Der Skeptizismus setzt dort ein, wo wir uns selbst als Teil der Welt verstehen, über die wir Erkenntnis beanspruchen. Wir stellen fest, daß bestimmte Formen der Evidenz uns überzeugen, und wir durchaus bereit sind, Rechtfertigungen unserer Überzeugungen einmal zu einem Ende kommen zu lassen. Und zugleich stellen wir fest, daß wir eine ganze Menge zu wissen glauben, wiewohl wir nicht wissen – ja noch nicht einmal Gründe mitbringen für unsere Überzeugung –, daß viele der skeptischen Möglichkeiten unverwirklicht sind, die unsere Erkenntnisansprüche in ihrem Grundfesten erschüttern würden, wären sie hinter unserem Rücken am Ende doch verwirklicht.
Ich weiß zum Beispiel, daß ich auf ein Blatt Papier blicke, habe aber keine adäquaten Gründe für die Behauptung, ich sei sicher, daß ich nicht träume; falls ich aber träume, blicke ich jetzt nicht aufs Papier. In diesem Beispiel wird eine ganz alltägliche Vorstellung davon aufgeboten, wie Schein und Wirklichkeit auseinanderklaffen können, um zu zeigen, daß wir darauf vertrauen, unsere Welt sei zum überwiegenden Teil authentisch. Die Gewißheit, daß wir das alles nicht bloß träumen, läßt sich schlechterdings nicht anders als zirkulär rechtfertigen: mittels eben jener Erscheinung, die in Zweifel gezogen wird. Die Vermutung, ich könnte träumen, ist fraglos ziemlich weit hergeholt, doch dient sie auch nur zur Illustration. Sie zeigt, daß unsere Erkenntnisansprüche darauf beruhen, daß wir es nicht für nötig erachten, bestimmte damit unvereinbare Alternativen auszuschließen. Die Traumhypothese oder auch die Hypothese, wir würden die ganze Zeit nur halluzinieren, stehen für eine unendliche Vielzahl derartiger Möglichkeiten, von denen wir uns die meisten nicht einmal vorstellen können.1
Haben wir erst einmal den Schritt beiseite getan und sind wir damit zu einer abstrakten Sicht unseres gesamten Meinungs-, Indizien- und Rechtfertigungssystems gelangt, und haben wir dann festgestellt, daß dieses System trotz aller Ambitionen nur funktioniert, wenn es von vornherein der Authentizität unserer Welt weitgehend vertraut, so sind wir nicht in der Lage, all diese Erscheinungen mit einer anderen, alternativen Wirklichkeit zu konfrontieren. Wir können nicht aufhören, so zu reagieren und uns Antworten auf unsere Fragen zu bilden, wie wir es gewöhnlich tun, und selbst wenn wir es könnten, hätten wir nichts mehr in der Hand, womit sich eine Wirklichkeit, gleich welcher Art, erkennen ließe.
Dasselbe gilt im Bereich der praktischen Vernunft. Wir schlüpfen nicht etwa aus unserem Leben und erklimmen einen Aussichtspunkt, von dem aus wir einen genauen Überblick haben, was nun wirklich und objektiv wichtig ist. Wir bleiben uns unserer Lebensführung auch weiterhin zu einem großen Teil sicher, während wir zugleich sehen, daß alle unsere Entscheidungen und alle unsere Gewißheiten nur möglich sind, weil es uns nichts ausmacht, eine Unmenge von Erwägungen und Zweifeln von vornherein auszusondern und abzutun.
Man kann sowohl zum erkenntnistheoretischen Skeptizismus wie auch zu einem Gefühl der Absurdität auf dem Wege über die eigentlichen anfänglichen Zweifel gelangen, die sich noch ganz im Rahmen des von uns akzeptierten Indizien- und Rechtfertigungssystems halten; und man kann sie auch beide in Worte fassen, ohne damit unserer gewöhnlichen Begrifflichkeit auch nur im mindesten Gewalt anzutun. Wir können nicht nur die Frage stellen, warum wir denn glauben sollten, daß es den Boden unter unseren Füßen tatsächlich gibt, sondern auch die Frage, warum wir unseren Sinnen überhaupt trauen sollten und es werden sich solche Fragen bis zu dem Punkte spinnen lassen, wo es dann keine Antwort mehr auf sie gibt. Entsprechend können wir nicht nur fragen, warum wir eine Aspirintablette nehmen sollten, sondern auch, warum wir uns überhaupt Sorgen um unser Wohlergehen machen sollten. Allein die Tatsache, daß wir die Aspirintablette nehmen werden, ohne eine Antwort auf diese letzte Frage abzuwarten, zeigt noch nicht, daß es sich dabei um eine unwesentliche Frage handelt. Wir werden auch weiterhin daran glauben, daß es den Boden unter unseren Füßen gibt, ohne auf die Beantwortung der anderen Frage zu warten. In beiden Fällen ist es dieses grundlose, aber tief verwurzelte Vertrauen, das zu jenem skeptischen Zweifel Anlaß gibt. Deshalb kann es auch nicht dazu aufgeboten werden sie auszuräumen.
