Er verpasste ihr einen letzten Kuss, stand auf und reichte ihr die Hand. Aurelia ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Sie war angenehm überrascht, als er ihre Hand hielt und sie mit verschränkten Fingern zum Waldpfad zurückführte.
“Brauchst du noch irgendetwas, bevor ich gehe?” wollte Lucas wissen, als sie sich nackt und barfüßig dem Haus näherten.
“Ehrlich gesagt bin ich vollkommen zufrieden. Über beide Ohren verwöhnt, sozusagen,” räumte Aurelia ein und drückte seine Hand.
“Sag mir noch einmal, dass du mit meinem Plan einverstanden bist. Mit dem Harem,” sprach Lucas und musterte sie.
“Ich bin einverstanden. Ich denke, wir beide wissen, wie gut wir zueinander passen, und dass uns niemand voneinander abbringen kann. Mir gefällt die Vorstellung von einem Haus voller Gestaltenwandler und es wäre schön, andere Frauen dabei zu haben. Solange ich in deinem Herzen die Nummer Eins bleibe, bin ich für alles offen,” sprach Aurelia.
Lucas nickte, er wirkte zufrieden. Den Rest des Weges legten sie in behaglicher Stille zurück und bewunderten die Schönheit des Waldes und das schöne Wetter.
Als sie das Haus erreichten, war das Wohnzimmer leer. Aurelia war echt froh, dass Ben sich verzogen hatte, denn sie und Lucas hatten ihre Klamotten verloren, als sie sich im Wald verwandelt hatten. Lucas führte sie nach oben zu ihrer Suite und brachte sie wie bei einem richtigen Date bis zur Tür.
“Wir sehen uns bald. Nur drei Tage, okay?” erinnerte er sie.
“Ist schon in Ordnung. Ich muss die schlechten Fernsehsendungen der letzten Jahre nachholen und mir neue Programmiersprachen ansehen. Vielleicht werde ich sogar ein bisschen backen,” erwiderte Aurelia und grinste.
Mit einem Lachen und einem Kuss ließ Lucas sie an der Tür stehen und ging durch den Flur zu seiner eigenen Suite und verschwand. Aurelia verspürte etwas Traurigkeit, als sie wenig später den Helikopter starten hörte, allerdings tröstete sie sich mit ihren geschäftigen Plänen und der Tatsache, dass es nur für ein paar Tage war. Sie würde kaum Zeit finden, um Cupcakes zu backen, geschweige denn Unfug zu stiften … nicht wahr?
2
Am Donnerstagmorgen stand Aurelia bei Sonnenaufgang auf. Sie krabbelte aus ihrem weichen Bett und trottete zum raumhohen Panoramafenster in ihrem Schlafzimmer. Ihr Fenster blickte auf eine wahre Mauer aus hochragenden Kiefern und Aurelia sah zufrieden zu, wie die ersten Morgenstrahlen sanfte Lichtfinger auf das Haus richteten.
Sie streckte sich und strich ihre Hände über ihre nackten Rippen und Lenden. Überall hatte sie Muskelkater, eine nette Erinnerung daran, dass sie sich die letzten zwei Tage in endlose Waldläufe und Wanderungen gestürzt hatte. Da Lucas jetzt fort war, war das Anwesen so gut wie verlassen und sie freute sich bereits auf ein ordentliches Training gefolgt von einer üppigen, selbstgekochten Mahlzeit. Sie hatte noch einmal mit ihrem Bruder gesprochen und ausgelassen über die blöden Sprüche, die er sich nie abgewöhnt hatte, gelacht.
In Verbindung mit reichlich Schlaf und dampfenden Bädern war die Zeit wie im Flug vergangen. Ehrlich gesagt hatte sie gar keine Gelegenheit gehabt, um Lucas zu vermissen. Bis zu diesem Augenblick. In ihrem opulenten Schlafzimmer in ihrem Prinzessinnenbett aufzuwachen war sicherlich ein unbeschreibliches Gefühl … aber sie wachte immer noch allein in diesem großen Bett auf.
Auf die Frage, warum sie sich trotz mehreren Jahren auf der Flucht, in denen sie sich nur gelegentlich mit anderen Hackern ausgetauscht hatte und keinerlei Familie oder Freunde gesehen hatte, ausgerechnet jetzt einsam fühlte, konnte Aurelia nur vermuten, dass sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, ihren Feinden aus dem Weg zu gehen, anstatt auf ihre Gefühle zu achten. Die Einsamkeit war direkt aus dem Fenster geworfen worden, zusammen mit Kabelfernsehen, Weizengrasdrinks und teuren Friseurbesuchen. Es gab damals einfach keine Zeit oder Gelegenheit dafür.
Aurelia schüttelte den Kopf, wandte sich vom Fenster ab und ging an ihren Schreibtisch. Nachdem sie einige ihrer anonymen E-Mail-Accounts und versteckten Bankkonten geprüft hatte, beschloss sie, dass es an der Zeit war dieses große, leere Haus von einem Grund zur Melancholie in ein ganz besonderes Vergnügen zu verwandeln.
