Der Palast des Poseidon. Thomas Thiemeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken der Weltensucher
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783948093327
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die Augenbrauen, doch nachdem Nikomedes ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte, beruhigte er sich. Humboldt prüfte den Sitz des Gerätes, dann schaltete er es ein. Ein leises Pfeifen erklang. Der Kapitän zuckte zusammen. »Nur keine Sorge«, sagte Humboldt. »Ich muss den Apparat nur schnell kalibrieren. Wären Sie so freundlich, kurz von eins bis zehn zu zählen?«

      »Èna, dhio, tria …«

      Humboldt blickte auf die schmale Leuchtanzeige, dann nickte er. »Perfekt«, sagte er. »Jetzt müssten Sie mich eigentlich verstehen.«

      Die Augenbrauen des Kapitäns schnellten in die Höhe.

      »Das ist … unglaublich«, kam die Stimme des Seemanns aus dem Lautsprecher. »Ich verstehe Sie. Es ist, als wären Sie direkt in meinem Kopf. Stavros, das musst du dir anhören!« Er zog die Ohrhörer heraus und reichte sie dem jüngeren Mann.

      Oskar musste lächeln. Er konnte sich noch gut erinnern, als er das Gerät zum ersten Mal im Einsatz gesehen hatte. Damals war es ihm wie Zauberei vorgekommen.

      »Unglaublich«, sagte Nikomedes, nachdem er den Worten seines Kapitäns gelauscht hatte. »Dieses Gerät schlägt Edisons Phonographen um Längen. Warum haben Sie es nicht auf der Weltausstellung in Chicago vorgestellt? Sie hätten sicher die höchste Auszeichnung erhalten.«

      Humboldt winkte ab. »Aus Auszeichnungen mache ich mir nichts. Wenn das Gerät seinen Dienst verrichtet, bin ich schon zufrieden. Aber jetzt zurück zu Ihrer Geschichte. Berichten Sie mir in allen Einzelheiten von der Nacht des Unglücks.«

      5

      Zur selben Zeit in Athen …

      Das Haus lag auf einem Hügel, hoch über den Dächern der antiken Stadt. Wie ein Palast thronte es inmitten eines prächtigen Gartens aus blühenden Orangenbäumen und duftenden Zypressen. Gegenüber, nur etwa zwei Kilometer entfernt, erhoben sich die weißen Säulen der Akropolis in den makellos blauen Himmel. Schwalben und Mauersegler umschwirrten den Parthenon und erfüllten die Luft mit schrillem Geschrei. Der Wind trug den Geruch von duftenden Rosen durch das geöffnete Fenster. Irgendwo in der Ferne war das Läuten von Kirchenglocken zu hören.

      Der alte Mann zog die Vorhänge zu und humpelte langsam an seinen Schreibtisch zurück. Sein Kopf, der auf einem viel zu dünnen Schildkrötenhals saß, fühlte sich an, als würde er mehrere Zentner wiegen. Die spärlichen Haare umrahmten seine Glatze wie ein Lorbeerkranz. Mit einem Ächzen ließ er sich auf seinen Stuhl sinken. Dann holte er einen Schlüssel hervor und schloss die oberste Schublade auf. Ein einzelner schmutziger alter Brief lag darin. Ein von Seewasser beflecktes Papier, auf dem mit zittriger Handschrift etwas geschrieben stand. Der alte Mann überflog die Zeilen, dann schloss er die Augen.

      Nach einer Weile öffnete er sie wieder und schob die Schublade zu. »Bringen Sie ihn herein!«, krächzte er.

      Der Diener verbeugte sich, dann öffnete er die Tür und sagte zu der Person, die draußen wartete: »Seine Exzellenz erwartet Sie jetzt.«

      Ein seltsamer Mann betrat das verdunkelte Zimmer. Er trug einen breitkrempigen Hut, der tief in die Stirn gezogen war. Sein schmales Gesicht wurde von einer hakenförmigen Nase beherrscht, die an den Schnabel eines Falken erinnerte. Er war hochgewachsen, schlank und von einer animalischen Geschmeidigkeit.

      Er ging ein paar Schritte, dann blieb er stehen. Der alte Mann musterte ihn gewissenhaft. Die Temperatur schien schlagartig um einige Grad gesunken zu sein. Niemand wusste, woher der Fremde kam oder welcher Nationalität er angehörte. Man nannte ihn nur den Norweger, doch ob das seine wirkliche Herkunft war, blieb ungewiss. Mit einer Handbewegung gab der Alte seinem Diener zu verstehen, er solle sich entfernen. Der Neuankömmling wartete, bis die Tür ins Schloss fiel, dann fragte er: »Sie haben mich rufen lassen?«

      Seine Stimme klang wie das Rascheln von Herbstlaub.

