Felix hatte ganz in der Nähe des Herrenhauses ein wunderbares Anwesen geschaffen, und dort waren er, Sandra, Manuel und die kleinen Zwillinge sehr glücklich miteinander, sie waren eine Vorzeigefamilie, wieder, musste man sagen.
Marianne war so froh, dass sich ein kleiner Zwischenfall, der die glückliche Beziehung ein wenig ins Wanken gebracht hatte, längst behoben war. Und da hatte Manuel sich als ein wahrer Held erwiesen. Er hatte dafür gesorgt, dass Sandra und Felix wieder glücklich waren.
Bei Sandra und Familie war alles Sonnenschein, und so kitschig es auch klang, das war es wirklich.
Marianne seufzte.
Sie wollte, sie könnte das auch von Carlo und sich behaupten. Was ihre Gefühle füreinander und ihre komfortablen äußeren Lebensumstände betraf, dafür müsste sie dem lieben Gott jeden Tag auf Knien danken. Darum ging es nicht. Da könnte es besser nicht sein.
Es war so, dass sie sich sehr große Sorgen um die Gesundheit ihres Mannes machte. Da stimmte etwas nicht.
Carlo arbeitete viel, viel zu viel für sein Alter, auch wenn er ein dynamischer Mann war, der noch immer glaubte, die ganze Welt aus den Angeln heben zu können. Aber alles hatte seine Zeit, und wenn man auf das Rentenalter zuging, konnte man sich nicht das zumuten, was man als Dreißigjähriger locker machen konnte.
Dass Carlo sich stets zu viel zumutete, lag unter anderem auch daran, dass er von seinem Beruf besessen war. Er war mit Leib und Seele Architekt, und diesen Beruf hatte er bereits als kleiner Junge ergreifen wollen. Das war überliefert. Und es war wohl wirklich so, dass man dann später nichts anderes wollte. Auf Carlo traf es auf jeden Fall zu. Carlo war bekannt, er war ein großer Könner, er war ein Visionär. Deswegen wurde er auf internationalen besonderen Bauprojekten auch immer wieder angefragt. Und wenn er an einer Ausschreibung teilnahm, bekam er den Zuschlag.
Die Siedlung im Sonnenwinkel war auch etwas ganz Besonderes, wenngleich das im Vergleich zu seinen anderen Projekten nichts war. Carlo hatte auf jeden Fall für die Gestaltung des Sonnenwinkels nicht nur einen Preis bekommen, weil es Siedlungen in dieser Art zuvor noch nicht gegeben hatte: modern, innovativ und so ganz anders als das, was man sonst kannte.
Und das Beste war, dass sie sich ohne dieses Projekt niemals begegnet wären. Und so hätte der Sonnenwinkel, auch wenn er pottenhässlich wäre, für sie immer einen ganz hohen Stellenwert.
Carlo hatte seine Frau beobachtet, die merkwürdig besorgt schien, dabei war es doch ein so schöner Morgen. Und natürlich hatte er auch ihren abgrundtiefen Seufzer gehört.
»Liebes, bedrückt dich etwas?«, erkundigte er sich deswegen. »Gibt es nebenan etwa Zoff?«
Marianne lächelte.
Natürlich hatte Carlo das, was nebenan gewesen war, ebenfalls mitbekommen, und weil er Sandra und ihre Familie sehr mochte, war er sehr besorgt gewesen.
Marianne schüttelte den Kopf. Sie war eine gepflegte damenhafte Erscheinung, hatte graubraune Haare, war mittelgroß, schlank. Ihre glasklaren Augen blickten wach in die Welt. Sie sah so aus, wie man sich eine adelige Dame vorstellte, und es käme niemand auf die Idee, dass sie eine Bürgerliche war und diesen Titel nur durch Heirat mit ihrem ersten Mann bekommen hatte.
»Ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen mehr machen. Sowohl Felix als auch Sandra haben ihre Lektion gelernt, und sie wissen, dass man Missverständnisse nur aus der Welt schafft, indem man miteinander redet. Nein, Carlo, ich sorge mich um dich.«
Carlo Heimberg war so erstaunt, dass er den Löffel aus der Hand legte, mit dem er gerade den Zucker in seiner Tasse umrühren wollte.
»Um mich?«, erkundigte er sich gedehnt. »Weswegen denn? Mein Leben könnte nicht schöner sein, seit ich dir begegnet bin und du meine Frau geworden bist.«
Mit ihm verheiratet zu sein, das machte auch sie auf jeden Fall glücklich. Aber sie wollte sich jetzt nicht ablenken lassen.
