Der Palast des Poseidon. Thomas Thiemeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken der Weltensucher
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783948093327
Скачать книгу
auszuräumen und sorgfältig auf dem Boden zu stapeln.

      Es dauerte eine Weile, bis sie die Truhe leer geräumt hatten. Als sie endlich so weit waren, machte sich Ernüchterung breit. Unten war nur ein einfacher Boden, sonst nichts. Keine Klappe, kein Scharnier.

      Oskar klopfte gegen das Holz. »Seltsam«, murmelte er.

      »Was meinst du?«

      »Ich frage mich …« Er betrachtete die Kiste von der Seite.

      »Was ist denn los?«

      »Ich glaube, dass da irgendwo noch ein Zwischenfach eingearbeitet ist. Sieh mal: Für einen einfachen Boden ist der viel zu dick.«

      Charlotte hielt die Finger neben die Truhe und spreizte sie auf einen Abstand von zehn Zentimetern. »Du hast recht«, sagte sie. »Da ist ein doppelter Boden drin. Vielleicht gibt es hier ja irgendwo einen versteckten Hebel oder Knopf.«

      Sie hatten gerade angefangen, danach zu suchen, als es an der Luke, durch die sie gekommen waren, scharrte und klopfte. »Hallo? Ist da jemand?«

      Es war Humboldt!

      Die beiden Jugendlichen warfen sich einen entgeisterten Blick zu. »Schnell, alles wieder zurück in die Kiste!«, zischte Charlotte.

      Hektisch warfen sie die Requisiten zurück in die Truhe und schlossen den Deckel. Keinen Augenblick zu früh, denn in diesem Moment bewegte sich der Riegel zur Seite. Humboldts Kopf erschien in der Öffnung.

      »Na endlich!«, rief er. »Ich habe euch schon überall gesucht!«

      Als er sah, dass die beiden neben der Kiste hockten, verengten sich seine Augen. »Was macht ihr denn da? Ich dachte, ihr wolltet nur schnell die Koffer holen und dann wieder runterkommen.«

      »Oh, ich habe Oskar nur mal deine Sammlung gezeigt«, log Charlotte. Die Aufregung hatte rote Flecken auf ihre Wangen gezeichnet. »Ich wollte ihm unbedingt deine Masken und die Schlitztrommel vorführen. Du weißt doch, die aus Tansania.«

      »Ja, ich weiß«, sagte der Forscher, immer noch misstrauisch dreinblickend. »Ich hoffe, ihr habt nichts durcheinandergebracht.«

      »Natürlich nicht.« Charlotte stand auf und klopfte den Staub von ihrem Kleid. »Du weißt doch, wie vorsichtig ich mit deinen Sachen umgehe.«

      »Hm. Na gut.« Er sah die beiden streng an, dann sagte er: »Jetzt aber zackig! Wir müssen mit unseren Vorbereitungen fortfahren. Die Koffer liegen dort hinten unter einer Decke. Nehmt alle mit und dann kommt wieder runter.«

      8

      Athen, drei Tage später …

      Die Hitze in der Innenstadt war drückend. Die Flaggen vor dem Polytechnikum hingen schlaff herunter. Kein Lufthauch war zu spüren. Die Sonne ließ die Luft flimmern. Selbst die Tauben, die sonst den Platz zwischen der technischen Universität und dem Archäologischen Nationalmuseum bevölkerten, hatten sich in den Schatten zurückgezogen und warteten auf die kühleren Nachmittagsstunden.

      In den Räumen der Fakultät für Nautik und Marinetechnik war es noch halbwegs erträglich. Das dicke Gemäuer hatte die angenehme Eigenschaft, Wärme zu speichern und sie nur langsam weiterzugeben. So fror man nicht, wenn man nachts noch arbeiten musste, und hatte es tagsüber, wenn die Sonne Athen in einen Glutofen verwandelte, angenehm kühl.

      Prof. Dr. Christos Papastratos, Dekan der Fakultät, war gerade damit beschäftigt, die Vorlesungsunterlagen für den morgigen Tag zusammenzustellen, als es an die Tür klopfte.

