Die verbotene Frucht. Paul Oskar Höcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Oskar Höcker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445587
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dass ich wüsste ...“

      Succo blickte etwas verstört darein. Es war Jutta, als hätte ihr Mann plötzlich die Farbe gewechselt.

      Der Obersteward hatte sich suchend umgeblickt. „Da drüben steht er. Der junge Herr, der mit Lady Salmour spricht — Lady Salmour ist die blonde, schlanke Dame neben dem Kapitän.“

      Succo zuckte leicht zusammen. „Das ist ja ... hm, hm, das ist ja sehr seltsam.“

      Der geschäftige Obersteward wurde von einer andern Gruppe gerufen und wandte sich ab.

      „Was hast du, Gustl?“ fragte Jutta verwundert.

      „Dieser Herr von Succo — Fritz von Succo — ist nämlich allerdings verwandt mit mir, aber ...“

      Der Rittmeister horchte auf. „Fritz von Succo — früherer Regierungsreferendar — etwa der?“

      „Jawohl.“

      „So sag doch, Gustl.“

      „Ich kann das nicht so in der Eile ...“

      Jutta blickte forschend hinüber. „Ich sah den Herrn schon vorhin oben an Deck, aber da hört’ ich ihn mit der englischen Gesellschaft sprechen und hielt ihn für einen Engländer.“

      „Er hat eher was von ’nem Amerikaner“, sagte Stangenberg. „Bartlos, glatt rasiert, und überhaupt die ganze Haltung.“

      „Ja, ja, stimmt. Besonders das energische Gesicht. — Nicht, Gustl?“

      „Bitte, sieh nicht so auffällig hin, Jutta“, sagte Succo rasch. „Denn — wir kennen einander nicht.“

      Stangenberg hatte einen Blick des Einverständnisses mit Succo gewechselt. „Das Frühstück lässt bitten, meine Herrschaften!“ fiel er lebhaft ein.

      Soeben hatten die Stewards in langem Zuge den Speisesaal betreten. Sie brachten das erste Vorgericht. Die Passagiere nahmen ihre Plätze ein. Der grösste Teil des mächtigen Saales war nun bald besetzt. Die Mitteltafel, an der der Kapitän sass, wies keine Lücke mehr auf. An der kleineren Tafel, an der die drei Deutschen ihre Plätze hatten, fand sich nach einiger Zeit noch ein halbes Dutzend Landsleute ein. Deutscher Sitte folgend, stellten sich die Ankömmlinge durch kurze Namensnennung vor. Succo blieb aber während der Mahlzeit sehr zurückhaltend. Jutta war dies gewohnt. Ihr Mann pflegte erst dann aufzutauen, wenn er über neue Bekanntschaften gründlich unterrichtet war. Es gab zunächst immer ein vorsichtig abwägendes Tasten. Erst gegen den Nachtisch hin ward er etwas wärmer: er hatte in seinem Gegenüber, einem rundlichen alten Herrn mit zurückgekämmtem, weissem Haar, einen berühmten Staatsrechtslehrer entdeckt, den Universitätsprofessor Dr. jur. Gneisel aus Heidelberg. Jutta war nicht so wählerisch. Sie kümmerte sich um Rang, Stand und Namen neuer Erscheinungen zunächst gar nicht. Eine humoristische Gesprächswendung, ein schlagfertiges Wort, ein gutes Urteil führten einen Fremden bei ihr viel besser ein.

      Als sie hernach auf dem Promenadendeck den Kaffee nahmen, berichtete sie über ihren Tischnachbar, den sie in ein lebhaftes Gespräch hatte verwickeln wollen, freilich nicht ohne etwas Bosheit.

      „Er ist mehrfacher Hausbesitzer in Dresden, heisst Marcks, hat zweimal die Reise um die Erde gemacht, mit einer Dresdener Reisegesellschaft, ist magenleidend, Antialkoholiker, kennt nichts von der neueren Literatur, ist von Haus aus Apotheker und reist jetzt nach Heluan am Nil, weil in Deutschland ‚ja auch nichts los‘ ist.“

      Stangenberg lachte hellauf. „Gnädige Frau, vor Ihnen muss man sich in acht nehmen!“

      „Eine anregende Tischgesellschaft — nicht?“

      „Ich wundere mich, Jutta, dass du dich gleich so eingehend mit dem Manne beschäftigt hast.“

