Die verbotene Frucht. Paul Oskar Höcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Oskar Höcker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445587
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sie täuschte sich nicht.

      In demselben Augenblick nämlich waren zwei Herren dicht an ihnen vorübergekommen — und der eine davon war der Vetter ihres Mannes.

      Ein ganz klein wenig hatte der Fremde gestutzt, kaum merklich den Schritt verkürzend. Aus seinen hellgrauen, grossen Augen schweifte ein fragender Blick über die Gruppe — und in kurzem, bestürztem Erkennen begegnete er dem des Juristen.

      „Der ist es?“ fragte die Baronin in scharfem Flüsterton. „Er hat es unbedingt gehört!“

      Wieder herrschte darauf peinliches Schweigen.

      Die beiden fremden Herren waren weitergeschritten und, gegen den Wind ankämpfend, um den Rauchsalon herum auf die andere Deckseite gegangen.

      Jutta erhob sich.

      „Ist dir kalt?“ fragte ihr Gatte, gleichfalls aufstehend.

      Da sie nicht antwortete, sondern die Gruppe verliess, kam er rasch an ihre Seite und begleitete sie, indem er bei ihr einhängte.

      „Ich hatte natürlich meine Gründe, Jutta, Frau von Druhsen sofort reinen Wein einzuschenken. Herausgebracht hätte sie’s doch. Und es traf sich nun mal so, da der — der Betreffende — gerade vorbeikam. Damit ist nun festgestellt: so stehen wir. Übrigens entschuldige. Es war mir selbstredend gleichfalls peinlich.“

      Sie nickte kaum.

      Nach einer Pause hob er wieder an: „Irgend etwas stimmt nicht, Jutta. Du hast mir da sicher was übelgenommen, wie? Na, sag doch. Bist du deshalb aufgestanden?“

      Sie hatte sich von ihm freigemacht. „Bewahre. Bloss um den Herrschaften Gelegenheit zu geben, den Fall unter sich zu erledigen. Das war doch jetzt der gegebene Augenblick.“

      „Das ist nun wieder mal ganz Jutta“, sagte er. Und versuchte zu lächeln.

      Viertes Kapitel

      Ihre Menschenkenntnis trog übrigens nicht. Als sie auf ihrer Wanderung wieder in die Nähe der Gruppe kamen, hörten sie Frau von Druhsen eifrig auf Stangenberg einreden. Der Name Succo kam in jedem Satze vor.

      „... Also es waren drei Brüder. Kuno von Succo, der als Oberlandesgerichtspräsident starb. Das war der Vater von dem jetzigen Oberstaatsanwalt. Der zweite Bruder war Philipp von Succo. Der starb sehr früh. Er war Major und hatte eine geborene von Zabell zur Frau.“

      „Von Zabell mit zwei l“, warf die Gesellschafterin ein.

      „Die Witwe lebt noch. Und deren Sohn muss es sein. Stimmt’s?“

      Stangenberg war ihr hilflos ausgeliefert.

      „Der dritte Bruder ist als einziger noch am Leben: Bodo von Succo. Ja — und denken Sie — in einer solchen Familie ... ach, Herr von Stangenberg, Sie wissen sicher noch Näheres ...“

      „Gnädigste, Sie sind doch schon so eingehend unterrichtet!“

      Aber sie ruhte nicht. Hier war sie ganz in ihrem Fahrwasser. Mehrmals sah sie ihre Gesellschafterin geradezu beglückt an. Als Stangenberg endlich ziemlich ausgepumpt die erstbeste Gelegenheit wahrnahm, um in den Rauchsalon zu verschwinden, fühlte sie sich imstande, der aufhorchenden Runde einen lückenlosen Tatbericht zu geben.

      Also. Es hatte als ganz gewöhnliche dumme Kasinogeschichte angefangen. Der Referendar von Succo war Gast gewesen und war mit seinem Kompanieleutnant in einen heftigen Wortwechsel geraten. Der junge Offizier, schliesslich bis aufs Blut gereizt, hatte ihn dienstlich hinausgeschickt, Succo verweigerte den Gehorsam, ein regelrechter Skandal entstand — es gab ein Handgemenge — in plötzlicher Wut holte Succo aus und schlug seinem Vorgesetzten vor den versammelten Kameraden ins Gesicht. Die überwältigten ihn natürlich und schafften ihn hinaus, noch bevor sich der Offizier in den Besitz seiner Waffe gesetzt hatte.

      Nun entsann sich sowohl der Dresdener Apotheker und Weltumfahrer als auch sein Nachbar: sie hatten darüber seinerzeit in den Tageszeitungen gelesen, schufen aber Verwirrung, denn sie brachten ein paar andere Fälle durcheinander. Die Sache lag ja schon so weit zurück.

