Das Böse ruht nie. Marion Petznick. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Petznick
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946734369
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bloß auf! Wenn ein kranker Typ sich brutal im Wald zu schaffen macht, kann niemand was dafür. Wenn Gras über diese Geschichte gewachsen und der Täter gefasst ist, kommen auch wir wieder her.“

      „Garantiert nicht so schnell, wie du dir das vorstellst. Damit du gleich Bescheid weißt; Deinen RuheForst zu beehren, das ist mir erst einmal gehörig vergangen.“

      „Wer weiß? Bis dahin bleibt ja noch Zeit. Lass uns später darüber reden. Jetzt sollten wir erst einmal nach Hause fahren und dieses schlimme Erlebnis verdauen.“

      Thea ging gedanklich noch einmal zurück zum gestrigen Abend. Als sie sich spontan für diesen Ausflug entschieden hatte, da fühlte sich alles noch so gut an. Ihr lang gehegter Wunsch sollte endlich in die Tat umgesetzt werden. Sie wollte den RuheForst kennenlernen. Der Wetterbericht versprach erneut gutes Wetter, da wollte sie nicht länger warten. Ihr Mann kam abends mit ausgesprochen guter Laune von der Arbeit nach Hause und sie spürte den günstigen Moment für ihren Plan. Ihr Instinkt täuschte sie selten. Die gute Stimmung ihres Mannes ließ sich mit einem Glas seines Lieblings-Chiantis toppen. Zu ihrem Erstaunen willigte Michael leicht beschwipst wirklich gleich ein, ohne seine langatmigen Ausreden. Und dann kam alles ganz anders.

      Rostocker Heide

      Heilmeyer und seine Leute waren auf demselben Weg wie kurz zuvor das Ehepaar, allerdings ging es mit dem Auto deutlich flotter. „Erstaunlich, dass der Mann trotz seines wirren Eindrucks den Weg so gut beschreiben konnte. Ab Holzschild geradeaus fahren, sagte er oder? Nicht nach rechts.“ Olli redete nervös auf Jens ein.

      Der auf beiden Seiten des Weges hochwachsende Farn ließ kaum eine Sicht in den Wald zu. „Hast du den beiden nicht richtig zugehört? Bis zur Schneise, dann an der nächsten Gabelung nach rechts“, korrigierte Jens bereits zum zweiten Mal seinen Kollegen.

      Heilmeyer war längst in das allseits bekannte Schweigen gefallen. Das schien seine spezielle Art zu sein, mit schwierigen Situationen umzugehen. Packte ihn eine Vorahnung, musste er mit seinen Gedanken allein bleiben. Er zog sich tief ins Innerste zurück, bis er endlich das aussprach, was ihm logisch erschien. Auch dieses Mal schien er sicher zu sein. Nach einigen Minuten meldete er sich endlich zu Wort: „Dieser Mord wird einen verdammt langen Atem von uns brauchen. Die Beschreibung hörte sich jedenfalls mysteriös an. Erstaunlich, dass die Eheleute sich durch den dichten Farn gewühlt haben. Durch den hohen Farn fühlte sich der Täter garantiert sicher, nicht entdeckt zu werden. Ein ausgeklügeltes Versteck, in dem niemand die Frau schnell finden sollte. Normalerweise bleiben Spaziergänger meist auf ausgewiesenen Wegen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Eheleute nicht zu viel Spuren hinterlassen haben.“

      Peter Heilmeyer dachte an die Sisyphusarbeit, die ihnen bevorstand. Er wusste, dass er sich auf seine Mitarbeiter verlassen konnte. Alle im Team arbeiteten genauso präzise und pingelig wie er selbst. Eigenschaften, die Heilmeyer voraussetzte. Die meisten ihrer Fälle aus den letzten Jahren waren unberechenbarer geworden und erforderten von allen die höchste Disziplin. Die Maschen junger, krimineller Banden nahmen ständig zu. Sie kamen vor allem aus dem osteuropäischem Raum. Kaum hatten sie eine Straftat durchschaut, gab es neue Tricks. Dabei schnappten sie meist nur kleine Lichter aus der Fraktion Mitläufer. Die festgenommenen Täter wurden sofort nach der Festnahme von anderen ersetzt. Die Drahtzieher selbst blieben im Hintergrund und waren in kürzester Zeit wieder aktiv. Selten genug, meist nur durch Zufall, wurden sie entlarvt. Für Heilmeyer und sein Team wurden die Aufklärungen komplizierter, weil die Verbrecher abgebrühter wurden und kein Unrechtsbewusstsein mehr kannten. Den Sitz der Banden vermutete man meist in der Karibik, Libyen, Rumänien oder in anderen osteuropäischen Ländern. Selbst in ländlichen Gebieten nahm die Cyberkriminalität extrem zu. Der sogenannte Enkeltrick klappte im Norden immer noch, obwohl in den Medien regelmäßig davor gewarnt wurde. Anrufer gaben sich als nahe Verwandte von älteren Personen aus. Nach dem Anruf kam prompt die Bitte um Geld. Sie schickten allerdings einen Vertreter, der die alten Leutchen um größere Geldsummen erleichterten. Hinzu kamen Ausschreitungen und Überfälle im Zusammenhang mit Asylbewerbern. Das waren zwar Arbeiten, die nicht zu seinem Ressort gehörten, aber wenn Not am Mann war, halfen sie da auch schon mal mit.

