Die verbotene Frucht. Paul Oskar Höcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Oskar Höcker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445587
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Herr von Stangenberg wartet.“

      „Eigentlich schade. Hier wär’s nun doch riesig gemütlich gewesen. Weisst du, wie an dem Abend in Wiesbaden vor drei Jahren: da liessen wir auch das Kurkonzert und ... Weisst du noch?“

      Auf diese Erinnerung an die Hochzeitsreise ging sie nicht ein. Und nun wusste er: sie schmollte.

      „Kratzbürste!“ sagte er, während sie das Hotelzimmer verliessen.

      Beim Essen und in der Oper wirkte sie wieder sehr verführerisch auf ihn. Sie sah heute abend vorzüglich aus. Übrigens lenkten sich viele Operngläser auf sie. Auch Stangenberg fand, dass sie den Vergleich mit all den herausgeputzten, juwelenbeladenen Logenschönheiten der Marseiller Welt nicht zu scheuen brauchte. Es lag ein besonderer Stil in der feinen und rassigen jungen Person.

      Der Oper „Carmen“, die von mittelguten Sängern gegeben wurde, folgte ein hervorragend schönes Ballett. Die Vorstellung war erst kurz vor ein Uhr aus. Es galt, danach rasch ins Bett zu kommen, denn um acht Uhr spätestens musste man sich erheben.

      Jutta hatte in ihrer lebhaften, sprühenden Art an allem teilgenommen. Ihr Gatte hielt die Verstimmung von zuvor also für überwunden.

      Als sie in ihrem Hotelzimmer angelangt waren und das Licht aufgedreht hatten, nahm er sie wie in einem Überfall plötzlich in seine Arme, trällerte ein Motiv aus „Carmen“ und versuchte mit ihr ein paar Schritte zu walzen. Solche Anwandlungen hatte er selten — Jutta war aber immer mit Humor darauf eingegangen und hatte die Stimmung durch ihr dunkles, zärtliches Organ und ihr warmes, melodisches Lachen rasch gesteigert.

      „Gustl!“ entfuhr ihr’s jetzt in jähem Schreck. Sie deutete mit weit ausgestreckter Hand auf den Stuhl an der rechten Seite des grossen Doppelbettes. Über der Lehne hingen dort die Kleider, die sie vor dem Abendessen abgelegt hatte. Und von einer schwarzen Spitzenzacke des untersten Volants hing ein goldenes Kettchen herab. Mit zwei Sätzen war sie dort, kniete nieder und hob den blitzenden Gegenstand auf. Es war ihr Armband. Es hatte sich fest in die Spitze verwickelt. Sie brachte es nicht los, ohne ein paar Fäden zu zerreissen.

      Verdutzt war er ihr gefolgt. „Na, da hört ja alles auf. Wie kommt es dahin?“

      Sie hatte sich ihm zugewandt. In der ersten Erregung vermochte sie kaum zu sprechen. „Da ist es — sie hat es also doch nicht ... Ach Gott, ach Gott!“

      „Nun bloss nicht gleich wieder nervös, liebe Jutta, das bitte ich mir aus“, sagte er gereizt, „die Sache hat mich schon genug geärgert.“

      Sie schluckte. „Nein, nein, keine Vorwürfe, es ist eben bloss ein schrecklicher Irrtum gewesen.“ Hastig steckte sie die Kette in die Tasche ihres Reisemantels. „Wir wollen nur gleich hingehen, komm, Gustl, am besten gar nicht erst ablegen.“

      „Wohin gehen?“

      „Nun, auf die Wache natürlich.“

      Er lachte kurz auf. „Wie denkst du dir das? Ein Viertel nach ein Uhr?“

      „Wir müssen sie bitten ... Wie kann man’s nur wettmachen? ... Ach, es ist ja so schrecklich!“

      „Erlaube mal, Kind, du stellst dir in allem Ernst vor, dass man sie jetzt, mitten in der Nacht, herausholen wird?“

      „Ja, hättest du denn Ruhe — auch nur eine Sekunde lang?“

      „Aber gewiss. Vorläufig schläft die Gesellschaft. Hat wenigstens ’ne Pritsche unter sich, ein Dach über sich und ist so vielleicht besser aufgehoben als sonst. Morgen beizeiten geh’ ich hin, melde die Geschichte, man schenkt ihnen was, und damit holla.“

      „Das — ist eine seltsame Auffassung.“

      „Die logische und praktische. Allerdings.“

      „Sie ist aber falsch.“

      „Liebes Kind: der Jurist bin doch schliesslich ich. Nicht wahr? In solchen Dingen musst du schon mit meinen Entscheidungen zufrieden sein.“

