Die verbotene Frucht. Paul Oskar Höcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Oskar Höcker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445587
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An einem sonnigen, windstillen Tag wie dem heutigen bot sich hier trotz der frühen Jahreszeit ein ganz sommerliches Bild. Vor den Cafés sass man an den kleinen Marmortischen bis weit in die Strasse hinein, die eleganten Marseillerinnen trugen ihre reichen Mäntel von Pelzwerk, Seide und Spitze, ihre Kunstwerke von Hüten und ihre Silberfuchs- und Hermelinschwänze zur Schau. Herren, eine Blume im Knopfloch, flanierten auf dem breiten Asphalt. Bei aller Geschäftigkeit, bei allem Lärm vor der Börse, vor den Kaufhäusern, vor der Grossen Oper, sah man doch an tausend Einzelheiten die Genussfreude dieses Volkes.

      Aber Jutta fand sich in die Reiselaune, dies alles in sich aufzunehmen, nicht mehr hinein.

      Stangenberg war ein weltgewandter Mann. Er erzählte unterwegs von seiner Herfahrt und verlangte gar nicht, dass die junge Frau mitsprach. Aber er beobachtete sie, denn sie fesselte ihn lebhaft. Sie war mädchenhaft schlank. Nur das Oval des Gesichtes verlieh ihrer noch herben Erscheinung einen weicheren, frauenhafteren Zug. Und — „in den Augen hatte sie’s“. Eine Durchschnittsfrau war sie jedenfalls nicht, das stand für ihn fest. Succo mochte sich vielleicht gesagt haben, dass es für einen Mann Ende der Dreissig im ganzen bequemer wäre, so ein blutjunges Ding zu heiraten. Man konnte sich seine Frau dann erziehen. Aber Stangenberg, in der Hinsicht erfahren, meinte bei sich: die würde ihm wohl noch manche Nuss zu knacken geben, die seltsam nervige, wenn nicht leidenschaftliche junge Frau. Er persönlich hatte ja auch schon seinen Roman erlebt: hatte sich nach nur zweijähriger Ehe scheiden lassen müssen.

      In der Hotelhalle angelangt, versprach er, ihren Gatten zu erwarten. Sie fuhr also im Aufzug zu ihrem Zimmer empor, und er setzte sich mit einer Pariser Zeitung und einer Zigarette in einen Schaukelstuhl.

      Als Succo ein halbes Stündchen später ankam — der Kellner des Fischrestaurants hatte ihm die Meldung richtig übermittelt — war er noch ganz erfüllt von dem Erlebnis auf der Polizei.

      „Zustände sind das hier“, sagte er lachend, „einfach vorsintflutlich. Von Protokoll und so was keine Spur. Und das Spitzbubenvolk wird mit einer Höflichkeit behandelt — die reine Lustspielszene, sag’ ich Ihnen.“

      „Hat das Mädel gestanden?“

      „I bewahre. Ganz verstockt. Steht da und glotzt mich an, ordentlich gross und von oben her, dann weint sie wieder ein bisschen — na ja! Und der Junge weint mit. Schliesslich auch noch ihr Gör. Richtige Verhandlung wie bei uns, mit Personalien und so, scheinen sie gar nicht zu kennen. Das ist wieder ganz der feminine Zug in diesem Volk: weil sich’s um so’n Mädel handelt, bisschen hübsch ist sie ja auch noch, da schlagen sie ganz andere Saiten an als bei uns in solchem Falle. Nein, diese Franzosen — eine zu ulkige Gesellschaft!“

      „Hat man das Pärchen denn schliesslich an die Luft gesetzt?“

      „Na, das trauten sie sich denn doch nicht. Vorläufig bleibt das edle Paar mal eingesponnen.“

      Auf Succos Einladung hin erklärte sich der Rittmeister gern bereit, den Rest des Tages in der Gesellschaft seiner Landsleute zu verbringen. Die Herren einigten sich, zunächst einen Wagen zu mieten, eine Spazierfahrt auf der Corniche, der Strasse am Golfufer, zu machen und später am Korso auf dem Prado teilzunehmen. Es blieb dann noch Zeit, sich zum Essen umzuziehen. Für den Abend bestellte man am besten Plätze in der Grossen Oper. Es wurde „Carmen“ gegeben.

      Während der Spazierfahrt wurde das leidige Abenteuer nicht mehr besprochen. Von seinem schneidigen Eingreifen auf der Polizei hatte Herr von Succo oben im Hotelzimmer seiner Frau schon eine kurze Schilderung gegeben. Sie hatte darauf geschwiegen.

      Unterwegs schien sich Jutta wieder ganz dem Zauber dieses gesegneten Fleckleins Erde hinzugeben. Man fuhr am Meere entlang und hatte immer den Blick auf die seltsam gezackten Felseninseln, die dem Golf vorgelagert waren. Die Herren vertieften sich mehr und mehr in jenen Gedanken- und Personenkreis, den sie in Deutschland zurückgelassen. Alles in allem verlief die Fahrt sehr angeregt. Auf dem Prado, wo von den Korsoteilnehmerinnen die unmöglichsten Hutformen zur Schau getragen wurden, gab es auch allerhand Lustiges zu beachten, was ihre Stimmung immer fröhlicher machte. Stangenberg war jedenfalls der Meinung, dass der kriminelle Zwischenfall nun endgültig vergessen sei.