Der philosophische Skeptizismus führt nicht dazu, daß wir unsere gewöhnlichen Meinungen aufgeben, aber er versieht sie mit einem eigentümlichen Beigeschmack. Nachdem wir feststellen mußten, daß die Wahrheit dieser Meinungen in Widerspruch zu möglichen Sachverhalten steht, von denen wir nicht begründet sagen können, sie seien nicht der Fall – es sei denn, wir suchten die Gründe gerade in denjenigen Meinungen, die wir in Frage gestellt haben – nun da wir dies feststellen mußten, ist unsere Rückkehr zu den altvertrauten Überzeugungen nicht ohne einen Hauch von Ironie und Resignation. Unfähig wie wir es sind, unsere gewöhnlichen Reaktionsweisen aufzugeben, auf denen diese Überzeugungen beruhen, nehmen wir sie eben wieder auf, ganz wie ein Ehegatte, der mit jemand anderem auf und davon geht und sich dann entschließt, doch wieder zurückzukehren. Aber wir sehen sie jetzt mit ganz anderen Augen (auch wenn damit keineswegs gesagt sein soll – weder im einen noch im anderen Fall –, daß die neue Einstellung geringer zu schätzen sei als die alte).
Genau die gleiche Situation entsteht, sobald wir erst einmal das Gewicht, das wir unserem Leben – und dem menschlichen Leben überhaupt – beimessen, in Frage gestellt und ganz und gar voraussetzungslos unter die Lupe genommen haben. Wir kehren dann gleichwohl wieder zum Alltagsleben zurück, wir können ja gar nicht anders, aber von nun an ist unsere Ernsthaftigkeit mit einem Schuß Ironie versetzt. Damit will ich nicht sagen, daß uns Ironie etwa der Absurdität entrinnen läßt. Es hat keinen Zweck bei allem, was wir tun, zu murmeln: »Das Leben ist sinnlos, das Leben ist sinnlos...« Allein dadurch, daß wir uns weiterhin durch dieses Leben schlagen, zeigen wir in unserem Handeln, daß wir uns ernst nehmen – was immer wir auch sagen mögen.
Was uns so unerschütterlich an unseren Meinungen und unserem Handeln festhalten läßt, sind weder Gründe noch Rechtfertigungen, sondern es muß sich um etwas Tieferliegendes, etwas Fundamentaleres handeln – andernfalls würden wir, nachdem wir zu der Einsicht gelangt sind, daß uns die Gründe sehr schnell ausgehen, schwerlich noch so weiterleben können wie bisher.2
Würden wir versuchen, ausschließlich auf Gründe zu bauen, und nur hartnäckig genug darauf bestehen, fiele das ganze Gebäude unseres Lebens und unserer Meinungen wie ein Kartenhaus in sich zusammen – als eine Form geistiger Verwirrung, die auch wirklich eintreten kann, wenn uns die Trägheit des Vertrauens auf die Authentizität unserer Welt irgendwie abhanden gekommen ist. Verlieren wir diesen Halt, wird ihn uns die Vernunft bestimmt nicht wiedergeben können.
VI
Ist die Perspektive, aus der heraus wir uns beobachten, so abgehoben, daß ein Wesen aus Fleisch und Blut sie niemals wirklich wird einnehmen können, werden wir schließlich zu Zuschauern unseres eigenen Lebens. Als bloße Zuschauer haben wir schwerlich eine Möglichkeit einzugreifen, also leben wir eben weiter und widmen uns all den Dingen, die wir doch zu gleicher Zeit auch als bloße Kuriositäten, fremdartigen Kulthandlungen gleich, bestaunen können.
Nun wird verständlich, warum das Gefühl der Absurdität seinen natürlichen Ausdruck in den zu Beginn geschilderten schlechten Argumenten findet. Bei den Hinweisen auf unsere unerhebliche Größe und Lebensdauer und auf die Tatsache, daß die Menschheit eines Tages wahrscheinlich spurlos von der Erde verschwunden sein wird, handelt es sich lediglich um Metaphern für jenen Schritt beiseite, der es uns erlaubt, uns aus der Außenperspektive zu betrachten und die uns eigenen Lebensformen durchaus kurios und ein bißchen befremdlich zu finden. Wir tun so, als würden wir uns aus großer Distanz, wie Wesen von einem anderen Stern, in Augenschein nehmen, und zeigen so die Fähigkeit, uns völlig voraussetzungslos als kontingente, idiosynkratische und hochspezifische,Bewohner der Welt zu sehen, als eine unter zahllosen möglichen Lebensformen.
Bevor wir uns der Frage zuwenden, ob die Absurdität unseres Lebens etwas ist, das wir bedauerlich finden und dem wir, sofern das möglich ist, aus dem Weg gehen sollten, möchte ich noch etwas dazu sagen, was wir denn aufgeben müßten, wenn wir die Absurdität vermeiden wollten.
Wieso ist das Leben einer Maus nicht absurd? Natürlich,