ROSENKRANZ
Schon das besondre, einzelne Leben muß
Mit aller Kraft und Rüstung des Gemüts
Vor Schaden sich bewahren; doch viel mehr
Der Geist, an dessen Heil das Leben vieler
Beruht und hängt. Der Majestät Verscheiden
Stirbt nicht allein, es zieht gleich einem Strudel
Das Nahe mit. Sie ist ein mächtig Rad,
Befestigt auf des höchsten Berges Gipfel,
An dessen Riesenspeichen tausend Dinge
Gekittet und gefugt sind; wenn es fällt,
So teilt die kleinste Zutat und Umgebung
Den ungeheuren Sturz. Kein König je
Seufzte allein ohn allgemeines Weh.
KÖNIG
Ich bitte, rüstet Euch zur schnellen Reise;
Wir müssen diese Furcht in Fesseln legen,
Die jetzt zu freien Fußes geht.
ROSENKRANZ und GÜLDENSTERN
Wir eilen.
Beide ab. Polonius kommt.
POLONIUS
Mein Fürst, er geht in seiner Mutter Zimmer.
Ich will mich hinter die Tapete stellen,
Den Hergang anzuhören; seid gewiß,
Sie schilt ihn tüchtig aus, und wie Ihr sagtet
- Und weislich wars gesagt -, es schickt sich wohl,
Daß noch ein andrer Zeug' als eine Mutter,
Die von Natur parteiisch, ihr Gespräch
Im stillen anhört. So lebt wohl, mein Fürst!
Eh Ihr zu Bett geht, sprech ich vor bei Euch
Und meld Euch, was ich weiß.
KÖNIG
Dank, lieber Herr!
Polonius ab. O meine Tat ist faul, sie stinkt zum Himmel; Sie trägt den ersten, ältesten der Flüche, Mord eines Bruders! - Beten kann ich nicht, Ist gleich die Neigung dringend wie der Wille: Die stärkre Schuld besiegt den starken Vorsatz, Und wie ein Mann, dem zwei Geschäft obliegen, Steh ich in Zweifel, was ich erst soll tun, Und lasse beides. Wie, wär diese Hand Auch um und um in Bruderblut getaucht, Gibt es nicht Regen gnug im milden Himmel, Sie weiß wie Schnee zu waschen? Wozu dient Die Gnad, als vor der Sünde Stirn zu treten? Und hat Gebet nicht die zwiefache Kraft, Dem Falle vorzubeugen und Verzeihung Gefallnen auszuwirken? Gut, ich will Emporschaun; mein Verbrechen ist geschehn. Doch oh, welch eine Wendung des Gebets Ziemt mir? Vergib mir meinen schnöden Mord? Dies kann nicht sein; mir bleibt ja stets noch alles, Was mich zum Mord getrieben: meine Krone, Mein eigner Ehrgeiz, meine Königin! Wird da verziehn, wo Missetat besteht? In den verderbten Strömen dieser Welt Kann die vergoldete Hand der Missetat Das Recht wegstoßen, und ein schnöder Preis Erkauft oft das Gesetz. Nicht so dort oben! Da gilt kein Kunstgriff, da erscheint die Handlung In ihrer wahren Art, und wir sind selbst Genötigt, unsern Fehlern in die Zähne, Ein Zeugnis abzulegen. Nun? Was bleibt? Sehn, was die Reue kann. Was kann sie nicht? Doch wenn man nicht bereuen kann, was kann sie? O Jammerstand! O Busen, schwarz wie Tod! O Seele, die, sich frei zu machen ringend, Noch mehr verstrickt wird! - Engel, helft! Versucht! Beugt euch, ihr starren Knie! Gestähltes Herz, Sei weich wie Sehnen neugeborner Kinder! Vielleicht wird alles gut. Entfernt sich und kniet nieder. Hamlet kommt.
HAMLET
Jetzt könnt ichs tun, bequem; er ist im Beten.
Jetzt will ichs tun - und so geht er gen Himmel,
Und so bin ich gerächt? Das hieß': ein Bube
Ermordet meinen Vater, und dafür
Send ich, sein einzger Sohn, denselben Buben
Gen Himmel.
Ei, das wäre Sold und Löhnung, Rache nicht.
Er überfiel in Wüstheit meinen Vater,
Voll Speis', in seiner Sünden Maienblüte.
Wie seine Rechnung steht, weiß nur der Himmel,
Allein nach unsrer Denkart und Vermutung
Ergehts ihm schlimm; und bin ich dann gerächt,
Wenn ich in seiner Heiligung ihn fasse,
Bereitet und geschickt zum Übergang? - Nein.
Hinein, du Schwert! Sei schrecklicher gezückt!
Wenn er berauscht ist, schläft, oder in Wut,
In seines Betts blutschänderischen Freuden,
Beim Spielen, Fluchen oder anderm Tun,
Das keine Spur des Heiles an sich hat:
Dann triff ihn, daß die Fersen ihm gen Himmel
Ausschlagen, daß die Seele so verflucht
Und schwarz sei wie die Höll, wohin sie fährt! -
Die Mutter wartet mein. - Dies Mittel schlage
Nur an zur Dehnung deiner siechen Tage!
Ab. Der König steht auf und tritt vor.
KÖNIG
Das Wort fliegt auf, der Sinn hat keine Schwingen,
Wort ohne Sinn kann nicht zum Himmel dringen.
Ab.
Englisch
VIERTE SZENE
[Zimmer der Königin ] Ein anderes Zimmer im Schloß
Die Königin und Polonius treten auf.
POLONIUS
Er kommt sogleich; setzt ihm mit Nachdruck zu;
Sagt ihm, daß er zu wilde Streiche macht,
Um sie zu dulden, und daß Eure Hoheit
Sich zwischen große Hitz und ihn als Schirm
Gestellt hat. Ich will hier mich still verbergen.
Ich bitt Euch, schont ihn nicht!
HAMLET
hinter der Szene. Mutter, Mutter, Mutter!
KÖNIGIN
Verlaßt Euch drauf;
Sorgt meinetwegen nicht. Zieht Euch zurück,
Ich hör ihn kommen.
Polonius verbirgt sich hinter dem Arras-Wandteppich. Hamlet kommt.
HAMLET
Nun, Mutter, sagt: was gibts?
KÖNIGIN
Hamlet, dein Vater ist von dir beleidigt.
HAMLET
Mutter, mein Vater ist von Euch beleidigt.
KÖNIGIN
Kommt, kommt! Ihr sprecht mit einer losen Zunge.
HAMLET
Geht, geht! Ihr fragt mit einer bösen Zunge.
KÖNIGIN
Was soll das, Hamlet?
HAMLET
Nun, was gibt es hier?
KÖNIGIN
Habt Ihr mich ganz vergessen?
HAMLET