Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
Скачать книгу
begangen hatte, den Unterricht durch Knallerbsen zu stören. Im Jahre 1849 kam er auf das Gymnasium zum grauen Kloster, das damals von dem älteren Professor Bellermann geleitet wurde. Wie so viele, die später im praktischen Leben bedeutende Männer geworden sind, war Emil Rathenau kein Musterschüler, und den meisten Fächern, die auf dem humanistischen Gymnasium gelehrt wurden, vermochte er nicht viel Interesse abzugewinnen. Immerhin hielt er sich auf leidlichem Niveau. Die Selbstkritik seiner Leistungen auf dem Gymnasium hat er in die Worte zusammengefaßt: „An Begabung fehlte es mir weniger als an häuslichem Fleiß.“ Die interessanten und aufregenden Begebnisse politischer Art, die in die ersten Schuljahre Rathenaus fielen, lenkten naturgemäß seine und seiner Mitschüler Aufmerksamkeit von den Schuldingen ab, so sehr auch die Eltern und Lehrer die Jugend durch Vorhaltungen und Strafen ihrer Wirkungssphäre zu entrücken versuchten. Die Ereignisse des Jahres 1848 hat Rathenau meist auf der Straße miterlebt. Die ausführliche Schilderung, die er in seinen Aufzeichnungen von ihnen gibt, läßt erkennen, daß der Eindruck auf ihn und die damalige Schuljugend ein starker war, aber ebenso auch, daß dieser Eindruck ganz im Sensationellen, Straßenjungen-Romantischen wurzelte und ihm kaum eine Ahnung der politischen Hintergründe beigemischt war. „Es war eine lustige Zeit für die Jungen, da die neuerrungene Freiheit sich häufig auch auf den Schulunterricht erstreckte und Eltern und Lehrer im Ernst der Zeit den strengen Gehorsam nicht als das oberste Gesetz mehr zu betrachten schienen.“ — Einen ernsten und tiefen Eindruck machte wohl nur die Überführung der Märzgefallenen nach dem Friedrichshain. Hier traf die Wucht und Tragik der Ereignisse auch die Kinderseele. „Unvergeßlich“ nannte Rathenau diese Stunde.

      „Wir beobachteten das Schauspiel von den Fenstern eines kleinen Hauses am Schloßplatz, das jetzt dem Neubau des Marstalls zum Opfer gefallen ist; es gehörte der Firma Krüger & Peterson, deren Tabakgeschäft durch den Verkauf von Hyazinthenzwiebeln in Berlin bekannt geworden war. Der Schloßplatz, die Kurfürstenbrücke, König- und Burgstraße waren dicht gedrängt, alles schwarz; überall wehten Trauerfahnen von den Dächern und an Fenstern, und auf Balkonen standen Männer und Frauen in tiefer Trauer. Die nicht endenden Züge von offenen Särgen konnten sich nur mühsam und langsam durch die enge Menschengasse gen Osten bewegen. Auf den Balkonen des Schlosses und gegenüber standen entblößten Hauptes der König und sein Gefolge über der Stelle, von der die Kartätschen ihren Weg durch die Breitestraße zur d’Heureuseschen Konditorei genommen und manche Erinnerung an die blutigen Ereignisse in Straßenbrunnen und Häusern zurückgelassen hatten.“

      Mit dem Zeugnis für Unterprima verließ Rathenau schließlich das Gymnasium. Über seinen zukünftigen Beruf hatte er noch wenig nachgedacht. Technische Neigungen hatten sich wohl gelegentlich gemeldet, waren aber nicht so stark und bestimmend gewesen, daß die technische Laufbahn sozusagen im festen Plan eines zielbewußten Willens gelegen hätte. Die Entscheidung brachten vielmehr, wie so häufig im Leben, Familienbeziehungen. Rathenau wurde Maschinenbauer und lernte sein Handwerk von der Pike auf. „Da weder Terpsichore noch andere Musen an meiner Wiege gestanden,“ erzählt er launig, „reiste ich auch ohne ihr Geleit in die Lehre nach Schlesien.“ Dort besaßen seine reichen Verwandten, die Liebermanns, industrielle Betriebe, die für die damalige Zeit als sehr respektabel gelten konnten. Die Wilhelmshütte, bei Sprottau, ein Eisenwerk mit Maschinenbauanstalt, das seine Entstehung wie viele der damals noch karg gesäten industriellen Unternehmungen des preußischen Landes Friedrich dem Großen verdankte, später in Privatbesitz übergegangen war, aber erst in den Händen von Rathenaus Großvater mütterlicherseits, Liebermann und dessen Söhnen sich schnell einen gewissen industriellen Ruf erworben hatte, diente Rathenau als Lehrstelle. Die Lehre war wie die väterliche Erziehung zu Hause streng, und das verwandtschaftliche Verhältnis zu den Inhabern der Fabrik schaffte dem jungen Maschinenbauer in der Arbeit keine Erleichterung. „Proletarier in blauer Bluse und mit zerschundenen Händen“ nannte er sich, als er in späteren Jahren auf diesen Abschnitt seines Lebens zurückblickte. Das Herrensöhnchen durfte er — zu seinem eigenen Besten — nicht spielen und der tüchtige Mestern, der den technischen Betrieb ziemlich selbständig leitete, behandelte ihn wie jeden beliebigen anderen Praktikanten auch. Der junge Rathenau, der doch immerhin die Primareife besaß, niemals gering von sich dachte und sich wohl damals schon zu Höherem berufen fühlte, mag manchmal unter dem Joch geknirscht haben, und sich etwas inferior vorgekommen sein, zumal wenn er den nicht nur äußerlich feinkultivierten Haushalt seiner Verwandten als Kontrast zu seiner damaligen Lage betrachtete. Erblickte der Lehrling im Arbeitskittel seine „vornehmen“ Kusinen von ferne, so wich er einer Begegnung lieber aus und drückte sich, wenn es ging, um eine naheliegende Ecke, tief beschämt, wenn er inne ward, daß sie ihn doch gesehen und sich an seiner Verlegenheit geweidet hatten. — Volle 4½ Jahre mußte er aushalten und er hielt aus. Von seiner Lehrzeit hat Rathenau die folgende Schilderung gegeben:

