Das Böse ruht nie. Marion Petznick. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Petznick
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946734369
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Doch heute preschte Lisa schneller als sonst los: „Kaum bin ich paar Tage weg, schon gibt es eine Vermisste.“

      Ihr Chef schaute von seinen Papieren auf und meinte ruhig: „Da sind Sie ja. Prima, dass Sie so schnell kommen konnten. Tut mir leid, dass Sie Ihren Urlaub unterbrechen mussten. Kann auch sein, dass sich alles schnell klärt. Aber Sie wissen ja wie es in der Urlaubszeit bei uns aussieht. Seit Tagen sind zwei krank, na ja und Urlaubszeit ist auch noch.“

      Lisa setzte sich und hörte ihrem Chef voller Erwartung zu. „Erst einmal ein paar Eckdaten. Gesucht wird Sarah Niemann.“

      Kaum hatte ihr Chef den Namen ausgesprochen, zuckte sie zusammen.

      „Sind Sie sich sicher, Sarah Niemann?“, fragte Lisa ungläubig.

      Sie kannte eine Sarah Niemann. Ziemlich gut sogar. Aber, nein, das war bestimmt nicht ihre Sarah. Der Name von der Person am Strand fiel ihr wieder ein. „Das muss ein Irrtum sein. Ich hatte heute am Strand eine Tasche gefunden, deren Besitzerin Sofie Timm heißt. Ihre Tasche lag den ganzen Vormittag unbeaufsichtigt rum, sodass ich den Namen in Erfahrung bringen wollte, um für den Fall, dass sie vermisst wäre, einen Anhaltspunkt zu haben.“

      „Ich kann Sie beruhigen, eine Frau mit diesem Namen wurde bei uns nicht registriert, aber gut, dass Sie so umsichtig waren.“

      Lisa begann fast zu stottern, als es endlich aus ihr rausbrach: „Aber eine Sarah Niemann kenne ich auch, seit frühester Kindheit sogar. Wir sind in Lütten Klein zur Schule gegangen und …“ Sie konnte auf einmal nichts weiter über ihre Freundin sagen, weil sich ihre Gedanken überschlugen. Nach einer kurzen Pause konnte sie erst wieder weitersprechen: „Aber das liegt viele Jahre zurück.“

      „Was wissen Sie von Frau Niemann?“ Ihr Chef schien erfreut darüber zu sein, dass er womöglich ein paar konkrete Details von seiner Kollegin erfahren würde.

      „Vor längerer Zeit holten wir gemeinsam an der Abendschule das Abitur nach. Während dieser Zeit pflegten wir auch engeren Kontakt, ich würde sogar Freundschaft dazu sagen. Die vermisste Frau, das wird nicht meine Freundin sein. Gibt es von der Vermissten ein Foto?“

      „Das kann jede Minute hier eintreffen, genauso die genaue Beschreibung. Um ehrlich zu sein, was wir bisher wissen, ist ziemlich mau.“ Der Chef verheimlichte seiner Kollegin, dass er längst wusste, dass es nur eine Sarah Niemann in Rostock und Umgebung gab. Mit dieser Nachricht wollte er warten, bis er hundert Prozent sicher war. Und erst recht, seit er wusste, dass die beiden Frauen sich kannten. Indessen ratterte im Hintergrund das Geräusch eines Faxgerätes. Lisa blieb mit einer vagen Vorahnung am Schreibtisch sitzen. Unzählige Bilder liefen vor ihren Augen ab. Sie spürte sofort, dass die gesuchte Frau „ihre Sarah“ sein musste. Der Chef wusste mehr. Sie kannte ihn lange genug und wusste, dass seine Zurückhaltung der Beweis für ihre These war.

      Unsicher begann sie erst langsam, dann immer intensiver und wie aufgezogen von Sarah zu sprechen: „Ich weiß nicht genau, wann ich sie das letzte Mal gesehen habe. Jedenfalls heiratete sie vor zehn Jahren aus heiterem Himmel einen arroganten Fatzke. So einen Schlaumeier von der Zeitung. Den Mann konnte ich nicht ausstehen. Aber das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Ich erinnere mich, wie dieser Mann Sarah stets hinterher spionierte. Wenn wir mal verabredet waren, dauerte es nicht lange und er war ebenfalls in der Nähe. Dabei sahen wir uns seit sie geheiratet hatte selten genug. Ständig setzte dieser Mann meine Freundin unter Druck. Der Höhepunkt aber war, dass er verlangte, sie solle unsere Freundschaft aufgeben. Er meinte tatsächlich, dass ich sie negativ beeinflusste. Dabei wollte er lediglich, dass sie keine weiteren Kontakte, außer zu ihm haben sollte. Er war besitzergreifend und wollte praktisch Macht über sie ausüben. Für mich wäre das kein Leben gewesen. Natürlich versuchte ich ihr die Augen zu öffnen. Aber versuchen Sie mal einer Gehörlosen einen Donnerschlag zu erklären. Sie hielt trotz gröbster Gemeinheiten immer an ihm fest. Am Anfang beschwerte sich Sarah zwar über die Gängelei ihres Mannes. Bald aber verdrängte sie mehr und mehr, hielt einfach still. Wir trafen uns immer seltener. Irgendwann blieb unsere Freundschaft auf der Strecke. Mein Job hielt mich auch in Schach und unsere Treffen wurden weniger, bis sie ganz ausblieben.“ Lisa machte eine Pause, als müsste sie nachdenken, dann sprach sie weiter: „Es ist noch nicht allzu lange her, als wir uns zufällig in Karls Erlebnis-Dorf in Rövershagen trafen. Sie wirkte unzufrieden und sah sehr schlecht aus. Zudem wirkte sie um Jahre gealtert. Dabei hatte ich das Gefühl, dass die Beziehung nicht nur seelische Narben hinterlassen hatte. Ich merkte zwar, dass sie sich öffnen wollte, doch wir waren uns inzwischen fremd geworden.“

