Die verbotene Frucht. Paul Oskar Höcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Oskar Höcker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445587
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      „Jutta, nun lass doch diese ganze Art. Du siehst doch, wie unangenehm mir die Sache ist.“

      „I, bester Herr von Succo, aber es trifft Ihre Familie doch nicht der leiseste Tadel dabei.“

      „Gegen welches der zehn Gebote hat dieser geheimnisvolle Vetter also gesündigt? Darauf kann ich jetzt endlich eine erschöpfende Antwort beanspruchen.“

      Es war Juttas Ton noch immer nicht zu entnehmen, ob sie die Angelegenheit ernst auffasste. Succo runzelte die Stirn.

      „Ich habe dir von Fritz von Succo bisher nur deshalb nichts gesagt, weil wir seinerzeit auf einem Familientag in Hannover, der seinetwegen einberufen war, uns geeinigt haben — das heisst so ziemlich sämtliche Vertreter des Namens von Succo —, mit Vetter Fritz jegliche Verbindung abzubrechen. Sein Name wurde von da an zwischen uns nicht mehr genannt. Er selbst war tot für uns.“

      „Ja — und — die Ursache?“

      „Ganz kurz. — Nein, bitte dringend, lieber Herr von Stangenberg, bleiben Sie! — Also er war Referendar, machte eine Übung als Offizieranwärter, und dabei ereignete sich eine scheussliche Geschichte. Er ging tätlich gegen seinen Vorgesetzten vor — Krakeeler war er schon immer gewesen — und erhielt zehn Monate Gefängnis, zusätzlich Degradation.“

      „Oh —!“

      „Ja, meine Gnädigste, garstige Sache. Wirklich ein mauvais sujet. Da lässt sich nichts beschönigen.“

      Eine Weile herrschte darauf Schweigen. Jutta war ernst geworden.

      „Hat er sonst noch Verwandte — ich meine, Blutsverwandte?“ fragte sie endlich.

      „Ja, seine Mutter ist noch am Leben.“

      Überrascht blickte sie auf; auch der Rittmeister.

      „Sie werden kaum von ihr gehört haben, Herr von Stangenberg. Sie lebt ganz zurückgezogen. Onkel Bodo hatte sich damals ihrer angenommen.“

      „Ach — etwa Tante Eveline?“ rief Jutta überrascht.

      „Ja. Du hast sie ja flüchtig kennengelernt, Jutta. Auf dem Polterabend von Herta — im Hotel in Berlin vor zwei Jahren — da war sie auch.“

      „Gottchen — Tante Eveline — die?!“

      Succo war diese Erörterung eine Qual. Er fügte aber, zu Stangenberg gewandt, doch noch hinzu: „Übrigens war vor der Welt das Dekorum schon dadurch gewahrt, dass auch seine eigene Mutter sich damals glatt von ihm losgesagt hat.“

      „Hm, ja. Ein verteufelter Bursche. — Seitdem hatten Sie nie was von ihm gehört?“

      „Einmal hiess es, er wäre im Haag Versicherungsagent.“

      „Hat er sich auch nie um Geld an jemand gewandt?“

      „An seine Mutter. Ja, anfangs. Wenigstens liess Onkel Bodo mal etwas nach der Richtung verlauten. Aber in den letzten Jahren war er spurlos von der Bildfläche verschwunden. Ich hätte ja nie im Leben eine Reise nach Kairo gemacht, wenn ich geahnt hätte: man hat da mit diesem Herrn ein Wiedersehen zu gewärtigen.“

      „Hat er Sie vorhin eigentlich erkannt?“

      „Ich glaube nicht. Aber bei passender Gelegenheit muss ich’s ihn natürlich merken lassen, dass er für uns Luft ist.“

      „Sein Auftreten ist sonst nicht übel. Schlecht zu gehen scheint’s ihm auch nicht.“

      „Er ist ein sehr fähiger Mensch gewesen. Auch im Amt gut zu verwenden. Nur eben — gänzlich richtungslos.“

      „Er war noch sehr jung damals?“

      „Dreiundzwanzig. Gerade hatte er sein erstes Verwaltungsexamen gemacht. Unverantwortlich. Ein Schlag — gewissermassen uns allen ins Gesicht.“

      „Ja. Tolle Sache. — Wie wär’s nun mit einem Kognak oder Kirsch, Herr von Succo?“

      „Nimmst du auch ein Gläschen, Jutta?“

      „Zur Seelenwärmung, gnädige Frau.“

      Succo hatte bereits einen der Stewards herbeigewinkt und bei ihm seine Bestellung gemacht. „Es ist mir ganz flau im Magen geworden von der Aufregung.“

      „Ach, ich schwärme für die Seefahrt“, sagte Jutta, langsam die Arme erhebend und die Hände im Nacken verschlingend, indem sie mit ihren grossen Augen übers rollende Wasser hinblickte. Vom Land war nichts mehr zu sehen. Meer ringsum. „Und besonders den grauen Himmel liebe ich.“

      „Ihr Herr Vater ist lange als Kapitän gefahren, gnädige Frau?“ fragte Stangenberg.

