Die Wolfssymphonie. Marius Daniel Popescu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marius Daniel Popescu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906050171
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wie ein Blatt Papier vor dem laufenden Staubsaugerrohr, sie atmet mich ein, ich atme sie ein, ein anderes Detail: «Erhältlich in Apotheken und Drogerien zu Packungen à 4 Stück».

      Ich fasse an ihre Hüften, ich fasse an ihre Hüften und an ihre Pobacken, sie mag es nicht besonders, wenn ich ihr an die Pobacken fasse, sie fährt mit ihrer Hand über meinen Rücken, meine Schultern, sie sitzt auf mir, rittlings auf meinen Knien auf einem Stuhl sitzen wir. Ich küsse sie, und sie küsst mich, die Große und die Kleine spielen in ihrem Zimmer, sie lachen und kreischen in ihrem Spiel, sie und ich, gegeneinander gelehnt, wie eine angezündete Zigarette verzehren wir einander.

      Ihre Augen, die denen meiner Frau gleichen, sie taucht sie ein und lässt sie an meinen Augen zehren, sie nähert sich meinem Körper, sie stößt mich weg, sie zieht mich zu sich hin, sie redet mich mit ihrer Stimme an und sagt: «Vor dem ersten Gebrauch Brustprotektoren bei 60° C waschen». Ich weiß nicht, ich weiß nicht mehr, ob wir diese Dinger gemäß der Bedienungsanleitung gewaschen haben, ich weiß nicht, ob die Kleine ein Kind der Welt der Bedienungsanleitung ist, ich weiß nicht, ob das Leben eine Art Bedienungsanleitung ist, ich weiß es nicht, sie weiß es nicht, wir wissen es nicht.

      * * *

      Deine Mutter ist hier, im Hof des Hauses der Frau deines Vaters. Sie sitzt auf einem Stuhl in der Ecke des Hofes, und sie hat Tränen in den Augen. Seit sie angekommen ist, sitzt sie in dieser Ecke des Hofes und schaut die Leute an, die an ihr vorbeigehen, und sie weint. Deine Mutter ist heute Morgen angereist, um hier zu sein, sie ist im Zug angereist, um am Begräbnis deines Vaters zugegen zu sein. Sie ist schwarz gekleidet, wie die meisten Frauen in diesem Hof, sie sitzt auf dem Stuhl und weint, und sie schaut dir zu, wie du mit denen redest, die dich ansprechen und dir Fragen stellen über dich und deinen Vater, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Deine Mutter weiß, dass du nie mit ihr zusammenleben wirst. Sie weint, und sie denkt, dass du nicht mehr bei deinem Vater leben wirst, und sie will verstehen, weshalb dein Vater in einem Lastwagen gestorben ist, der Backsteine transportiert hat, die für den Bau von zwei Zimmern für dich gedacht waren, im Hof des Hauses der Frau deines Vaters. Du siehst deine Mutter auf diesem Stuhl sitzen, und du gehst zu ihr hin, und du bleibst vor deiner weinenden Mutter stehen, und du siehst, wie sie ihr Gesicht in ihre offenen Hände legt, und der Kopf in ihren Händen legt sich auf ihre Knie, und du siehst den gekrümmten Rücken deiner schluchzenden Mutter, und ihre schwarzen Haare fallen über ihre Beine und verdecken ihr Gesicht und die Hände. Du umfasst den Rücken deiner Mutter mit deinen Armen und legst deinen Kopf auf den gekrümmten Rücken deiner Mutter, die auf diesem Stuhl hockt in einer Ecke des Hofes, und du hörst deine Mutter weinen, und ihr bleibt eine Weile so sitzen, und deine Mutter beugt ihren Rücken auf dem Stuhl zurück, und du siehst sie mit ihren Händen die Tränen wegwischen, und sie fängt an zu lachen und sagt, «wenn Gott es so gewollt hat, dass du ohne deinen Vater und weit weg von mir lebst, dann sollst du so leben!» Und sie lächelt dich weiter an und nimmt dich in die Arme und küsst dich auf die Stirn und sagt: «geh zu deinem Vater!»

      * * *

      Dieses Foto wurde in einer Kunstgalerie aufgenommen, du hältst die Kleine fest im Arm, du stehst aufrecht und trägst sie auf dem linken Vorderarm, und mit dem rechten stützt du ihren Körper. Sie trägt ein rotes Röcklein, bespickt mit gelben Blumen, du trägst einen roten Pullover, den du von deinem hiesigen Schwiegervater bekommen hast, er hat dir diesen Pullover, den du sehr magst und den du fast jeden Tag trägst, geschenkt, deine Frau möchte dich zwischendurch gerne ohne diesen Pullover sehen, sie sagt, «zieh einen anderen Pullover an, tu es für mich, nur heute!»

      Du trägst die Haare kurz, deine Frau schneidet dir seit einigen Jahren die Haare, sie ist deine Coiffeuse, du trägst ein blaues Hemd unter dem Pullover des Schwiegervaters, es ist ein Markenpullover, es steht ein Name in weißen Kleinbuchstaben auf deiner Brust, hinter euch sieht man Teile von zwei Gemälden.

