Nördlich von Ankara schlagen wir das Zelt auf einer Schafweide auf, nachdem wir das Okay von Ahmet, dem Schäfer, eingeholt haben. Seine Familie und er bestehen aber darauf, dass wir nicht schlafen gehen, ohne zuvor mit ihnen zu Abend gegessen zu haben.
An einer Tankstelle werden wir von der Betreiberin spontan zu Limonade und einem Essen in der Kantine eingeladen. Kurz darauf kommt uns ein Paar auf einem Trecker entgegen. Als sie uns auf ihrem Rückweg überholen, haben sie uns ein Eis mitgebracht. Wieder zelten wir zwischen zwei Feldern, und diesmal bekommen wir nächtlichen Besuch, der uns nicht schlecht erschreckt. Die Bauernsöhne sind mit Cola und Keksen auf einen Plausch vorbeigekommen, und bald sitzen wir gemeinsam auf dem Acker unter den Sternen, knabbern Kekse und stellen unsere mageren Türkischkenntnisse auf die Probe.
An einem Rastplatz kauen wir gerade an einem Stück Börek, das wir geschenkt bekommen haben, als Ömer und Umut, zwei Lkw-Fahrer, uns zu sich an den Tisch einladen. Auf einer Tischdecke aus Zeitungspapier liegen Fladenbrot, Honig, Oliven und Käse, Gurke und Tomate und natürlich Tee. Ein komplettes türkisches Frühstück. Wir bleiben in Kontakt mit Ömer und verbringen ein paar Wochen später ein paar Tage bei ihm und seiner Familie.
Je näher wir der Schwarzmeerküste kommen, umso energischer werden die Einladungen und umso größer auch die Rettungsringe. Bayran zum Beispiel, bei dessen Familie wir später übernachten würden, setzt sich einfach zu uns und fragt, wie wir heißen und wo wir hinfahren. »Habt ihr Hunger?« »Nein danke, wir haben gerade eine riesige Portion ...«. »Gut, dann nur etwas Kleines. Kellner, drei Pide, bitte! Und auch drei Ayran, ja, die großen.«
Alle paar Kilometer lernen wir liebenswürdige Leute kennen, quatschen, trinken Tee und essen einen Happen oder zwei. Wir wissen gar nicht, wie uns geschieht, ständig finden wir uns in einer anderen Küche wieder, unterhalten uns und kriegen die Teller immer wieder mit hausgemachten Köstlichkeiten aufgefüllt. Es ist ein bisschen wie bei Oma am Tisch, nur dass wir nicht mehr groß und stark werden müssen, sondern mit dem Kalorienverbrennen nicht hinterher kommen. Aber das ist uns herzlich egal. Wir genießen die Zeit bei den gastfreundlichen Türken, und wenn man uns das ansieht, dann ist das auch in Ordnung.
Im Frühjahr verlassen wir das ländliche Fethiye
Ömer aus Rize zeigt uns die Teeplantagen der Region. Hier mit seiner Tochter Purki
Tee wird immer und überall gereicht.
Die Strecke durch die Türkei ist landschaftlich sehr abwechslungsreich. Auch einen Salzsee gibt es.
Abendbrot bei der Familie unseres neuen Freundes Hamid im Iran.
In Armenien ist der Sommer Aprikosenzeit.
Unkonventionell übernachten
Tag 312, Kilometer 6303, Grenzgebiet von Armenien und dem Iran
POSITIV In Armenien die Aprikosen, Lebkuchen und Barbecue an jeder Ecke; im Iran Ghormeh Sabzi (Eintopf), ZamZam-Limo und keine betrunkenen Autofahrer NEGATIV In Armenien Alltagssexismus und im Iran das komplexe kulturelle Konzept von Taroof GELERNT 30 Tage ≠ ein Monat
Die Grenze zum Iran liegt vor uns. Iran, das Land, vor dem wir immer gewarnt wurden – ausschließlich von Menschen, die noch nie da waren. Die meisten Iranreisenden kommen jedoch begeistert wieder. Im armenischen 5000-Seelen-Städtchen Meghri heben wir US-Dollars, armenische Dram und Euros für anderthalb Monate ab, denn im Iran dürfen Ausländer kein Geld abheben, und auch in den folgenden Ländern würde es schwierig werden, Geldautomaten aufzutreiben. Es fühlt sich seltsam an, mit so viel Geld in den Taschen herumzulaufen.
