Wie die anderen Kinder hatte ich mein besonderes Revier, das ich verteidigte und das man mir ließ.
Hier baute ich meine Gumpen, indem ich das Wasser mit Steinen, Holz und Letten staute.
In diesem Bereich schälte ich im Frühjahr auch die Haut von den Eschen und drehte sie zu sogenannten Dudelsäcken zusammen: so nannten wir die Röhren, die vorne ganz dünn anfingen und nach hinten immer weiter wurden. Auch das Mundstück klopfte ich mir selber mit dem Griff meines Taschenmessers von einem Zweig ab.
So hatte ich immer Arbeit, und es mangelte mir an nichts; was mir fehlte, das holte ich mir im Wald oder am Bach und machte es daheim vollends fertig.
Meine Schwester
Meine Schwester kam auf die Welt, als ich fünf Jahre alt war. Zum Glück hatte ich nicht viel Geschäft mir ihr, da meine Mutter eine Kindsmagd für sie hielt. Eigentlich mehrere hintereinander.
Meine Mutter hatte auch eine Frau, die ihr die Wäsche machte, und zwei Männer, die bei Feld- und Gartenarbeiten mithalfen. Später bekam sie von der Gemeinde auch Gefangene zugeteilt – Russen, Franzosen –, die sie nach Bedarf bei der Arbeit im Haus oder auf dem Feld einsetzen konnte. Die mußte sie morgens im Vereinshaus abholen – meistens ging ich natürlich mit – und abends um fünf Uhr zurückbringen. Denn schließlich hatte sie eine gewisse Verantwortung für sie. Da gab es sehr unterschiedliche Leute darunter, dankbare und anspruchsvolle; einige, die froh waren, herauszukommen, und andere, die meine Mutter ausnutzten.
Natürlich mußte ich auch mal ran und den Kinderwagen schieben. Das ging dann so:
Gleich nach unserem Haus in Richtung Flecken fiel die Straße oder Gasse gleich stark ab; da bekam man dann Schwung. Ich schob den Kinderwagen ganz ruhig vom Haus weg und wartete, bis meine Mutter nicht mehr herschaute. Dann stieß ich den Kinderwagen an und rannte, was ich rennen konnte, die Gasse hinunter und wartete unten in der Straße, in die unsere Gasse einmündete, auf ihn. Manchmal mußte ich auch wieder zurückrennen, weil der Wagen nicht gerade lief.
Aber das war nur am Anfang.
Mit der Zeit bekam ich den Dreh heraus, so daß der Wagen genau in der Mitte der Gasse mir entgegenrollte. Meine Schwester im Wagen merkte nichts; aber sie merkte auch nichts, wenn ich mal stehenblieb oder sie vor einem anderen Haus abstellte, um meinen eigenen Vergnügungen nachzugehen. Schreien tat sie sowieso. Als ich aber eine gewisse Perfektion im Umgang mit dem Kinderwagen entwickelt hatte – und die Nachbarn ins Haus kamen, um sich bei meiner Mutter über mich zu beklagen –, da durfte ich schon nicht mehr damit fort.
Auch wenn es nie einen Unfall gegeben hatte und der Wagen nie umgestürzt war.
Es sei einfach zu gefährlich. Und unverantwortlich von meiner Mutter. Es tat mir schon leid.
So mußte ich mich ganz mit meinem Rennwagen – auch Seifenkiste genannt – begnügen. Der war neu. Ich hatte endlich vier neue Kinderwagenräder und die Achsen dazu aufgetrieben. Darauf legte ich ein Brett, das ich bei uns im Schopf fand; vorher ließ ich mir von einem Schlosser die Achsen links und rechts durchbohren, damit konnte ich sie auf das Brett aufnageln und brauchte nicht mehr die Nägel um die Achsen herum krummschlagen. Das gab der ganzen Sache mehr Stabilität – und weniger Nägel brauchte man auch! Helfen bei dieser Arbeit tat mir mein Deede, der jüngste Bruder meiner Mutter und Sohn meines lebenden Großvaters in dem viel kleineren und höhergelegenen, etwa drei Kilometer entfernten Ort.
Er wurde auch zum Militär eingezogen; nur noch während des Urlaubs konnte er mir helfen.
Mein Rennwagen hatte ein richtiges Lenkrad, eine Vorderund eine Hinterradbremse.
Diese Seifenkiste hob sich von allen anderen in unserem Dorf ab.