»Carlo, mein Liebster, es geht nicht darum, dass wir sehr glücklich miteinander sind, und ich kann mir auch überhaupt nicht vorstellen, irgendwann einmal Krach mit dir zu bekommen. Ich mache mir große Sorgen um deine Gesundheit.«
Er versuchte ein schiefes Lächeln.
»Musst du nicht, alles ist bestens, mein Herz.«
»Ja, wenn das so ist, warum weigerst du dich dann, dich mal bei Frau Doktor Steinfeld untersuchen zu lassen? Du magst sie als Mensch, und was ihre ärztliche Kompetenz betrifft, ich glaube, da kann ihr niemand so schnell das Wasser reichen.«
»Ich finde Frau Doktor Steinfeld wunderbar, aber dann lade sie meinetwegen zum Kaffee ein. Man geht nur zum Arzt, wenn man krank ist. Und mir fehlt nichts.«
Marianne gab nicht nach.
»Dann beweise mir das. Du sagst doch immer, dass du mich liebst, und davon bin ich überzeugt. Aber lass mich einen Termin für dich machen. Wenn dir nichts fehlt, dann ist das eine Geschichte von einer maximal halben Stunde, und ich kann wieder beruhigt sein.«
Carlo Heimberg kannte seine Frau mittlerweile sehr gut. Wenn sie sich in etwas festbiss, konnte sie beharrlich sein wie ein Terrier.
»Gut, in Gottes Namen«, gab er nach. »Können wir jetzt davon aufhören? Ich möchte den Vormittag mit dir genießen, und ich freue mich schon auf den Museumsbesuch in der Stadt. Die Ausstellung muss ganz großartig sein, und ich glaube, man kann sich diese Werke nur noch heute und morgen ansehen.«
Marianne freute sich auch, aber am meisten freute sie sich darüber, dass ihr Carlo endlich einsichtig wurde.
Gleich morgen würde sie für ihn den Termin bei Frau Doktor Steinfeld machen. Sie war nicht so überzeugt davon wie er, dass mit ihm alles in Ordnung war.
Sie war doch nicht blind und sah, wie er sich manchmal die Hand aufs Herz presste, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Und diese blasse Gesichtshaut, die war ebenfalls nicht normal. Carlo war viel im Freien, und als sie sich kennengelernt hatten, war ihm das auch anzusehen gewesen.
»Wenn du magst, können wir vor oder nach der Ausstellung noch ein wenig shoppen gehen. Du weißt doch, wie gern ich das tue, weil ich so unendlich stolz auf meine Frau bin.«
Marianne war gerührt vor lauter Glück. Ja, so war er, ihr Carlo, unendlich liebevoll, charmant. Er war klug, belesen, und was am wichtigsten war, er hatte sein Herz auf dem rechten Fleck.
Sie war so glücklich, seine Ehefrau zu sein. Wenn es nicht so wäre, und wenn man sie vor die Alternative stellen würde, eine Entscheidung zu treffen zwischen einem Hauptgewinn im Lotto oder ihm: Marianne würde sich ohne auch nur eine Sekunde zu zögern für Carlo entscheiden, weil sie wusste, dass er mehr war als ein Lottogewinn.
Im Lotto gewinnen konnte man immer wieder einmal, aber ihn, ihren Carlo, den gab es nur ein einziges Mal auf dieser Welt, deswegen war sie doch auch so besorgt. Ihn zu verlieren, das würde ihr das Herz brechen. Aber an so etwas wollte sie gar nicht erst denken.
Sie hatten noch so viel vor, und mit ihm an ihrer Seite war das Leben einfach nur schön.
Fanny, das Hausmädchen, kam herein, um sich zu erkundigen, ob die Herrschaften noch etwas wollten.
Nein, das wollten sie nicht. Sie waren im Augenblick wunschlos glücklich, und so sollte es auch bleiben.
»Danke, Fanny, wenn wir etwas benötigen, dann melden wir uns.«
Fanny ging, sie waren wieder allein.
Das war auch etwas, woran Marianne sich erst einmal gewöhnen musste, für alles Personal zu haben. Ehe sie auf den Erlenhof gekommen waren, hatte sie immer alles allein gemacht, auch, als sie noch mit Sandras Vater verheiratet gewesen war, der leider viel zu früh gestorben war. Sie waren mit seinem Verdienst gut zurechtgekommen, aber auf vieles mussten sie verzichten, und das war in erster Linie Personal. Aber Marianne war sich nie für etwas zu schade gewesen, und daran würde sich auch nichts ändern.
Sie genoss alles, was sie jetzt hatte, aber sie würde auch nicht zerbrechen,