Die Kleine nimmt einen anderen Farbstift, einen gelben Farbstift, der auf dem Boden liegt, sie zieht mit ihrer rechten Hand diesen Farbstift über das Blatt der Großen, die sagt, «nein, nein, nicht hier!, geh zu Papa, und er gibt dir ein Blatt nur für dich, und dort kannst du selber Kommas setzen», dann hörst du die Große sagen, «Papa, Papa, sie hat mir mein Blatt zerrissen, sie will mich beißen, jetzt hat sie einen meiner Farbstifte genommen, und ich will ein anderes Blatt, um Kommas zwischen die Wörter zu setzen».
* * *
Du stehst neben deinem toten Vater, du schaust in seinen Sarg, und du erinnerst dich, wie er dir gesagt hat, «komm mit!» Er ist mit dir zu einem seiner Lastwagenfahrer gegangen, der in der Kabine seines Fahrzeugs schlief, dein Vater hat ihn aufgeweckt und ihm gesagt, «nimm meinen Sohn und lass ihn ans Steuer!»
Der Lastwagenfahrer hat gegähnt und gesagt, «okay, Chef!», dann hat er sich zu dir gewandt und dich angesehen: «Steig ein!» Dein Vater ist weggegangen, und der Lastwagenfahrer hat den Motor gestartet, hat mit seinem Handrücken seine Augen gerieben und ist mit dem Lastwagen auf ein Gelände in der Nähe der Baustelle gefahren.
Du hast im Kopf das Wort «Lastwagen» buchstabiert, Silbe um Silbe, du hast «Last-wa-gen» gesagt, du hast immer wieder «Last-wa-gen» gesagt, während der Fahrer dir den Schalthebel gezeigt hat, mit dem man die Gänge wechselt. Er hat dich angeschaut und hat dir erklärt, wie das Gaspedal funktioniert. Du hast das Schema der fünf Vorwärtsgänge gelernt, und du hast, mit ausgeschaltetem Motor, die Bedienung des Schalthebels geübt. Du hast auf das Kupplungs- und auf das Bremspedal gedrückt. Der Lastwagenfahrer hat gesagt, «fahr los!», du hast den Motor angelassen, indem du den Zündschlüssel gedreht hast, du hast alleine in den ersten Gang geschaltet und hast die Kupplung losgelassen und gleichzeitig Gas gegeben, sachte.
Der Lastwagen ist angefahren, ganz langsam. Du hast nach vorne geschaut, und du hast die Richtung gehalten, indem du schnurgerade in einer Fahrspur aus gestampftem Sand gefahren bist, auf dem Gelände unweit der Baustelle, wo du die meiste Zeit warst, wenn du die Ferien bei deinem Vater verbrachtest.
Dein Vater wird auf der Ladefläche eines Lastwagens zum Friedhof gebracht werden.
Am Ende der Fahrspur hättest du steuern müssen, du hast auf das Bremspedal gedrückt und auf die Kupplung, der Lastwagen ist stehengeblieben, du hast in den Leerlauf geschaltet, hast die Handbremse gezogen und den Führersitz dem Lastwagenfahrer überlassen, der es übernommen hat, das Fahrzeug zu wenden.
Du hast dich wieder hinters Steuer gesetzt und bist mit dem Lastwagen auf der Fahrspur im gestampften Sand zurückgefahren. Du hast mehrere Fahrten auf dem Gelände gemacht, du hast dich mit dem Lastwagenfahrer unterhalten, er hat dir von seiner Familie erzählt, er hat Fragen gestellt über deine Familie, du hast den Geruch dieses Mannes in der Kabine seines Arbeitsfahrzeuges gerochen, du hast seine Kleidung angeschaut und die Dinge, mit denen er die Fahrzeugkabine dekoriert hatte, du warst durchdrungen vom Geruch von Motoren- und von Treiböl.
Einer der Lastwagenfahrer hat dir einen Deal angeboten: Ihr würdet darum spielen, dass du dich hinter das Steuer seines Lastwagen setzen könnest. Um eine Runde auf dem Gelände zu fahren, müsstest du das Spiel gewinnen. Ihr habt in der Fahrzeugkabine Karten gespielt. Jeder von euch hat seine Karten auf dem Sitz zwischen euch ausgespielt, er hat beim Steuer gesessen und sich auf die rechte Seite gedreht, du bist ihm gegenüber gesessen, bei der rechten Vordertür des Lastwagens. Er ließ sich beim Kartenspielen nicht kampflos schlagen, du musstest wirklich gewinnen, um zu deiner Fahrt zu kommen. Es war ein bekanntes und auch für Kinder einfaches Kartenspiel, man musste bluffen, um zu gewinnen, du hattest dieses Spiel auf der Straße deiner Großmutter gelernt, du hattest es einige Hundert Male mit deinen Straßenkameraden gespielt. Es gab zweiunddreißig Karten. Jeder von euch hatte zu Beginn vier Karten in der Hand, einer von euch legte eine Karte auf den Spielteppich, der aus einem Wäschestück des Chauffeurs bestand, dann legte der andere eine Karte obendrauf. Man musste dieselbe Karte wie der Gegner haben, oder ihn übertrumpfen, auf diese Weise ging die Runde an einen der Spieler. Dann ging das Spiel weiter, jeder nahm eine neue Karte vom Stapel, die zwischen euch lag.