      Das Ehepaar sprach von der Angelegenheit erst im Hotel wieder, als Jutta ihre Toilette für den Opernbesuch beendigt hatte. Es war eine duftige Crêpe de Chine-Robe mit mehreren breiten Volants, das Staatsstück ihrer Reiseausstattung. Trotz den langen Handschuhen fehlte ihr etwas am linken Handgelenk. Sie griff, vor dem feierlichen grossen Spiegel stehend, unwillkürlich mit der Rechten dahin. Er sah die Bewegung und nickte.

      „Nun sag mal, Kind“, hub er in versöhnlichem, fast etwas väterlichem Ton an, „warum hast du mir da bei Basso-Brégaillon heut mittag eigentlich so ’ne Geschichte gemacht, hm?“

      Sie hob die Schultern und liess sie wieder sinken. Alles Festliche war sofort aus ihrem Ausdruck gewichen. Eine tiefe Traurigkeit teilte sich ihren Zügen mit.

      „Kann man für Erinnerungen?“

      „Erinnerungen — wieso? Überhaupt, man darf sich doch nicht gleich so hinreissen lassen.“

      „Ich wollte der Ärmsten bloss was geben, weil — nun ja, weil sie das Baby hatte.“

      „Es war eine ganz scheussliche Person, will ich dir sagen, Hafengesindel unterster Sorte. Damit sollst und darfst du dich nicht einlassen. Du bist mir zu gut dazu. Deinen Denkzettel hast du ja weg. ’s war nicht nur eine — eine ... na, eben aus der Hefe ... sondern auch noch glatt Diebin. Der Bruder mehrfach vorbestraft. Na, und an so was verschwendest du dein Mitleid. — Und das Armband“, setzte er lächelnd hinzu.

      Sie hatte sich auf das Ende der mit Seide überzogenen Couch gesetzt. Es fror sie wieder. Sie kreuzte die Arme über der Brust und suchte die Oberarme mit den Händen zu wärmen. Für ein paar Augenblicke wirkte sie in dieser Haltung wie ein Schulmädchen, das ausgezankt wird. Aber in ihrer Stimme zitterte ein Unterton.

      „Ich hatte Mitleid mit ihrem Kind, Gustl“, sagte sie gequält. „Ist so ein armes, verkümmertes Wesen verantwortlich für seine Mutter? — Und auch gar noch für den Onkel? — Du bist so hart diesen Leuten gegenüber.“

      Er war zu ihr getreten und tätschelte sie auf den Nackenausschnitt. „Macht der Beruf. Ein Jurist blickt eben schärfer.“

      „Aber das Wesentliche hast du doch nicht gesehen, Gustl, wie?“ Sie liess die Arme sinken und starrte ins Leere. „Es hatte die Augen von Hansheinrich, das Kleine.“

      „Jutta! Aber nein — so ein Vergleich!“

      „Ja, seine dunklen Augen, gross und fragend, und mit dem seltsam goldigen Schein. Und dabei so was im Blick, dass man fühlt, es lebt nicht lange.“

      „Nein, nein, nein, nein. Ich verstehe dich nicht, Kind, nun rührst du all das wieder auf.“

      „Glaubst du, dass ich’s je vergessen werde?“ Langsam löste sich erst links und dann rechts eine Träne aus ihren Augen. Sie liess sie hinunterrollen, ohne die Hand zu heben. „Und wenn ich mir nun vorstelle, sie haben meinetwegen die Mutter mitsamt dem Kind auf der Wache behalten, eingesperrt, über Nacht ...“

      Er sah ihr tief ins Gesicht und erschrak über ihren Ausdruck, zwang sich aber dazu, sie herzhaft auszulachen. „Nein, Kind, was bist du mal wieder sentimental. Das ist meine lustige, flotte, burschikose, verwöhnte Jutta? Mit dem neuen Hut aus Nizza? Mit dem Spielteufelchen im Leib, he, von Monte Carlo? Na warte, du!“

      Sie schluckte ihre Tränen hinunter und stand auf. „Ja, ich hab’ eigentlich gar kein Recht. Bin ja selbst so ein leichtsinniges Geschöpf.“ Sie sagte das schon wieder in hellerem Ton, von den paar Erinnerungen sofort gefesselt. „Aber siehst du: lieb wär’s eben von dir gewesen, wenn du mir die Bitte erfüllt hättest.“

      „Hm. Sie laufen zu lassen?“

      Sie nickte heftig.

      „Gut. Also das nächste Mal. Wenn du das neue Armband verlierst.“ Er war neben sie getreten und hatte sie untergefasst. Gutmütig setzte er hinzu: „In Kairo kauf’ ich dir’s.“ Er küsste sie, ihren Kopf zurückbeugend, auf