      »Ja, bitte?«

      Im Türrahmen erschien der Kopf seines Assistenten, eines jungen Burschen mit strubbeligen Haaren. »Professor?«

      »Ah, du bist’s, Gregorios. Was gibt es?«

      »Draußen stehen ein paar Besucher, die unbedingt zu Ihnen wollen.«

      »Die sollen sich vorne einen Termin geben lassen. In den Sprechstunden, montags und mittwochs ab sechzehn Uhr.«

      »Sie sagen aber, sie hätten es eilig. Sie haben gesagt, sie hätten Referenzen, und dass Sie sie bestimmt vorlassen würden, wenn Sie wüssten, um was es geht.«

      Der Professor seufzte. »Können die Leute denn keine Termine mehr machen, so wie früher?« Er fuhr sich durchs Haar. »Heutzutage hat jeder es immerzu eilig. Alles muss schnell, schnell, schnell gehen. Kein Wunder, dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt. Was sind das überhaupt für Leute?«

      »Ich glaube, es sind Deutsche«, sagte Gregorios. »Sie haben einen sehr merkwürdigen Akzent. Sie sind überhaupt sehr merkwürdig.«

      »Deutsche? Haben sie gesagt, was sie wollen?«

      Der Junge schüttelte den Kopf.

      Papastratos rückte seinen Stuhl zurück und stand auf. »Na gut. Maximal eine Viertelstunde. Mehr Zeit habe ich wirklich nicht. Führ sie herein!« Er klappte seinen Ordner zu und stellte ihn ins Regal zurück. Kaum hatte er sich wieder umgedreht, als ein hochgewachsener Mann mit langem Mantel, Zylinder und schwarzem Spazierstock den Raum betrat. Der Knauf des Stabes hatte die Form eines goldenen Löwenkopfes.

      In seinem Gefolge befanden sich eine dunkelhäutige Frau und zwei Jugendliche – ein Mädchen, gekleidet in ein elegantes hellblaues Kleid, und ein Junge in Tweedhosen, weißem Hemd und Schiebermütze. Zwischen ihren Beinen lief – Professor Papastratos senkte die Brille – ein Kiwi. Das kleine Geschöpf nutzte den Schatten, um sich fortzubewegen, wobei seine hornigen Zehen auf dem Marmor klappernde Geräusche erzeugten. Der Dekan vergaß seinen Mund zu schließen. Merkwürdig, hatte Gregorios sie genannt, doch das war bei Weitem untertrieben.

      »Professor Papastratos«, sagte der hochgewachsene Mann und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich mich freue, Sie kennenzulernen. Man hat Sie uns wärmstens empfohlen. Genau genommen sind Sie unsere letzte Hoffnung.« Das Griechisch des Mannes war ein wenig unbeholfen, aber gut verständlich. Offenbar ein Mann von Bildung.

      »Das klingt ja sehr geheimnisvoll«, bemerkte Papastratos. »Was kann ich für Sie tun?«

      »Zuerst einmal möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Humboldt. Carl Friedrich von Humboldt. Dies sind meine Begleiter: Eliza Molina, Charlotte Riethmüller und Oskar Wegener.«

      Der Professor lupfte eine Augenbraue. »Humboldt? Wie der berühmte Naturforscher?«

      »Alexander von Humboldt war mein Vater«, entgegnete der Mann.

      »Ganz erstaunlich«, sagte der Dekan. Er bezweifelte, dass dieser Mann tatsächlich ein Nachkomme des berühmten Weltreisenden war, aber er wollte sich gern anhören, was den Mann zu ihm führte. »Welch eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sind Sie auch Forscher?«

      »In der Tat. Allerdings habe ich dem Universitätsbetrieb in jüngster Zeit den Rücken gekehrt, um meine Fähigkeiten in den Dienst der Wirtschaft zu stellen. Ich bin, wenn Sie so wollen, ein Privatermittler für ungewöhnliche Phänomene. Und genau in dieser Mission bin ich zurzeit unterwegs. Sagt Ihnen der Name Nikomedes etwas? Stavros Nikomedes?«

      »Natürlich«, entgegnete Papastratos. »Jeder in Athen kennt die Familie. Sie ist eine der ältesten und respektabelsten Reederfamilien in dieser Stadt. Stavros ist der Juniorchef, habe ich recht?«

      »Genau in dieser Funktion war er bei mir. Es geht um die verschwundenen Schiffe.«

      Jetzt wusste Papastratos, woher der Wind wehte. Natürlich hatte er die Geschichten gehört. Gerüchte von riesigen Seeungeheuern und mysteriösen Angriffen. Und jetzt kam dieser Humboldt damit ausgerechnet zu ihm.

      »Haben Sie davon gehört?«

      »Natürlich«, erwiderte Papastratos. »In den Kneipen wird viel darüber spekuliert. Wildes Seemannsgarn, das kann ich Ihnen erzählen. Ich wüsste aber nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen könnte. Vielleicht versuchen Sie es mal bei der Schifffahrtsbehörde.«

      Humboldt seufzte. »Da waren wir schon. Ebenso