      Der alte Mann hob sein Kinn. »Sie sind mir als einer der zuverlässigsten Ihres Standes beschrieben worden. Ein Mann, der seine Aufträge mit größtmöglicher Präzision ausführt.«

      »So ist es.«

      »Das ist gut. Sehr gut. Was ich von Ihnen erbitte, verlangt größtmögliche Diskretion.«

      »Was kann ich für Sie tun?«

      »Sie sollen jemanden für mich aus dem Weg räumen.«

      »Um wen handelt es sich?«

      Der Alte schob einen Zeitungsausschnitt über den Tisch und tippte auf das Foto. »Sehen Sie den Mann hier? Ich habe Grund zu der Annahme, dass er uns Schwierigkeiten machen könnte.«

      Der Fremde kam näher und warf einen Blick auf das Foto. »Ein Forscher?«

      Der Alte trank einen Schluck Wasser und wischte über seinen Mund. »Er ist weit mehr als das. Er ist Wissenschaftler, Erfinder und Weltenreisender. Seit kurzer Zeit bietet er seine Dienste Privatfirmen an, die – sagen wir mal – ungewöhnliche Probleme haben. Probleme, die kein anderer Spezialist lösen kann. Er ist beauftragt worden, in einer Sache zu ermitteln, die mich und meine Kompagnons in größte Verlegenheit bringen könnte. Er muss verschwinden, und zwar so schnell wie möglich.«

      Der Fremde beugte sich tief über das Foto. Er zog eine Lupe heraus und betrachtete das Bild genauer. »Carl Friedrich von Humboldt«, sagte er. »Der Mann sieht nicht aus wie jemand, der leicht zu töten ist.«

      »Deswegen habe ich mich an Sie gewandt«, fuhr der Alte fort. »Ich habe Erkundigungen über ihn eingezogen. Man erzählt wahre Wunderdinge über diesen Humboldt. Er sei ein ausgebildeter Kämpfer und Abenteurer, er verfüge über eine Vielzahl von Waffen und Tötungsmechanismen. Angeblich besitzt er sogar eine Flugmaschine.«

      »Interessant«, sagte der Fremde. »Möchten Sie, dass ich nach Deutschland reise?«

      »Nein.« Wieder hustete der Alte, diesmal stärker. »Wir gehen davon aus, dass er nach Athen kommen wird. Vermutlich im Laufe der nächsten Tage. Alles, was Sie zu tun haben, ist, die Augen offen zu halten und ihn auszuschalten. Wichtig ist nur, dass es unauffällig geschieht. Die Spur darf unter keinen Umständen zu mir zurückführen. Lassen Sie es wie einen Unfall aussehen.«

      »Das versteht sich von selbst. Unfälle sind unsere Spezialität.« Der Norweger richtete sich auf. »Es gibt da allerdings eine Sache, die Sie wissen sollten.«

      Der Alte hob die Brauen. »Welche?«

      »Wie Sie vermutlich gehört haben, gehöre ich der Loge der Assassinen an. Ein uralter Orden, der seit Hunderten von Jahren im Verborgenen arbeitet und der einem strengen Ehrenkodex folgt. Wenn einmal ein Auftrag von uns angenommen wird, kann er nicht widerrufen werden.«

      »Das ist mir bekannt.«

      »Ich möchte nur, dass Sie noch einmal genau über die Konsequenzen nachdenken, ehe Sie mich beauftragen. Sie können den Auftrag nicht zurückziehen, egal, wie hoch die Verluste sind und egal, ob Sie sich im Verlauf der Operation anders entscheiden. Für Kollateralschäden kann nicht gehaftet werden.«

      »Kollateralschäden?«

      »Schäden an Personen, Gebäuden oder Gegenständen. Wir sorgen dafür, dass die Spur nicht zu Ihnen zurückverfolgt werden kann, egal, wie hoch der Preis dafür ist.«

      Der Alte wischte mit dem Handrücken über seinen Mund. Die Worte klangen irgendwie bedrohlich. Andererseits, was sollte schon groß passieren? Humboldt würde hier in Athen ein schnelles Ende finden und niemand würde je erfahren, was mit ihm passiert war. Außerdem wuchs die Bedrohung, die von ihm ausging, von Tag zu Tag.

      »Einverstanden«, sagte er. »Erledigen Sie Ihre Arbeit. Machen Sie’s kurz und schmerzlos und melden Sie sich, sobald Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben.«

      Der Norweger deutete eine Verbeugung an. »Wie Sie wünschen«, sagte er. »Dann lassen Sie uns jetzt über mein Honorar reden.«

      6

      Werden Sie den Auftrag annehmen?«, erkundigte sich Oskar, nachdem die beiden Griechen gegangen