abfahrt bevorstand, ertönte es von oben. »Atta, Persil, Henko – hinein!«. Und ab ging die Post; so schoß man zwischen den Kindern hindurch, die gerade den Schlitten heraufzogen oder, wie einige Mädchen, quer herumfuhren und weiter unten am Hang zur Abfahrt ansetzten.
So muß es bei mir gewesen sein. Ich setzte immer oben an; bezog Stellung, wartete bis so viele wie möglich auf mich schauten, stieß diesen Ruf aus und warf mich mit dem Bauch auf den Schlitten und schoß ins Tal hinab.
Es war wirklich ein sehr steiler Hang, und ich bekam großen Schwung; ich meine heute noch, daß man mich anfeuerte, so daß ich gänzlich aus dem Häusle geriet und nichts mehr hörte und sah – nur diese Bahn vor mir, auf der ich immer schneller und schneller wurde.
Meine Mutter erzählte mir, ich sei damals fünf Jahre alt gewesen und ein Räuber, wie er im Buche stand: nicht zu halten, mit einem Gespür für alle Gefahren, furchtlos und leichtsinnig zugleich. Da habe ja so etwas einmal kommen müssen.
Aber man hätte mich doch nicht anbinden können, auch wenn sie das schon mal tat: tatsächlich habe sie mich öfters an einen Baum gebunden, mit einem Seile wie für die Schafe und Geißen, wenn sie auf dem Feld arbeitete und sie keinen Aufpasser oder eine Aufpasserin für mich gehabt hätte und ich sonst weggelaufen wäre – zurück ins Dorf oder hinauf in den Wald. Und da hätte sie keine Ruhe gehabt.
Vielleicht hätte sie mich in diesem Winter auch anbinden müssen: an den Pfosten der Bettlade oder in den Stall an die Krippe – in der Scheuer; hinten im Garten: ich weiß nicht! Jedenfalls geht meine Erinnerung nur bis zu dieser Abfahrt – und dieser Schlachtruf funkt mir immer durchs Hirn: »Atta, Persil, Henko – hinein!« Atta, Persil und Henko, das waren Wasch- und Putzmittel im Krieg – sie sinds wohl auch danach wieder geworden.
Und dann besuchte mich meine Mutter zum ersten Mal im Krankenhaus, nachher auch zusammen mit meinem Vater; aber, sagte sie, ich sei schon länger im Krankenhaus, und sie hätte mich auch vorher schon besucht – aber ich hätte geschlafen und nur geschlafen, ich, und die Ärzte und sie hätten fast nicht mehr daran geglaubt, daß ich jemals wieder aufwachen würde: ich hätte eine schwere Gehirnerschütterung von dem Aufprall mit dem Schlitten auf den Baum, und ich sei drei Wochen bewußtlos gewesen.
Drei Wochen?
Ja, drei Wochen.
Ist es noch Winter?
Es ist noch Winter.
Wo ist mein Schlitten?
Ach, dein Schlitten . . . den hat dr Ähne wieder ganz gemacht; der steht jetzt im Schopf. Aber was willst du jetzt mit deinem Schlitten?
Wieder damit fahren.
Das werden wir sehen.
Und dann sei ich wieder eingeschlafen, aber diesmal normal, doch hätte man sich im Krankenhaus weiter Sorgen gemacht, und sie hätte mich von da an jeden Tag besucht, und alles Geschäft im Haus und auf dem Feld blieb liegen, aber sie hätte ja zum Glück den Hannes gehabt und den alten Feldschütz, Rentner, die schon immer für sie arbeiteten, auch ihr Vater, meine Ähne, sei jetzt öfters ins Tal heruntergekommen. Zuletzt habe sie sich an die Gemeinde wenden müssen wegen eines Fremdarbeiters, den habe sie auch bekommen, aber das sei genauso viel Geschäft mit denen, ich solle doch nur rasch gesund werden, dann werde man schon sehen.
Milch, Kühe und Schafe
Wir hatten eine Kuh – mal eine Geiß, später Schafe – im Stall unter der Stube. Vom Stall zur Straße ging die Miste mit dem Güllenpumper drin.
Eines der Schafe hieß Gretel, das führte ich sogar an der Leine.
Es folgte mir aufs Wort, darauf war ich sehr stolz.
Es hatte keine Angst, vor nichts und niemand: wenn ich es hetzte, ging das Schaf sogar auf Hunde los.
Da kam einmal eine Frau aus dem Flecken mit ihrem Dackel an unserem Haus vorbei, und ich war grad mit Gretel da.
Der Dackel wollte doch gleich gegen das Schaf gehen, da hetzte ich Gretel, und sie blieb stehen, senkte den Kopf, so als ob sie Hörner hätte, und raste wie ein Stier auf den kleinen Hund zu.
Der stutzte, zog den Schwanz ein und jaulte davon.
Gretel ihm nach. Ich hinter ihr her.
Das Weib fing an zu schreien.
Aus der Scheuer kam meine Mutter.
Weit und breit kein Hund mehr, bloß das Weib und ich.
Da trabte Gretel wieder daher und auf mich zu.
Lux! Lux! komm her, schrie das Weib.
Was macht denn dein Schaf mit meinem Hund?
Meine Mutter fragte: