Eberhart winkte ab. »Geh du nur, ich will noch mal die Papiere durchgehen.«
Aurelia warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Du weißt, das ganze Lesen macht dich noch krank.« Ihre Hand klatschte ihm auf den Hinterkopf. »Du musst das Leben genießen, Eberhart! Komm, ich stell dich dem knackigen Schmiedelehrling vor. Der denkt immer noch, dass er auf Frauen steht!«
Er grinste schief. »Du hast ja recht. Aber kein Verkuppeln, das endet jedes Mal katastrophal!«
Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg in die Sündergasse. Die Sonne ging hinter ihnen auf, aber es würde noch dauern, bis ihre Strahlen die Tiefen der Gasse erreichten. Sie planten, bis dahin wahrhaft betrunken zu sein.
Der Matrose trat derweil auf das Hafendock und ließ das Schmuckstück in der Sonne glitzern, um es noch einmal näher zu betrachten. Er bemerkte die Gestalt, die sich ihm näherte, erst, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. »Interessantes Stück habt ihr da, Matrose.«
Er wirbelte herum und hob zu einer forschen Erwiderung an, aber als er erkannte, wer da vor ihm stand, stockten ihm die Worte im Hals.
Die düstere Figur war an sich schon einschüchternd genug. Der Mann überragte den Seemann um eine gute Handbreite und war gebaut wie ein Grubenkämpfer. Eine tiefe Narbe zog sich über sein Gesicht und unterstrich den toten Blick der tiefgrauen Augen. Die schmalen Lippen waren zu einem ständig missbilligenden Ausdruck verzogen. Aber vor allem der schwarze Umhang, der hohe Hut und die Brosche mit dem Hammer am Hals sprachen eine deutliche Sprache für jeden Bürger des Imperiums. Der Matrose schluckte den Frosch im Hals herunter, räusperte sich und schaffte eine schwache Erwiderung.
»Wie kann ich der Inquisition helfen, mein Herr?«
Die schwarz behandschuhten Finger legten sich wieder auf seine Schulter. Die andere Hand deutete auf das Schmuckstück.
»Dürfte ich das kurz näher betrachten?«
»Ah, natürlich, aber ihr müsst verstehen, ich habe es nur gefunden. Ich war auf der Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer, um es ihm auszuhändigen.«
Die Finger des Inquisitors umschlossen die Kette und er inspizierte das Amulett für einen Moment. Dann schaute er den Matrosen nachdenklich an.
»Versucht das nochmal. Woher habt Ihr dieses Amulett?« Seine Stimme war leise, aber die Drohung unüberhörbar.
Der Matrose wand sich.
»Ich ... Da war dieser schmierige Typ, diese Frau hat ihn gefunden. Ihm geht es gut, er war nur ohnmächtig, und dann wollte sie ihn ausplündern, aber ich habe sie davon abgehalten und ihr das Amulett abgenommen. Sie ... Sie ist die Straße da lang, und wenn Ihr Euch sputet, könnt Ihr sie gewiss noch kriegen!« Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war.
»Und sie wollte dieses Amulett unbedingt haben?« Der Hexenjäger betrachtete wieder das Schmuckstück.
»Ja, sie hat gesagt, es wäre unglaublich viel wert. Es war ihr nicht klar, dass sie hier ein Siegel der Hanse niemals würde verkaufen können.« Er vermied den Augenkontakt mit dem Inquisitor.
»Wenn das ein echtes Wappen wäre, könnte das ein Problem sein. Eine billige Messingkopie wie diese hier dürft Ihr natürlich jederzeit für ein paar Pfennige verkaufen.«
»Was?« Ungläubig riss der Matrose das Amulett an sich. »Dieses miese, kleine Stück! Meinen gesamten Sold habe ich ihr gegeben. Dafür krieg ich sie am Arsch. Und dieser Fettsack gehörte bestimmt dazu! Sie haben mich abgezockt! Sie ...« Er verstummte, als der Griff an seiner Schulter schmerzhaft wurde.
»Wie sahen sie aus?« Die Stimme des Inquisitors war genauso leise wie zuvor. Er schien nicht im Geringsten angestrengt.
»Ihr könnt ihn nicht verfehlen – er ist eine fette, kleine Kröte und trägt so eine alberne, purpurne Kappe. Sie hat schwarzes, lockiges Haar und ...«, er formte die Umrisse einer Sanduhr mit den Händen. »Sie hat mich in den Drei Federn angequatscht, da kennt man sie bestimmt. Kommt, ich zeige Euch den Laden, und dann mischen wir die Schweine auf. Sie ...«
Seine Tirade endete in einem Stöhnen, als die Hand des Hexenjägers ihn in die Knie zwang. »Was ... Was habe ich denn getan?«
Der Inquisitor ließ das Amulett in seinem Mantel verschwinden und zog eine lange, schmale Klinge.
»Nichts, mein Freund. Du darfst nur leider nichts hiervon weitererzählen.« Die Klinge drang unterhalb des Kiefers in den Schädel ein. Der Mann zuckte noch ein paarmal. Es floss überraschend wenig Blut. Der Hexenjäger säuberte die Klinge an der Uniform des Matrosen und ließ sie verschwinden.
Dann machte er sich auf den Weg die Sündergasse hinauf.
2. Kapitel
Die Sonne schien in das kleine Zimmer über dem Wirtshaus und schimmerte auf einem wilden Schopf dunkler Haare, die zerzaust über einem kastanienbraunen Gesicht lagen. Eine breite Nase blähte sich extrem undamenhaft auf, dann ertönte ein rasselndes Schnarchen, das in ein Schmatzen und Stöhnen überging. Volle Lippen verzogen sich über leicht schief stehenden Zähnen zu einer Grimasse, und eine schlanke, vernarbte Hand versuchte, die Sonnenstrahlen von den leicht mandelförmigen und resolut geschlossenen Augen fernzuhalten.
Begleitet von weiterem Stöhnen richtete Aurelia sich langsam auf. Ihr Haar fiel ins Gesicht, als sie den Kopf hängen ließ und sich langsam die Schläfen rieb. Beinahe unbewusst tastete sie unter dem Kissen nach ihrem Dolch, bevor sie sich aus dem Bett wand und mit ein paar Spritzern aus dem Waschbecken den Schlaf aus den Augen wischte. Sie blickte kurz auf die müde Erscheinung im Spiegel.
Hellbraune, beinahe goldene Augen standen etwas zu weit auseinander – aber dank ihres dunklen Teints sah man wenigstens die Augenringe nicht so stark wie bei blassen Frauen. Versonnen strich sie die Narbe entlang, die sich vom linken Schlüsselbein herunter bis zu ihrer Achselhöhle zog.
Im Bett regte sich etwas. Sie verzog kurz das Gesicht, dann tippte sie sich an die Schläfe und nickte ihrem Spiegelbild zu.
Mit schnellen, geübten Handgriffen durchsuchte sie die Kleidungsstücke, die um ihr Bett herum verteilt lagen. Einige Münzen und ein kunstvoll verzierter Dolch kamen beiseite, dann fand sie die gesuchten Papiere. Zufrieden lächelnd schlüpfte sie in Hose und Hemd, bevor sie das Fenster öffnete. Mit der Beute in der einen Hand und ihren Stiefeln in der anderen stieg sie leise auf den Fenstersims. Sie warf der Gestalt unter der Decke noch einen letzten Luftkuss zu, dann verschwand sie über die Dächer Kammerbads.
Es war keine riesige Metropole wie Galtdorf oder Notuln, aber es war ihre Stadt. Daran konnte die imperiale Besatzung nichts ändern. Hier, auf den Giebeln und Kaminen, gehörte Kammerbad noch den Abenteurern. Leichtfüßig setzte Aurelia auf die Schindeln des Nachbargebäudes über und hockte sich dort auf den First. Mit etwas Mühe zerrte sie ihre weichen Lederstiefel über die engen, schwarzen Leinenhosen, dann schnürte sie ihr Hemd etwas fester. Sie verstaute ihre gewohnten Messer, Haken, Stifte und Drähte sowie den neuen Dolch in verschiedenen Halftern und Schlingen. Dann sprang sie ein paar Mal auf und ab, um deren Sitz zu prüfen.
Schließlich bändigte Aurelia einen Teil ihrer Locken mit einem Lederband und bedeckte sie mit einem roten Tuch, um sie sich aus dem Gesicht zu halten. Dann ließ sie die Beine vom Dach baumeln und inspizierte die Papiere, die sie von ihrem Bettgefährten »geliehen« hatte. Sorgfältig studierte sie Termine und Frachtpapiere, während sie in der linken Hand ein Stilett durch ihre Finger tanzen ließ.
Ein leises »Ha!« entfuhr ihr, als sie das Gesuchte fand. Das Stilett tippte auf den gesuchten Namen.
»Gräfin del Mar, Ihr habt soeben einen Termin mit meinem guten Freund Eberhart gewonnen!«
Die Papiere verschwanden in Aurelias Hemd, dann stieß sie sich vom Dach