CRESSIDA
Mehr Trübung als Wasser, wenn meine Furcht Augen hat.
TROILUS
Die Furcht macht Teufel aus Engeln; sie sieht nie richtig.
CRESSIDA
Blinde Furcht, von sehender Vernunft geführt, geht sichrer zum Ziel als blinde Vernunft, die ohne Furcht strauchelt. Das Schlimmste fürchten, heilt oft das Schlimmste.
TROILUS
Was könnte meine Geliebte fürchten? In Cupidos Maskenzug wird nie ein Ungeheuer aufgeführt.
CRESSIDA
Auch nie etwas Ungeheures?
TROILUS
Nichts als unsre Unternehmungen: wenn wir geloben, Meere zu weinen, in Flammen zu leben, Felsen zu verschlingen, Tiger zu zähmen; weil wir wähnen, es sei der Dame unsres Herzens schwerer, genug Prüfungen zu ersinnen, als für uns, irgend etwas Unmögliches zu bestehn. Das ist das Ungeheure in der Liebe, meine Teure, daß der Wille unendlich ist und die Ausführung beschränkt; daß das Verlangen grenzenlos ist und die Tat ein Sklave der Beschränkung.
CRESSIDA
Man sagt, jeder Liebhaber schwöre, mehr zu vollbringen, als ihm möglich ist, und behalte dennoch Kräfte, die er nie in Anwendung bringt; er gelobe mehr als zehn auszuführen, und bringe kaum den zehnten Teil von dem, was einer vermöchte, zustande. Wer die Stimme eines Löwen und das Tun eines Hasen hat, ist der nicht ein Ungeheuer?
TROILUS
Gibt es solche? Wir sind nicht von dieser Art. Lobt uns nach bestandener Prüfung und schätzt uns nach Taten; unser Haupt müsse unbedeckt bleiben, bis Ruhm es krönt. Keine Vollkommenheit, die noch erst erreicht werden soll, werde in der Gegenwart gepriesen; wir wollen das Verdienst nicht vor seiner Geburt taufen, und ist es geboren, so soll seine Bezeichnung demütig sein. Wenig Worte und feste Treue! Troilus wird für Cressida ein solcher sein, daß, was Bosheit ihm Schlimmstes nachsagen mag, ein Spott über seine Treue sei; und was Wahrheit am wahrsten sprechen kann, nicht wahrer als Troilus.
CRESSIDA
Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?
Pandarus kommt zurück.
PANDARUS
Wie, noch immer errötend? Seid ihr noch nicht mit Schwätzen fertig?
CRESSIDA
Nun, Oheim, was ich Törichtes beginne, sei Euch zugeeignet.
PANDARUS
Ich danke schönstens. Wenn der Prinz von dir einen Buben bekommt, so soll er mir gehören. Sei dem Prinzen treu; wenn er wankelmutig wird, so halte dich an mich.
TROILUS
Ihr kennt nun Eure Bürgen: Eures Oheims Wort und meine feste Treue.
PANDARUS
Nun, ich will auch für sie gutsagen. Die Mädchen aus unsrer Verwandtschaft wollen lange gebeten sein; aber, einmal gewonnen, sind sie standhaft. Rechte Kletten, sag ich Euch; sie bleiben haften, wo man sie hinwirft.
CRESSIDA
Kühnheit kommt nun zu mir und macht mir Mut.
Prinz Troilus! Euch liebt ich Tag und Nacht,
Seit manchem langen Mond.
TROILUS
Wie warst du mir so schwer denn zu gewinnen?
CRESSIDA
Schwer nur zum Schein, doch war ich schon gewonnen
Vom ersten Blick, der jemals – o verzeiht!
Sag ich zuviel, so spielt Ihr den Tyrannen.
Ich lieb Euch nun, doch nicht bis jetzt so viel,
Daß ichs nicht zähmen kann – doch nein, ich lüge;
Mein Sehnen war wie ein verzognes Kind
Der Mutter Zucht entwachsen. O wir Ärmsten!
Was schwatz ich da? Wer bleibt uns wohl getreu,
Wenn wir uns selbst so unverschwiegen sind?
So sehr ich liebte, warb ich nicht um Euch,
Und doch fürwahr wünscht ich ein Mann zu sein,
Oder daß wir der Männer Vorrecht hätten,
Zuerst zu sprechen. Liebster, heiß mich still sein!
Sonst im Entzücken red ich ganz gewiß,
Was mich dereinst gereut. O sieh, dein Schweigen,
So schlau verstummend, lockt aus meiner Schwachheit
Die innersten Gedanken; schließ den Mund mir!
TROILUS
Gern! Tönt er auch die süßeste Musik.
[Er küßt sie. ]
PANDARUS
Recht artig, meiner Treu!
CRESSIDA
Mein Prinz, ich bitt Euch sehr, entschuldigt mich;
Nicht wollt ich so mir einen Kuß erbetteln.
Ich bin beschämt – o Himmel! Was begann ich?
Für diesmal muß ich Abschied nehmen, Prinz.
TROILUS
Abschied, mein süßes Mädchen?
PANDARUS
Abschied? Nun ja, ihr mögt bis morgen früh Abschied nehmen.
CRESSIDA
Laßts nun genug sein!
TROILUS
Was erzürnt dich, Liebste?
CRESSIDA
Mein eignes Hiersein, Prinz.
TROILUS
Ihr könnt Euch selbst
Doch nicht entfliehn?
CRESSIDA
Laßt mich, daß ichs versuche.
Zwar eine Art von meinem Selbst bleibt hier,
Doch ein unartges, das sich selbst verläßt,
Als deine Törin. Oh, wo blieb mein Sinn?
Ich möchte gehn – ich sprech, ich weiß nicht was.
TROILUS
Wer so vollständig spricht, weiß, was er spricht.
CRESSIDA
Vielleicht, mein Prinz, zeig ich mehr List als Liebe
Und sprach so dreist ein frei Geständnis aus,
Mir Euer Herz zu fahn. Doch Ihr seid weise,
Liebt also nicht; denn weise sein und lieben
Vermag kein Mensch; nur Götter könnens üben.
TROILUS
O daß ich glaubt, es könne je ein Weib
– Und wenn sie's kann, glaub ichs zuerst von Euch –
Für ewig nähren Liebesflamm und Glut,
In Kraft und Jugend ihre Treu bewahren,
Die Schönheit überdauernd durch ein Herz,
Das frisch erblüht, ob auch das Blut uns altert!
Daß nur die Überzeugung mir erstarkte,
Ihr könntet meine Treu und Innigkeit
Erwidern mit dem gleichgefüllten Maß
Der reinen ungetrübten Herzensneigung –