Wir fühlen uns wohl in unserem gemütlichen Zimmerchen mit den weinroten Gardinen, in dessen Mitte eine Tanzstange steht. Ein wenig wundern wir uns darüber, dass der Ganzkörperspiegel an der Decke hängt, statt an der Wand, doch erst als Roberto auf der Suche nach einem Feierabendbier den Schildern zum Restaurant folgend die Treppe hinuntergeht und in einem Stripclub landet, bestätigt sich unsere Vermutung: Unser Zimmer wird auch stundenweise vermietet. Die Frage bei unserer Ankunft, ob wir nicht ein paar weitere Frauen haben wollten, war wohl doch kein Übersetzungsfehler. Es ist sehr sauber, und alle sind nett zu uns, wir fühlen uns dennoch wohl. Als Reiseradler kann man es sich bei der Wahl einer günstigen Unterkunft ohnehin nicht leisten, wählerisch zu sein.
Den Abreisetag verschieben wir spontan, denn das Besitzerpaar des »Hotel and Restaurant«, wie es auf dem Schild draußen steht, lädt uns mit seinem Sohn zum Picknicken in den nahe gelegenen Biergarten ein. Wir unterhalten uns über ihren letzten Urlaub, deutsches Essen und darüber, dass sie als Armenier so manche Freunde und Geschäftspartner aus der Türkei und Aserbaidschan haben, auch wenn die politische Stimmung der Länder zueinander eisig ist.
Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zum zehn Kilometer entfernten Grenzübergang. Immer wieder werden wir angehalten, nach unseren Pässen gefragt und auf Armenisch und Russisch angemeckert. Wir verstehen kein Wort und werden zur Grenzpolizei weitergeschickt, die uns erklärt, dass wir unser armenisches Visum überzogen haben! 30 Tage sind eben nicht das Gleiche wie ein Monat. Zum Glück drücken die Grenzbeamten alle Augen zu, schieben uns durch, drehen uns um, lassen uns von der anderen Seite erneut einreisen (Visum on arrival für schlappe sechs Euro) und stempeln uns dann bei erneuter Ausreise regulär aus. Glück gehabt!
Damit liegt die große Aufregung bereits hinter uns, als wir – ich mittlerweile mit Kopftuch – am iranischen Teil der Grenze eintreffen. Auch hier sind die Beamten freundlich, und schon sind wir in den Mittleren Osten eingereist. Dafür, dass Armeniens nächster Grenzübergang über 500 Kilometer entfernt im Norden des Landes liegt und nach Georgien führt, ist wirklich wenig los.
Von der Route durch die Berge wird uns abgeraten. Um nach Täbris zu fahren, sollen wir einen Umweg über die größere Straße nehmen. So kommt es, dass wir den ganzen Tag an der Grenze entlang nach Westen radeln, zunächst liegt noch Armenien auf der anderen Flussseite, dann später die Autonome Republik Nachitschewan, eine aserbaidschanische Exklave. Erst in Jolfa, einem 5000-Seelen-Städtchen, biegen wir in Richtung Landesinneres ab. Wir atmen auf. In permanenter Grenznähe fühlen wir uns immer etwas unwohl und beobachtet. Wir wollen eigentlich noch 20 Kilometer radeln, da entdecken wir einen Campingplatz. Den müssen wir uns genauer ansehen. Auf einer großen Rasenfläche liegen unzählige Picknickdecken. Darauf sitzen Familien unter Schatten spendenden Bäumen und essen, trinken, lachen und spielen. Im Laufe des frühen Abends packen die Familien die Picknickdecken ein und stellen Zelte auf die frei gewordenen Plätze. Ein Plätzchen ist noch frei, also stellen wir unser Zelt einfach dazu. Kostenlos, versteht sich, denn was ich für einen Campingplatz gehalten habe, ist in Wirklichkeit ein Stadtpark vor einer Moschee, und da der Freitag im Iran Wochenende bedeutet, gehen die Leute zelten. Einfach so, mitten in der Stadt im Park. Wir freunden uns direkt mit den Zeltnachbarn an und fühlen uns auf Anhieb wohl und sicher. Wir haben gelernt, einfach auf unser Gefühl zu vertrauen. Nachts öffnen wir sogar noch die Zelttüren, damit etwas Wind reinkommt, da wir sonst bei immer noch über 30 Grad zerfließen würden. Zähne putzen und uns waschen können wir im Bad der Moschee. Wir werden von den Nachbarn zum Frühstückspicknick eingeladen und ziehen kurz darauf sauber, satt und zufrieden weiter ins Landesinnere.
Die Melonenmisere