      Der Nachbar des Apothekers, ein junger, reicher Schlesier namens Schneider, dem man sofort den Namen „der Kohlenbaron“ gegeben hatte, bemühte sich — vergeblich —, ein Einglas ins Auge zu klemmen. „Es war ein Herr von Münchhoff“, sagte er.

      „Nicht von“, belehrte die Baronin, „bloss Münchhoff.“

      „Dann ist es zu einem Duell gekommen?“ fragte der Apotheker.

      „Nein, der Ehrenrat hat es nicht geduldet, weil der junge Mann doch gleich in Untersuchungshaft gekommen und abgeurteilt worden ist.“

      Der Schlesier hatte ein Lächeln aufgesetzt. „Zweifellos war’s doch ’ne Mädelsgeschichte. Nicht?“

      Frau von Druhsen hob die Augenbrauen und räusperte sich. „Einzelheiten wollen wir lieber nicht erörtern.“

      Nun räusperten sich auch die anderen.

      „Jedenfalls schlossen Gefängnis und so weiter jeden Ehrenhandel mit der Waffe aus“, meinte der Kohlenbaron.

      „Höchst peinlich für die Familie“, sagte das Gesellschaftsfräulein.

      Der junge Schlesier machte wiederum einen Versuch, sein Einglas unterzubringen. „Ich erinnere mich, Münchhoff sollte von seinem Regiment gehalten werden, nahm dann aber doch seinen Abschied.“

      Frau von Druhsen lehnte sich in ihrem Liegestuhl behaglich zurück. „Ich hatte mir’s doch gleich gedacht, dass mit diesem Mister Succo aus Kairo irgend was nicht stimmte.“

      Und die Unterhaltung plätscherte in der angeschlagenen Tonart weiter.

      An der Tür zum Rauchsalon stiess Stangenberg dann mit dem Ehepaar Succo wieder zusammen. Jutta merkte ihm eine Verlegenheit an: weil er, wenn auch ohne sein Verschulden, von der fremden Dame in den Klatsch mit hineingezogen worden war. Sie hatte ein besonderes Lächeln. Der Gegenstand selbst wurde zwischen ihnen aber nicht mehr berührt.

      „Musst du nicht bald in die Kabine, dich umziehen?“ fragte Succo seine Frau.

      Der Vorwand kam ihr gelegen. Sie sagte sich auch, dass ihr Gatte sich nun doch von Stangenberg ausführlich Bericht über die Auffassung der andern erstatten lassen wollte. Denn das Urteil der Welt war ihm ja Richtschnur in allem. „Ja, es wird Zeit. Aber lass dich nicht stören, Gustl. Ich spaziere bloss noch ein bisschen über Deck.“

      So trennten sie sich.

      Jutta war es ein Bedürfnis, noch ganz für sich etwas „See kneipen“ zu können.

      Glanzlos war die Sonne untergegangen. Der Anblick der dunklen Flut hatte etwas Unheimliches. Das Wasser wies nur in der aus den Kajütenfenstern vom Licht getroffenen Bahn weisse Schaumkämme auf, sonst wirkte es wie eine schwarze, zähe Masse, die sich hob und senkte mit dumpfem Donnern und dröhnendem Anprall an die Bordwand.

      Als Jutta später, um zur Kabine zu gelangen, das obere Promenadendeck hinter der Kommandobrücke betrat, begegnete ihr der Kapitän. Ihr Gatte hatte sich mit ihm bereits bei der Ankunft im Zahlmeisterbüro bekannt gemacht. Inzwischen hatte der Kapitän durch den Zahlmeister erfahren, dass die Inhaberin der Kabine Nr. 1 die Tochter des sehr einflussreichen Inspektors Plaschke war, der rechten Hand des Generaldirektors. Er sprach sie also daraufhin an und lud sie und ihren Mann ein, jederzeit und nach Gefallen die den Fahrgästen sonst gesperrte Kommandobrücke zu benutzen.

      Sie folgte der Einladung sofort. Als Gäste des Ersten Offiziers befanden sich noch ein paar Herren dort. Es war auf deutsch eine lebhafte seemännische Unterhaltung zwischen ihnen im Gange.

      Auf der Brücke selber war es dunkel. Aber man übersah von hier aus die verschiedenen hell erleuchteten Decks. Jutta verblüffte die Höhe über dem Bug, der sich in gleichmässigem Takt tief da unten in die Wogen senkte.

      „Die Wolkenkratzer des Meeres“, sagte soeben einer der Herren drüben.

      Der