      In einer Hand hältst du ein Papiertaschentuch, die Kleine hatte Schnupfen, ihre Haare sind zu einem Dutt hochfrisiert, sie schaut mit offenem Mund zum Photoapparat, ohne zu lachen. Sie trägt rote Baumwollstrümpfe, und du lachst über dieses Bild, das du mit einer Reißzwecke an die Wand eines Zimmers gepinnt hast, du hast Postkarten, Fotos und mehrere Zeitungsartikel, die an einer Wand angepinnt sind, und diese Wand ist vollständig zugedeckt von Bildern, die du nicht in Kartonkisten oder in Schubladen aufbewahrst.

      Die Große muss irgendwo in der Kunstgalerie sein, sie muss alleine sein oder mit ihrer Mutter, sie isst Kekse, die vom Künstler offeriert werden, der hier Gemälde und Zeichnungen und Stiche ausstellt, diese Fotografie wurde während einer Vernissage aufgenommen.

      Gegen Ende des Abends werdet ihr alle in ein Restaurant gehen, ihr werdet zusammen essen, es werden viele Leute am Tisch sitzen, ihr werdet ungefähr dreißig Personen plus Kinder sein. Mehrere Kinder sind da, die alleine oder mit ihren Eltern die Gemälde an der Wand anschauen, die Kinder stellen den Erwachsenen Fragen, die Kleine hat dich gefragt, «Papa, was ist das?», und hat mit ihren Fingern auf eine Malerei gezeigt, die aussah wie Eingeweide von jemandem, dem der Magen durch die Kugel einer Maschinenpistole explodiert ist. Die Große sagt, «hier ist es rot, hast du gesehen, Papa?!», du schaust dieses Foto an, und du erinnerst dich an diesen vergangenen Tag, an dem ihr alle vier an diese Vernissage gegangen seid, und der Mann, der seine Werke ausgestellt hat, ist ein alter Herr. Es gab einige Gemälde von ihm mit dem Portrait seiner Frau, die voriges Jahr verstarb.

      * * *

      Ich schaue dir in die Augen, und ich umfasse mit einer Hand deine Schultern, so, wie ich dich umfasst habe, als wir, dein Vater, du und ich, das erste Mal an einen Jahrmarkt gegangen sind. Du hast an jenem Tag gelernt, mit einem Luftgewehr zu schießen. Dein Vater hatte dir gezeigt, wie du das Gewehr zu halten hast, und du hast dich auf dem Tresen des Schießstandes abgestützt, du hattest einen Ellenbogen auf dem Holztresen, und das Gewehr war geladen, und du hast uns gefragt, welche Zielscheibe du anvisieren sollst. Es gab mehrere Zielscheiben aus Blech, und jede Zielscheibe stellte eine Figur bei der Arbeit dar, und man musste auf einen schwarzen Kreis zielen, wo jeweils eine Feder ausgelöst wurde, die sich hinter der Zielscheibe befand und die die Figur in Bewegung versetzte. Dein Vater hat gesagt, «der Schmied», du hast deinen Kopf zu den Zielscheiben gedreht, hast den schwarzen Kreis des Schmieds anvisiert, hast abgedrückt, und die Blechfigur hat angefangen, mit ihrem Hammer zu schlagen, und du hast uns angeschaut und gelacht, und ich habe dich bei der Schulter genommen, so wie jetzt.

      Der, der den Schießstand mit den Luftgewehren betrieb, hatte an eine Angelschnur von etwa zehn Zentimetern einen Nagel gebunden, diese Schnur war an der Decke des Standes neben den Zielscheiben befestigt. Der Nagel, der an der Schnur hing, war eines der schwierigsten Schießziele, denn der Mann, der die Gewehre nachlud, ließ ihn schwingen, und die Schützen mussten anlegen und warten, bis er in die Schusslinie kam. Nur wenige schafften es, den schwingenden Nagel zu treffen. Du hast gesagt, «ich werde auf den Nagel zielen», und du hast den Gewehrlauf auf den Nagel gerichtet, der sich an seiner Schnur bewegte, du hast einige Sekunden gewartet, um zu sehen, auf welcher Bahn sich der Nagel vor dir hin und her schwang, und du hast abgedrückt, und alle haben gesehen, wie der Nagel schlagartig die Richtung geändert hat, und der Schießstandbetreiber hat zu deinem Vater gesagt, «er schießt gut, der Bengel!» Dein Vater war stolz auf dich, er hat geantwortet, «das ist mein Sohn!», und er hat dir an diesem Jahrmarktsschießstand noch weitere hundert Schüsse mit dem Luftgewehr bezahlt, dann sind er und ich in der Nähe in ein Restaurant gegangen, wo du eine Stunde später wieder zu uns gestoßen bist.

      * * *

      Die Ente ist gelb, und ihr Schnabel ist orange, und die Postkarte ist rund um das Bild dieses Vogels weggeschnitten, und auf ihrem Rücken haben sie einige Zeilen geschrieben, um die Kleine zu grüßen, einige Tage nach ihrer Geburt. Sie haben geschrieben, «Ein herzliches Willkommen der Kleinen! Wir gratulieren den glücklichen Eltern von ganzem Herzen. Wir freuen uns sehr über euer Glück», und sie haben unterschrieben, sie haben ihre Vornamen am unteren Rand der Karte hingeschrieben.

      Es ist eine der Karten, die wir zur Geburt der Kleinen erhalten haben, diese hier kam zusammen mit einem Babykleidchen, wir haben es während eines Festes des Fußballklubs meiner Plakatierfirma bekommen, es waren viele Menschen in einem Saal, es war Herbst, und sie haben uns eine Überraschung gemacht, indem sie dieses Kleidchen und die