„Falls Claudias Beschreibung zutrifft, könnte der Ruhewald für uns interessant werden. Zum Glück hast du dich von einer Seebestattung verabschiedet. Aufs Wasser schauen ist ja ganz okay, aber was von uns bleibt, sollte besser auf festem Grund bleiben.“
Michaels Lust über Hans und Claudia zu sprechen, hatte sich endgültig erledigt. Seine Miene sprach Bände. Das entging Thea natürlich nicht. Sie atmete tief durch Mund und Nase, um die Luft völlig übertrieben herauszustoßen.
„Du atmest viel zu flach. Riech mal bewusst die satte Waldluft. Einfach phantastisch. Überhaupt Wald passt zu uns.“
Michael kannte Theas Monologe zur Genüge. Inzwischen hatte er gelernt, halb zuzuhören und zugleich den eigenen Gedanken nachzuhängen. An diesem Tag schien sie besonders aufgedreht zu sein.
„Zurück zur Natur, das war’s, was wir wollten. Die Nähe von Wald und Meer genießen. Erinnerst du dich an meinen Lieblingsspruch? Wer Meer hat braucht weniger. Ich kann mir meine letzte Ruhestätte im Wald gut vorstellen. Perfekte Idylle, und die Ostseeküste ganz nah.“
Die gestrige Arbeit kreiste längst durch seinen Kopf.
Und etwas später ertönte schon wieder seine gereizte Stimme: „Bei deinen Plänen im Wald habe ich nur einen Wunsch. Achte bei der Wahl eines Baumes im Ruhewald bitte darauf, dass der Baum weit von den beiden entfernt steht. Sonst könnte es mit der Ruhe schnell vorbei sein. Und vom Lauschen des säuselnden Windes ganz zu schweigen.“ Kaum war sein letztes Wort gesagt, machte sich ein dickes Grienen in seinem Gesicht breit.
Das allerdings blieb von Thea unbemerkt. „Was hast du? Ich mag Claudia. Überhaupt, ohne die beiden hätten wir den Ausflug wieder und wieder verschoben. Irgendwann wäre es zu spät. Außerdem schließt sich im Wald der Kreislauf des Lebens. Wir kommen zur Natur zurück, dort wo wir hergekommen sind. Ein wunderbarer Gedanke.“
Auf Außenstehende machte die spezielle Art ihrer Unterhaltung meist den Eindruck eines Streitgesprächs. Für sie war es hingegen völlig normal, solche Gespräche zu führen, das war wie an jedem x-beliebigen Tag.
Plötzlich zog der Hund stark an der Leine und Michael musste all seine Kraft aufwenden, um den ungestümen Hund zu bändigen. „Was hat der denn auf einmal“, murrte er entsetzt.
„Arko ist eben ein echter Jack Russell, der weiß, dass er im Wald aufzupassen hat“, rief Thea ihrem Mann zu.
Sie und Michael mussten sich ranhalten, um mit dem Hund Schritt zu halten.
„Bei seinem Tempo sind wir wahrscheinlich in wenigen Minuten total erschöpft und den RuheForst können wir vergessen.“ Thea schnaufte hörbar, kaum, dass sie die Worte herausgebracht hatte. Die Hektik stand ihr mit der stark einsetzenden Röte förmlich ins Gesicht geschrieben.
Michael konnte die Leine von Arko nicht mehr festhalten. Plötzlich rannte der wie vom Blitz getroffen samt Leine quer durch den Wald. Er entfernte sich in einem derart rasanten Tempo vom eigentlichen Weg, dass beide dem Hund nur noch verwirrt hinterher schauen konnten. Sie riefen laut Arko hinterher. Keine Reaktion.
„Was soll das denn bedeuten? So was hat er sich noch nie geleistet. Macht sich einfach aus dem Staub.“ Thea bemühte sich den Hund nicht aus den Augen zu verlieren.
„Ich glaube, er ist in diese Richtung“, meinte Michael und zeigte nach links zu einer Stelle, die noch tiefer in den Wald hineinführte.
Thea blieb ratlos stehen. „Was hat Arko bloß?“, fragte sie irritiert. „Er kennt sich gar nicht hier aus und rennt los, als ob er ein Ziel hätte.“
Die gesamte Gegend war mit meterhohem Farn überwuchert und sofort fehlte vom Hund jede Sicht. Um wenigstens die Richtung im Auge zu behalten, mussten sich die beiden ranhalten. Michael schien etwas zu hören: „Psst, sei still, hörst du das, da drüben? Das jämmerliche Jaulen?“
„Hoffentlich ist er in keine Tierfalle getappt?“, schlussfolgerte Thea.