      „Das Werk hatte mein Großvater, ein hervorragender Industrieller unserer Stadt, mit seinen Söhnen eben erworben. Es lag in hübscher Gegend am Bober, besaß schöne Wohnhäuser und einen großen Park, und prächtige Wälder in der näheren und weiteren Umgebung machten den Aufenthalt angenehm.

      Der Reichtum an Holzbeständen und Wiesenerzen, die die Verhüttung lohnten, Wasserkräfte von mäßiger Stärke und sehr billige Arbeitslöhne hatten im niederschlesischen Revier zur Errichtung von Hochöfen und Walzwerken Anlaß gegeben, und namentlich erstere versorgten fast die ganze Monarchie mit einfachem Guß und Poterien, die roh oder mit einer schönen weißen Emaille auf den Markt kamen. In den Gießhütten stellte sich bald das Bedürfnis nach Kupolöfen ein, um die Hallen und Arbeitskräfte durch Herstellung von Maschinen- und Bauguß besser zu verwerten. Die Wilhelmshütte hatte einen Hochofen von mäßigen Dimensionen, dessen Gase ungenutzt in die Luft stiegen und die Gegend mit hellen Flammen erleuchteten. Das Kolbengebläse wurde durch ein mittelschlächtiges Wasserrad angetrieben, wie es Scharwerker jener Zeit herstellten; bei der Konstruktion hatte man offenbar mehr auf billige und solide Herstellung als auf hohen Nutzeffekt Wert gelegt. Die Maschinenfabrik baute landwirtschaftliche Maschinen, meist nach englischem Muster, Pumpen, Wasserstationen, Weichen, Radsätze für Eisenbahnwagen, Apparate für Gasanstalten, Einrichtungen für Brennereien und Mühlen jeder Art, daneben wurde all und jedes, was das Publikum verlangte, auch wenn es in sehr losem Zusammenhang mit dem Maschinenbau stand, hergestellt, zum Beispiel eiserne Bettstellen, Turmuhren und dergleichen. Diese Vielseitigkeit wurde eingeschränkt, als bald nach meinem Antritt A. Mestern die Leitung des Werkes übernahm. Dieser begabte Techniker hatte sein gemeinsam mit Tischbein in Magdeburg betriebenes Zivil-Ingenieur-Geschäft aufgegeben und war auf Fr. Walz’ Empfehlung als Sozius in die Firma getreten. Er war ein reiner Empiriker und hatte meines Wissens weder im praktischen Betriebe noch auf Hochschulen Erfahrungen gesammelt, aber sein feines Auge und Gefühl, sein Verständnis der kinematischen Vorgänge, sein Talent in der Formgebung und Abmessung aller Konstruktionen ersetzten diesen Mangel an Ausbildung. Mestern kannte die Dampfmaschine in ihrer damaligen primitiven Ausführung, und wenn er nach einfachen Formeln, wie sie in England gebräuchlich zu sein schienen, die Hauptabmessungen festgestellt hatte, konstruierte er vertikale oder Balanzier-Maschinen mit gotischem Gestell oder auf blanken Säulen gelagerter Schwungradwelle. Viel Fleiß verwendete er auf Ausgestaltung der Formen im Geschmack seiner Zeit, auf tadellose Bearbeitung von unzähligen blanken Pfeilern; das Publikum der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts liebte und bezahlte solche Erzeugnisse, legte aber wenig Wert auf die ökonomische Wirkung, die es weder zu beurteilen noch zu messen verstand. Obwohl Sachverständige die Bedeutung der Expansion des Dampfes zu schätzen wußten, begnügten viele Konstrukteure sich mit der unvollkommenen Wirkung nicht entlasteter Schieber und Drosselklappen, und die Kunst im Bau dieser langsam laufenden Maschinen bestand zumeist in der Bearbeitung der Einzelteile mit nichts weniger als vollendeten Werkzeugen. Die schwachen Hobelmaschinen vibrierten schon bei winzigen Spänen, und da genaue Flächen einer gründlichen Nacharbeit in jedem Falle bedurften, begann man häufig sogleich mit der Handarbeit, um die Zeit des Aufspannens zu ersparen.

      Eine neue Ära des Maschinenbaues begann mit der Corliß-Dampfmaschine nach amerikanischen Mustern. Ihr vorangegangen war eine Periode des Maschinenbaues mit U-förmiger Grundplatte, deren Dampfzylinder und Geradführung an dieser seitlich befestigt waren; das Schwungradlager mit mehrteiliger Büchse lag so in derselben, daß die Kurbel gegen die gedrehte Fläche lief; der hohle Raum der Grundplatte war mit einem Holzdeckel geschlossen und diente als Schrank für Werkzeuge; auf der Grundplatte