      „Ich muss?“ Die Tränen traten ihr in die Augen. „Ja, freilich, du hast recht. Als Frau ist man wehrlos.“

      „Na, höre mal, Kind, wir werden doch nicht um ein Uhr in der Früh solchen Unfug ... Richtig, nun schmollst du wieder.“

      „Ich schmolle nicht, Gustav. Es ist mir nur schmerzlich, dass wir jedesmal uneinig sind, wenn sich’s um mehr als eine Nummer unseres Zeitvertreibs handelt.“

      „Kommt daher, dass ich dir in allem die Vorhand und die Entscheidung lasse — bloss in dem nicht, wofür ich als Mann verantwortlich bin.“

      Im Mantel setzte sie sich auf den Stuhl am Bett. Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Er legte nun ab und zog seine Uhr auf. „Jutta, sei verständig. Es ist ein Uhr zweiundzwanzig.“ Er gähnte leicht. „Offen gestanden bin ich auch ehrlich müde.“

      „Ja so.“

      Nun kam er lachend rasch auf sie zu und umfasste von rückwärts mit der Linken ihr Kinn. „Du bist ja so reizend in deiner Entrüstung. Wahrhaftig, man müsste dich immer ein bisschen ärgern. Was?“ Er küsste sie, er suchte unter Lachen zu ersticken, was sie erwiderte. Aber als er ihr ins Auge sah, verflog seine Stimmung sofort. „Du willst nicht — eh bien.“

      Sie gingen zur Ruhe, ohne einander gute Nacht zu sagen.

      Er schlief sofort ein. Aber sie wachte noch lange und sah mit nassen Augen in die Dunkelheit. Das ganze Mitleid ihres Herzens weilte bei der unglücklichen jungen Mutter und ihrem Kind in der Arrestzelle. Und im Fortschreiten der Nacht ward das Bild des armen kleinen Wesens dem ihres verstorbenen Kindes immer ähnlicher.

      Noch nie hatte sie sich ihrem Manne so fremd gefühlt wie in diesen Stunden.

      Drittes Kapitel

      Der deutsche Luxusdampfer, der den Verkehr von Marseille nach Ägypten vermittelte, lag an dem Riesenpier des Hafens von Joliette. Er ragte mit seinen beiden gelben Schornsteinen hoch empor über die ganze Flotte, die den grossen Hafen füllte.

      Die gewaltigen Masse des Dampfers hatten für die am Morgen der Abfahrt am Hafen eintreffenden Reisenden etwas ungemein Beruhigendes. Der Himmel war bedeckt, ein kalter Wind fegte durch die Strassen, und die Hotelportiers weissagten den Mistral: die Aussichten auf eine glatte Überfahrt waren im Schwinden begriffen.

      Auch Succo und der Rittmeister betrachteten das Schiff, als ihre Wagen in die lange Zollhalle einfuhren, mit einer gewissen Genugtuung.

      Gespräche über die Seekrankheit herrschten in den meisten Gruppen der Ankömmlinge vor. Jutta stellte das fest, während sie mit auf die Einschiffung des Gepäcks wartete.

      „Sie sagen das so siegessicher, gnädige Frau. Sind Sie selbst seefest?“

      „Ich war’s wenigstens als junges Mädchen. Papa hat mich oft mitgenommen. Kattegatt, Skagerrak und Kanal, bei bewegter See wären das die Kostproben, meinte er.“

      „Ich werde seekrank, wenn ich bloss die Namen höre. Wie gedenken Sie sich auf dem Sprung nach Afrika zu verhalten, Herr von Succo?“

      „So tapfer als irgend möglich. Da meine Frau eine halbe Seeratte ist, bin ich ja sozusagen dazu verpflichtet.“

      Jutta lachte. Sie war schon wieder in guter Stimmung. Hier fühlte sie sich ganz in ihrem Element. „Dabei sündigst du fortgesetzt gegen Papas allererstes Seemannsgebot, Gustl.“

      „Was ist das für eines, gnädige Frau?“

      „Von der Seekrankheit nicht sprechen — nicht einmal daran denken.“

      „Na ja, Papa als Teerjacke hat gut Ratschläge erteilen! — Meinen Schwiegervater müssen Sie nämlich kennenlernen, Herr von Stangenberg. Famoser alter Herr. Die Menschheit zerfällt für ihn in Seefeste und Nichtseefeste; damit Schluss.“

      Das Gedränge in der grossen Halle war immer stärker geworden. Jutta schlug also vor, lieber dem jungen Schiffsoffizier, der das Verstauen des Gepäcks überwachte, die Verantwortung