„Ach was, nicht unser Arko!“, widersprach Michael. „Irgendwas ist jedenfalls passiert! Er rennt doch nicht ohne Grund einfach weg?“ Michael war sich jetzt ganz sicher, dass sein Hund etwas entdeckt hatte und setzte noch eins drauf. „Auf mein Wort hört er jedenfalls, weil ich ihn nicht so verwöhne wie du.“
„Das ist ja jetzt ganz klar zu erkennen“, giftete Thea ironisch zurück.
„Bleib mal ganz ruhig! Sieh da vorn, er kommt zurück.“
„Sieht aus, als wäre alles ok. Auf den ersten Blick jedenfalls.“
Außer Atem rannte der Hund direkt seinem Herrchen entgegen. Energisch stieß er mit seiner Schnauze immer wieder an dessen Hosenbein, jaulte dabei und lief unruhig hin und her.
„Nee, da stimmt etwas nicht. Er muss was entdeckt haben, das er uns zeigen will“, meinte Michael nun auch unruhig geworden. „Komm, lass uns gleich nachsehen! Ich finde sein Verhalten jedenfalls sehr merkwürdig.“
Thea würde am liebsten kehrtmachen. „Willst du dich wirklich durch den dichten Farn quälen? Was soll da schon sein? Nur Zecken, nichts weiter“, maulte sie weiter.
So wie meist, wenn es nicht nach ihrem Kopf ging, wurde sie schnell lustlos und launisch. Ihr Mann ließ sich nicht abhalten. Seine Neugier war geweckt und er nahm denselben Weg wie vorhin der Hund. Nicht ohne Mühe kämpfte er sich durch den dichten Farn und kam nur langsam voran. Arko rannte voraus, so als wollte er ihm den Weg weisen.
Hinter sich hörte er nur noch seine Frau rufen: „Wahrscheinlich findest du bloß das Versteck von Kindern.“
Oder die Reste eines toten Tieres, dachte Michael gerade noch, als der Hund erneut zu jaulen begann. Arko blieb wie erstarrt stehen, genauso Michael. Er konnte nicht glauben, was er vor sich sah. Ein eisiger Schauer erfasste sofort seinen gesamten Körper und ihm wurde augenblicklich kalt. Ein Grab mitten im Wald? Stumm blieb er stehen und suchte verzweifelt nach Worten: „Thea … Komm …! Da … ist … Das kann nicht … nicht … wahr sein …!“
Thea merkte sofort, dass etwas passiert sein musste und beeilte sich schnell bei ihrem Mann zu sein. Der Mund blieb ihr offen stehen, als sie sah, was Michael längst gesehen hatte. Zuerst schaute sie auf ihren Mann, dann mit langem Blick auf den ungewöhnlichen Fund. Ringsherum lag wüst herausgerissener Farn, der die Sicht auf die gesamte Fläche freigab. In der Mitte war ein Hügel angeschüttet worden, der den Eindruck einer Grabstelle vermittelte. Eine rechteckige Fläche in der Länge von etwa zwei Meter wurde geschaffen und alles ringsherum mit Farn bedeckt.
„Eine Frau? Ja …! Klar“, beantwortete sie sich selbst die Frage. „Schläft sie“, flüstert Thea leise ihrem Mann zu.
Michael traute sich etwas näher an die Grabstelle heran und sah in das Gesicht der Frau. Er konnte keinerlei Atembewegungen darin erkennen, stattdessen sah er ein blasses, lebloses Gesicht vor sich. Mehr brauchte er gar nicht sehen.
Thea konnte nicht anders, sie musste was sagen. Vor lauter Aufregung purzelten ihr jetzt im Gegensatz zu ihrem Mann andauernd die Worte nur so heraus. „Ein Grab mitten im Wald. Die geschlossenen Augen? Irgendwie sieht das hier fast liebevoll hergerichtet aus.“
„Unsinn!“ Michaels Ton wurde barsch. Er wollte nur noch diesen Schreckensort verlassen. Seine Frau sprach weiter als stünde sie unter Schock: „Und die weiße Calla? Könnte ja ein Symbol sein, aber für was?“ Diese Frage richtete sie mehr an sich selbst als an ihren Mann.
„Die Frau … Der Platz … Die Blume …? Sehr seltsam. Wie sie hingelegt wurde? Die reinste Inszenierung. Das ist blanker Wahnsinn.“ Theas Worte klangen inzwischen mehr verzerrt.
„So was …, das … macht doch kein normaler Mensch!“ Auch Michael brachte seine Worte jetzt nur noch bruchstückweise heraus. „Wie brutal muss jemand sein, erst eine Frau zu töten und sie dann so zu präsentieren! Aber vielleicht waren das mehrere durchgeknallte Typen?“
Wie erstarrt blieben beide eine gefühlte