      Der Hauptkommissar wusste aus seiner langen Erfahrung, dass diese Geschichte im Wald etwas anderes, nichts Alltägliches bedeutete. Das hatte auch nichts mit dem zu tun, womit sie sich in letzter Zeit rumzuschlagen hatten. Der Tod eines Menschen gehörte in eine ganz andere Liga. Seine Anspannung merkten ihm seine Mitarbeiter nun auch deutlich an. Wie immer, wenn es um die Suche nach Vermissten ging. Die Fahndung warf mehr Fragen als Antworten auf. Nach außen wirkte der Chef dennoch cool. Meist, so auch jetzt, blieb er in der Lage, seine Gefühle bestmöglich zu verbergen. Sein Vollbart kam ihm dabei zur Hilfe und nur seine blassblauen Augen verrieten ihn. Seit er vor zwei Jahren geschieden wurde, hatte nur noch sein Job oberste Priorität. Die vielen Überstunden waren der Grund für die Trennung von seiner Frau, trotzdem machte er genauso weiter. Der Job war das Einzige, das ihm geblieben ist.

      Jens stoppte plötzlich den Wagen. Sie waren da. Der vom Ehepaar beschriebene Fundort passte genau zu dem, was sie sahen. Eine kleine Schneise wies den Weg zwischen etwa zwei Meter hohem Farn. Von hier aus war es schwierig mit dem Auto weiterzufahren.

      Sie ließen mich damals schon nicht los, die Dämonen von früher. Ich versuchte sie zu verdrängen, aber in all den Jahren ist mir das nie geglückt. Im Gegenteil, die fiesen Gesichter sind inzwischen selbst ein Teil von mir geworden. Auch wenn sie sich ständig verändern. Beim ersten Mal bekam ich einen heftigen Druck im Kopf und starke Schmerzen setzten ein. Anschließend erschienen diese fratzenhaften Gesichter, ohne Ankündigung machten sie sich vor meinen Augen breit. Es sind so viele. Dazwischen immer Bilder aus meiner Kindheit. Meine Vergangenheit werde ich nie mehr loswerden. Vergessen, wie sollte ich? Das ist der Teil von dir, das Böse.

      Seit einiger Zeit sind sie wieder da, die grausamen Bilder von damals, ganz nah schleichen sie sich an mich heran. Wie ein Geschwür, das wächst und sich vermehrt. Ich habe Angst, dass ich daran ersticke. Meine Erinnerungen lassen sich nicht einfach verdrängen. Einfach vergessen? Nein, die Erinnerung an diese Zeit wird bleiben, nicht einmal verblassen wird sie. Das ist deine dunkle Seite Vater, die in mir fortlebt.

      Ich weiß, dass du mein Leben zerstört hast. Damals war ich naiv, hatte gar nichts verstanden. Je öfter ich daran zurückdenke, desto deutlicher begreife ich, was du mir angetan hast, ich fühle mich so elend dabei. Deine widerlichen Intimitäten, dein Streicheln. Gern würde ich die Erinnerung an deine Berührungen und deine Worte aus dem Gedächtnis reißen. Aber der Film läuft wieder und wieder vor meinen Augen ab. Bilder mit monsterartigen Wesen. Sogar mein Gesicht schwillt an und verschwimmt zu einer dieser Masken. Eine Maske, vor der ich mich selbst fürchte. Schreckliche Gestalten erscheinen, wenn ich die Augen geschlossen halte. Unter den furchteinlösenden Gestalten bist immer auch du. Du zerrst mich aus meinem Bett. Du tust mir weh. Ich weiß nicht mehr, bist du es oder ein anderer. Eine dürre Gestalt mit verzerrter Visage greift nach mir.

      Immer derselbe Alptraum! Immer wieder dieser Alptraum. Danach wälze ich mich von einer auf die andere Seite und finde keinen Schlaf.

      Salzige Tränen laufen über mein Gesicht, ich kann nicht mehr aufhören zu weinen. Ein Traum? Ich kann Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden. Zu oft sind sie da, selbst am Tag kommen sie. Was wollen sie mir sagen?

      Rostock, Polizeirevier – Am Hafen

      Lisa wartete voller Spannung darauf, endlich eine Antwort auf ihre Fragen zu erhalten. Ihr Chef im Polizeirevier am Hafen hielt sich noch immer bedeckt. Bis jetzt wusste sie noch nicht, ob die vermisste Frau tatsächlich ihre ehemalige Freundin ist. Offenbar verheimlichte der Chef ihr etwas, das konnte sie genau an seinen unruhigen Bewegungen erkennen. Immerhin kannten sie sich viele Jahre. In diesem Moment surrte erneut im Nebenraum ein Faxgerät. Wenig später reichte die Sekretärin ein Schreiben an den Chef rein. Der las sofort und Lisa entging nicht, dass sein Gesicht ernster wurde. Er wollte seine Kollegin nicht länger zappeln lassen und fasste die neuen Informationen kurz zusammen: „Hier steht es schwarz auf weiß, eben wurde eine Frau in der Rostocker Heide tot gefunden. Alles deutet darauf hin, dass Sarah Niemann die Tote ist. Damit stellen wir in unserer Dienststelle die Suche nach der Frau ein.“

      Lisa