Jeder wollte damit fahren. Aber da war ich wählerisch: ich ließ mich lieber von den anderen schieben. Daran hatte mein Deede auch gedacht. Er hatte hinten auf das Sitzbrett eine Latte genagelt, in der Mitte sägte er eine Ecke heraus: dahinein mußte man zum Schieben die Stange stecken. Und ich ließ mich schieben, freute mich königlich, daß ich den andern einmal etwas voraushatte. Und sie bauten meinen Rennwagen nach und ließen sich von ihren Freunden schieben. Das machte mir aber nichts mehr aus, Hauptsache ich war einmal schneller und besser gewesen. Danach mochten sie wieder machen, was sie wollten.
Ich richtete mich auch nicht nach ihnen, wie sollten die sich nach mir richten?
So lebten wir in Frieden miteinander, die Kinder des Dorfes und ich: jeder hatte, was er brauchte oder bekam mit der Zeit doch das, was in diesen Jahren möglich war.
Hunde
Nein, einen Hund haben wir nicht mehr gehabt seit dem Spitzer, den ich ja nicht mehr gesehen hab. Aber ich mochte Hunde sehr gern, und sie mochten wohl mich. Vielleicht hatte ich deshalb keine Angst vor ihnen – auch nicht vor den schärfsten und größten!
Auch nicht vor dem Schäferhund, der mal auf unsere Schlitten- und Schibahn am Bettelsteg gerannt war. Er gehörte dem Schäfer, der hier in der Nähe wohnte und jetzt heimgekommen war, seinen Hund aber einfach zwischen den Kindern herumrennen ließ.
Alle stoben sie schreiend auseinander. Ich aber blieb stehen und schlug mit dem Stock nach ihm, zuerst mit dem einen und dann mit dem andern; dann schnallte ich mir meine Faßdaugen ab und warf sie nacheinander nach dem Hund, der nicht gleich aufgeben wollte, sondern sich mir stellte.
Als ich auch die zweite Faßdauge nach ihm geworfen hatte, hob ich wieder den ersten und dann den zweiten Stock vom Schnee auf: so verjagte ich den Hund von der Bahn und trieb ihn noch am Bach entlang bis in seinen Hof hinein.
Das gab einen Aufruhr, und endlich tauchte auch der Schäfer auf; der schimpfte aber weniger mit dem Hund als mit mir, weil ich so grob gegen ihn vorgegangen sei.
Aber ich blieb hartnäckig: Der solle mir nur nochmal kommen, sagte ich.
Ich werde schon sehen, sagte der Schäfer, der Hund werde es sich merken und mich schon nochmal packen.
Und die Leute, die jetzt aus den Häusern gekommen waren und herumstanden, zusammen mit den Kindern, die sich nun wieder auf die Bahn trauten, glaubten das auch.
Ja, ja, sagte ich nur.
Aber der Hund machte nichts; er ging mir immer aus dem Weg, wenn er mich nur kommen sah.
Ich hab auch, ehrlich gesagt, nichts anderes erwartet; mit den bloßen Händen wäre ich ihm an die Gurgel gefahren.
Ich mochte ja Hunde gern, aber nicht solche, die gegen mich oder andere Kinder gingen. Da wird sich auch nichts ändern. Einige Jahre später habe ich mit einem solchen Schäferhund oder Wolfshund regelrecht Freundschaft geschlossen. Das war auf einem Hof in Oberschwaben, auf einem sehr großen Hof, so wie es bei uns im mittleren Württemberg keine gab, wo wir meinen Vater nach dem Krieg besucht haben. Er mußte hier als Knecht arbeiten in der Zeit, in der ihn die Franzosen gefangengesetzt hatten. Eigentlich waren es drei Hunde; der eine an der Haupteinfahrt von der Straße her, der andere hinten heraus zum Teich, und der dritte rechts bei den Pferdeställen und den Knechtwohnungen darüber.
Ich verstand mich mit allen dreien, aber am besten mit dem an der Haupteinfahrt. Er war in einem großen Käfig drin und sprang sofort zähnefletschend am Gitter hoch, wenn sich ein Fremder ihm nur näherte.
Das machte mich natürlich neugierig.
Nicht, daß ich ihn reizen oder herausfordern wollte: der Hund gefiel mir halt. Es war auch ein schönes Tier.
Schon am Morgen, gleich nach dem Kaffee, ging ich raus und stellte mich vor den Käfig und sprach mit ihm. Am zweiten Tag bellte er schon nicht mehr, wenn ich kam, knurrte nur noch und drehte sich weg. Schließlich