      „Bis vor zwei Jahren, wo er die Inspektion bekam. Ich freue mich sehr, ihn wiederzusehen“, sagte Jutta. „Soweit ich zurückdenken kann, hab’ ich ihn immer nur besuchsweise für ein paar Tage gehabt. In Koblenz — in der Pension —, da war’s immer ein Fest für die ganze Klasse. Die Mädels schwärmten ihn alle an.“

      „Ihre Frau Mutter ist früh verstorben, sagte mir Ihr Herr Gemahl.“

      „Ja. Ich war noch ein Kind.“ Für ein paar Sekunden blickte sie wieder gedankenvoll übers Wasser. Etwas überlegen lächelnd, fuhr sie dann fort: „Das ist die Erklärung für meine erschreckende Unerzogenheit. — Was, Gustl, in dem Sinne hast du’s doch zweifellos gesagt?“

      „Aber keine Ahnung, Jutta! Wie kommst du darauf?“

      „Sie lachen, Herr von Stangenberg, weil ich das gleich erraten hab’?“

      „Man muss vor Ihnen ewig auf der Hut sein, gnädige Frau. Sie gehen scharf ins Zeug.“

      Es war auch wirklich ein fortgesetztes Plänkeln. Dabei war selten festzustellen, ob sie nicht die kleinen Spitzen, die so drollig wirkten, mit vollem Bedacht vorbrachte. Stangenberg war noch immer nicht so recht klug aus ihr geworden. Forderte sie’s eigentlich heraus, dass man ihr den Hof machte?

      Als man späterhin mit einigen Landsleuten an einer windgeschützten Stelle des Promenadendecks eine Gruppe bildete, belustigte es ihn, zu beobachten, wie sie scheinbar auf all die Gemeinplätze der neuen Bekannten einging, aber durch eine feine, den andern unverständliche Ironie immer über der Sache schwebte. Mit einer Freifrau von Druhsen, einer mittelalterlichen, sehr gönnerhaften, sehr redseligen Dame, die mit einer Gesellschafterin reiste, hatte der Oberstaatsanwalt verschiedene Anknüpfungspunkte gefunden: vor allem gemeinsame Freunde und sogar entfernte Verwandte in der Armee und im Staatsdienst. Viel adlige Namen wurden genannt, die verwandtschaftlichen Beziehungen eingehend festgestellt. Auch Stangenberg war schon im Begriff, mit beiden Füssen wieder in das so ergiebige Thema hineinzuspringen — doch da streifte sein Blick zufällig Frau Juttas Miene. Es lag eine so drollig scheinheilige Bewunderung in dem Ausdruck, womit sie der Aufzählung lauschte, dass er, über sich selbst verlegen, rasch wieder abbaute.

      „Ich staune über Ihr fabelhaftes Gedächtnis, gnädige Frau“, sagte er nun lächelnd zu Frau von Druhsen. Und bemerkte dabei ein lustiges Aufzucken in Frau Juttas Antlitz.

      „Von den uns nahestehenden Familien kenne ich alle Seitenlinien auswendig, aber auch alle. Die Succos und die Druhsens hatten erst neuerdings mehrere neue Verbindungen durch Heirat. — Und denken Sie doch, Herr von Succo, da hab’ ich nun in der Schiffsliste vorhin auch wieder den Namen Succo gefunden. Ein Mister Succo aus Kairo. Und eigentlich gleichfalls: von Succo. So sagte wenigstens der Zahlmeister. Ich fragte ihn natürlich gleich. Was für ein Zweig kann das wohl sein?“

      Ein paar Sekunden erwartungsvolle Stille — denn Succos wachsende Unruhe hatte die Sache auffällig gemacht. Er warf nun aber plötzlich den Kopf etwas zurück und sagte ziemlich scharf, wenn nicht hochmütig: „Mit diesem Herrn von Succo aus Kairo lehnen wir eine Verwandtschaft durchaus ab. Jede Beziehung, gnädige Frau.“

      „Ah —!“ Den Mund ein wenig offen lassend, mit wichtiger Miene, sah Frau von Druhsen erst Stangenberg, darauf die etwas entfernter sitzende junge Gattin des Sprechers an. Beide schwiegen. „Pardon!“ sagte sie