      „Um festzustellen: wes Geistes Kind er ist.“

      „Und bist nun fünf Tage lang verpflichtet, mit ihm Konversation zu machen.“

      „Ich denk’ nicht dran, Gustl.“

      „Dann hat er ein Recht, sich gekränkt zu fühlen.“

      „I wo. Wenn ich ihn recht beurteile, wird er noch vor dem Abendessen seekrank — und wir sehen ihn erst bei der Landung in Ägypten wieder.“

      „Sie haben eine grausame Phantasie, meine Gnädigste. — Übrigens finde ich, der Kasten wackelt schon jetzt nicht unbedenklich.“

      Die französische Küste war als graubrauner Streifen an der nördlichen Horizontlinie zurückgeblieben. Graue Wogen wälzten sich mit weissschäumenden Kämmen gegen die Backbordseite des Dampfers. Es war noch nicht abzusehen, ob es zum Rollen oder zum Stampfen kommen würde. Vorläufig gab es nur kleine Schwankungen, die aber doch die ängstlicheren Gemüter veranlassten, sich in den grossen Liegestühlen, die an Deck standen, der Ruhe hinzugeben. Bald lagen an die hundert Fahrgäste — Männlein und Weiblein — in langer Reihe nebeneinander, in Pelze gepackt, in Decken bis zum Kinn eingewickelt.

      Es war sehr kalt und sehr windig geworden. Jutta hatte ihre weisse, gestrickte Wollmütze aufgesetzt und ihren Pelz zugeknöpft. In dem kurzen Rock wirkte ihre schlanke Erscheinung wieder so frisch und mädchenhaft, dass dem in Ehedingen schwarzseherischen Stangenberg der starke Gegensatz der beiden Gatten fast bedenklich erschien: Succo gemessen, korrekt, ohne Frage ein tadelloser Gent, aber doch erschreckend engherzig, vom Wirbel bis zur Zehe ein Akten- und Formenmensch — sie ein lebhaftes Wesen, klug, aufgeweckt, oft von nerviger Empfindsamkeit, dabei mit Sinn für Humor und einem ganz kleinen Schuss Koketterie.

      „Ich schlage einen Spaziergang zur Erwärmung vor“, sagte Jutta, nachdem sie den Kaffee genommen hatten.

      Die Herren waren einverstanden. Stangenberg schon deshalb, weil sie so ausser Hörweite der andern Gesellschaft kamen. Es drängte ihn, mit Succo über dessen Namensvetter zu sprechen.

      Auch Juttas erste Frage, als sie das Promenadendeck verlassen und auf dem doppelt überbrückten Durchgang zum Hinterdeck einen windgeschützten Platz gefunden hatten, war die nach dem ihr unbekannten Verwandten.

      Succos Antlitz hatte sich seit der Begegnung noch nicht wieder aufgeheitert. „Es verdirbt mir wahrhaftig einen Teil der Reisefreude“, sagte er verstimmt.

      „Gustl! — Warum?“

      „Aber bester Herr von Succo — wie kann Sie das weiter anfechten?“

      „Er trägt nun doch mal unsern guten Namen in der Welt spazieren.“

      Stangenberg zuckte leicht die Achseln. „Derlei kommt in fast allen Familien vor. Auch den besten. Irgendein Glied will meistens nicht taugen.“

      „Man stösst es ab“, sagte Succo, „aber damit ist im Grunde gar nichts erreicht.“

      „O doch. Es hat dann kein Mensch mehr ein Recht, einen verantwortlich zu machen.“

      „Sie haben sich des Falls sofort erinnert?“

      „Natürlich. Aber das liegt nun doch schon gut acht, neun Jahre zurück, nicht?“

      „Richtig. Wir sprachen ja damals noch im Manöver die ganze Sache durch.“

      „Stimmt, stimmt.“

      „Na, Gustl, du verstehst’s aber wirklich, Spannung zu erregen. — Sie verstehen’s gleichfalls, Herr von Stangenberg“, setzte sie lachend hinzu. „Ich denke immer: nun bekommt man eine hochnotpeinliche Geschichte zu hören, es fallen die dunkelsten Anspielungen, die Phantasie hat Gelegenheit zu den ausschweifendsten Vermutungen ...“

      „Ach, Jutta, es ist wirklich nichts Lustiges.“

      Sie behielt ihren übermütigen Ton trotzdem bei. Die Hände im Rücken verschränkend, wippte sie sich auf den Fussspitzen auf und nieder und sah ihren Mann mit angenommener Strenge an. „Warum hast du mir diese Vetternschaft unterschlagen? Gestehe, Angeklagter.“

      „Jutta, ich begreife dich nicht.“

      „Herr von Stangenberg, helfen Sie mir. Ist eine solche Verheimlichung eigentlich ein Scheidungsgrund?“