Sie hatte das riesige Haus ganz für sich allein und sie konnte alles machen, was sie wollte. Am allermeisten wollte sie jetzt ein paar Vanillecupcakes backen und sie auf dem Sofa ausgestreckt verspeisen, während sie sich mit den Real Housewives von Atlanta befasste. Um diesen Luxus noch zu krönen, hatte sie nicht die Absicht, an diesem perfekten Tag eine Hose anzuziehen.
Aurelia kicherte vor sich hin, zog sich ein süßes weißes Paar Frauenshorts und ein langes schwarzes Tanktop über und band ihre feurige Mähne zu einem lockeren Knoten. Dann schnappte sie sich ihr neues iPhone und ging nach unten.
Sie prüfte ihre Benachrichtigungen, um zu sehen, ob Lucas sich gemeldet hatte und schlenderte in die Küche. Sie versuchte nicht eingeschnappt zu sein, als sie sah, dass er sich seit dem letzten Morgen nicht gemeldet hatte, sie hatte ihm auch nicht geschrieben, also war es nicht so, als ob sie eine Antwort erwarten sollte.
Sie legte ihr Telefon beiseite und blickte sich in der Küche um. Diese war eine große Granit- und Edelstahlangelegenheit, alles war maßgeschneidert. Der Grundriss war großzügig und offen, der Raum wurde von einer großen Kupferbar aufgeteilt, welche die Küche in zwei Teile teilte und an der man ungezwungene Mahlzeiten einnehmen konnte. In der Bar waren kabellose Lautsprecher eingebaut und Aurelia schloss ihr iPhone an die Lautsprecher an und lud ihre Lieblingshits hoch. Katy Perry schien zu ihrer Stimmung ganz gut zu passen, ein bisschen frech und ein bisschen süß.
Nachdem sie sich die letzten beiden Tage mit der Küche vertraut gemacht hatte, machte Aurelia sich rasch an den Cupcakes zu schaffen. Ihr Rezept für Vanillecupcakes hatte sie in der hippen Hobbybackphase ihrer frühen Zwanziger perfektioniert und jetzt war das ganze Drum und Dran etwas, das sie auf Autopilot tun konnte. Sie summte vor sich hin, als sie die Zutaten vermischte und ihr Geist wurde Zenmeister-leer im Backprozess. Als der Zuckerguss trocknete und die Cupcakes sich im Ofen sonnten, wandte sie sich wieder dem Fernsehprogramm zu.
Sollte sie mit etwas hirnlosem aber unterhaltsamen anfangen, wie RuPaul’s Drag Race? Oder einem Programm mit etwas mehr Tiefgang, wie Mad Men? Bisher hatte sie nur die erste Staffel davon gesehen, aber sie wusste, dass die Sendung beste Kritiken hatte und sie rundum befriedigen würde. Sie tanzte zu ihren Lieblingssongs, während sie sich weiter in der Küche zu schaffen machte und nachdachte. Wer liebte es nicht in seiner Unterwäsche zu tanzen?
Ungeduldig zog sie die Cupcakes aus der Röhre und entschied sich schließlich für Dr. Who als vernünftigen Kompromiss. Kitschig, aber mit einer guten Storyline. Süßer Doktor, spannende Abenteuer, bizarre Aliens … au ja, das hörte sich genau richtig an.
Sie checkte nochmal ihr Telefon und unterdrückte ein lautes Seufzen. Als die Cupcakes fertig glasiert waren, tat sie zwei davon auf einen Teller und schenkte sich ein großes Glas Milch ein. Zufrieden stellte sie die Musik aus und schnappte sich ihren Snack. Dann ging sie um den Tresen herum und lief schnurstracks zum Wohnzimmer.
… wo sie fast ihre Milch und Cupcakes fallenließ. Eine große, dunkle Form lag in einem der überfüllten Foyers des Wohnbereichs ausgebreitet. Aurelia blieb abrupt stehen. Die Masse aus gewelltem Onyxhaar, schlaksigen Gliedern und roten Converse-Schuhen, die neben dem Sofa auf den Boden traten, ließ keinen Zweifel daran, dass Ben tatsächlich in der Residenz war. Lucas hatte erwähnt, dass Ben da wäre, sollte sie irgendetwas brauchen, aber da Aurelia ihn nicht gesehen hatte, hatte sie ihn irgendwie … vergessen.
Da war sie nun, in Unterwäsche und dabei, wenige Meter von einem fast völlig fremden Wolf herumzuspringen und sich lächerlich zu machen. Einem sehr attraktiven Wolf. Am liebsten wollte sie sich in ihre Wölfin verwandeln und im Wald verschwinden, so peinlich war es ihr.
Ben war in die andere Richtung gewandt und auf den leuchtenden Bildschirm seines Laptops fokussiert. Er trug Kopfhörer, wodurch er sie nicht näherkommen hörte. Aurelia biss ihre Lippe