      „Kam es zwischen Ihnen noch zu einem weiteren Treffen?“

      „Nein, die gab es nicht mehr und jetzt ist es womöglich dafür zu spät?“

      Lisa merkte beim Erzählen, dass sie von der alten Freundin eigentlich nicht sehr viel wusste. „Vor einem knappen Jahr sah ich Sarah zufällig in Rostock, ich hätte sie fast nicht wiedererkannt, so drastisch hatte sie sich auch äußerlich verändert. Sie war nicht mehr die gepflegte Frau, die ich kannte. Zu einem Gespräch zwischen uns kam es auch nicht.“ Lisa sackte in sich zusammen und schwieg. Sie schaute ihren Chef an und sprach mit kehliger Stimme: „Wenn das wirklich meine Sarah sein sollte, wird sie gefunden. Bestimmt! Das muss ein Irrtum sein.“

      Inzwischen habe ich den letzten Teil der Arbeit begonnen, ich weiß, das wird schwierig. Lange hatte ich mir den Kopf zerbrochen, damit das Ende gut wird. Es soll ein würdiger Höhepunkt werden.

      Früher warst du oft wütend auf mich, ich konnte dir nie was recht machen. Wenn du mich jetzt sehen würdest. Du könntest nicht glauben, wer vor dir steht.

      Jeden Tag arbeite ich bis ich todmüde bin, erst dann kann ich einschlafen ohne zu grübeln. So wie du früher. Das habe ich wohl auch von dir. Nie aufzugeben, du hast mich oft genug ermahnt. Ich frage mich, warum du unser Ziel verraten und unsere gemeinsame Arbeit einfach aufgegeben hast? Hast du dabei mal an mich gedacht? Oder soll das etwa eine Prüfung sein? Testest du mich etwa, ob ich ohne dich standhaft bleibe?

      In der vergangenen Woche wäre fast alles vorbei gewesen, denn beinah hätte man unser Verlies entdeckt. Doch ich bin geschickt und davongekommen. Wie gut, dass die Nachbarn nicht ahnen, was in ihrer Nähe geschieht. Sie haben nicht die geringste Vorstellung. Sie kümmern sich nicht um mich und ich mich nicht um sie. Du zeigtest mir früh schon, wie ich mich vor neugierigen Blicken der Leute unsichtbar machen kann. Das beherrsche ich perfekt. Heute liefen viele fremde Personen in der Gegend herum. Das hat mich nervös gemacht. Fast wäre es verhängnisvoll verlaufen. Meine Brille hatte ich im Dickicht vor dem Verlies verloren. Die hätte mich verraten. So eine Nachlässigkeit darf mir nie mehr passieren. Ich muss mehr aufpassen. Bei dem Großeinsatz der Bullen in der gesamten Gegend konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Unvorstellbar, wenn die mich überrascht hätten? Alles wäre verloren.

      Rostock, Kriminalkommissariat

      Hauptkommissar Heilmeyer leitete seit den 90er Jahren das Rostocker Kriminalkommissariat. Er war für die speziellen, nicht alltäglichen Straftaten in Rostock und Umgebung zuständig. In den zurückliegenden Jahren hatte er sich einen guten Ruf erarbeitet und war weit über Mecklenburgs Ländergrenzen hinaus bekannt. Die kniffligsten Fälle konnten er und seine Leute lösen und ihre Aufklärungsquoten gehörten zu den höchsten in der gesamten Region.

      An diesem Morgen stand Peter Heilmeyer unter Volldampf. Seine lässige braune Lederjacke, die als sein typisches Markenzeichen überall bekannt war, hing heute schlapp an ihm herunter. Und der dunkle Vollbart könnte mal wieder eine Rasur vertragen. Daran war für den Chef der Kripo im Moment gar nicht zu denken. Vor zwei Tagen gab ein Journalist eine Vermisstenanzeige auf, seitdem hält der Mann alle Polizeidienststellen mit seinen ständigen Anrufen in Schach. Gestern erst landete die Vermisstenanzeige bei ihm auf dem Tisch und damit auch seine nervigen Anrufe.

      Am Telefon versuchte der Journalist seine Leute erpresserisch unter Druck zu setzen: „Ich habe als leitender Redakteur so meine Möglichkeiten. Mit ein paar Infos über ihre Arbeit könnte ich für Unruhe sorgen.“ Oder aber: „… wenn ich merke, dass sich nichts dreht, lasse ich meine Beziehungen spielen.“ Mit solchen Sätzen nervte der Mann zwar, doch ließ sich die Kripo nicht in die Karten gucken. Heilmeyers