Du hast selten gewonnen, du verbrachtest Stunden mit Kartenspielen, ohne einmal das Steuerrad des Lastwagens angefasst zu haben, du hast dich mit dem Fahrer unterhalten, und ihr habt geschwitzt in der Hitze seiner Führerkabine, deren Türfenster heruntergekurbelt waren. Von Zeit zu Zeit sagte er, «ich werde ein Stück vorfahren, in den Schatten!», und hat den Motor in Gang gesetzt. Er hat seinen Lastwagen in den Schatten gefahren, und ihr habt das Spiel wieder aufgenommen. Manchmal musstet ihr euer Kartenspiel mittendrin unterbrechen, der Chauffeur hat den Motor gestartet, hat dir gesagt, dass du aussteigen sollst, und ist etwas erledigen gegangen, für die Baustelle, er ist Backsteine oder Zement aufladen gegangen. Du kanntest alle Lastwagenfahrer, die auf der Baustelle deines Vaters arbeiteten, und dein Vater hat nie erfahren, dass einer seiner Fahrer dir einen Deal vorgeschlagen hat, damit du dich hinter das Steuer seines Fahrzeuges setzen konntest, auf dem Gelände. Du kanntest alle Unebenheiten des Terrains, auf dem du das Steuerrad des Lastwagens übernehmen durftest. Es gab Schlaglöcher, und manche Stellen waren mit gelblichen Grasbüscheln bedeckt. Du bist über Steine gefahren, die groß wie Gänseeier waren, du hast versucht, mit den Rädern des Lastwagens über die trockenen Äste zu fahren, die auf diesem Gemeindegrundstück, das nur als deine Fahrlernpiste und als Durchfahrtsweg für die Dorfeinwohner diente, verstreut lagen.
* * *
Ich schaue ihr in die Augen, sie misst mich mit ihren Augenlidern, sie legt ihre Augenlider an mein Gesicht, und ich werde verschluckt von ihren Wimpern und ihren Pupillen, und die Farbe ihrer Augen breitet sich in mir aus wie ein Feld, sie hat grüne Augen, es ist ein Grün mit grauen und blauen Sprenkeln, sie schaut mich noch immer an, sie fixiert mich.
Ich nehme ihre Augen in die meinen auf, sie taucht in mich ein, ich bekomme keine Luft mehr, ich möchte außerhalb ihrer Augen einen Weg einatmen, eine Straße, einen Ausweg, der zur Ruhe führt, ihre Augen eine Flasche Wein, eine Schubkarre wie eine Hängematte, ein Bett wie ein Weingarten, sie schaut mich weiter an, ihre Augen insistieren, sie durchbohren meinen Blick, meine Hellsichtigkeit, meine Losgelöstheit von der Welt geht durch sie hindurch.
Ich weiß nicht, ob sie mich sieht, ich weiß nicht, was sie in mir sieht, ich sehe sie ganz nahe vor mir, sie auf einem Stuhl, ich auf einem anderen Stuhl, wir schauen uns an. Sie ist so nahe, dass sie mit einer Hand mein Bein berührt, ihre Finger haben eines meiner Beine ergriffen, und ich schaue ihr noch immer in die Augen, die leuchten wie Hemdknöpfe in einem Fertiglinsengericht. Sie streicht mit ihrer Hand über mein Bein, sie kommt näher, ich spüre, wie sie mich in eine andere Welt stößt, es gibt Welten, denen ich nicht angehöre, diese Welten gehören ihr und anderen, ich möchte nicht in eine andere Welt gehen, sie erfasst mich mit ihren Augen, ich erkenne sie wieder, sie ist diejenige, die vor mir, mit mir und neben mir «waschbaren Brustprotektor» getragen hat. Für die Kleine hat sie es getan. Die Große war nie an der Brust, die Kleine hängt immer an den Brüsten ihrer Mutter, sie ist meine Frau, und sie hat ihre waschbaren Brustprotektoren getragen, deren primäre Funktion ist: «Absorbiert den Milchausfluss und schützt die Kleider.»
Ich sehe, wie sie mich anschaut, und ich habe sie ihre Brüste anschauen sehen, während sie die Kleine gestillt hat, «weich, zuverlässig und ästhetisch» das Ding, das sie über mehrere Monate hinweg getragen hat, ihre Augen müssen an diesem Ding hängengeblieben sein, sie schaut mich mit all den Dingen ihres Lebens an, ich merke, dass sie bettelt, sie verlangt nach Luft für sich: «luftdurchlässig».
Ich sehe sie in ihren Augen und in ihren Gesten, die sie aufstehen und zu mir herkommen lassen, ich weiß, dass sie sich auf meine Knie setzen wird, sie liebt es, auf meinen Knien zu sitzen, sie und ich, eng beieinander, sie auf meinen Beinen und mit ihren Armen um mich geschlungen, wir werden uns, «Einheitsgröße, perfekter Halt», dieses Dings bewusst, das ihr dazu gedient hat und noch immer dient, die Kleine zu stillen.
Sie