Sogitta. Lea Dienhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lea Dienhart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960742951
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der Welt. Mal ganz ehrlich, war er bei der Flucht zu irgendetwas nütze? In diesem Augenblick konnte Rofon ja nicht ahnen, dass ihn alle Bürger Sogittas später einmal mehr als nur nötig haben würden. Rofon tauchte aus seinen Gedanken auf. „Die Sonne!“

      Tatsächlich! Im Osten konnte man blasse rötliche Streifen sehen. Es war die Sonne! Rofon vergaß seine müden Beine. Er sprang durch die Gegend und machte auf dem harten Boden Radschläge und Purzelbäume! Es war ein wunderschöner Sonnenaufgang. Die matten roten Strahlen verfärbten sich orange und gelb, und es wurden immer und immer mehr. Der Aufgang der Sonne schien nicht nur für Rofon ein Neuanfang zu sein. Hunderte kleiner Blümchen hier und da öffneten ihre Blüten und blicken gierig in das Licht der Sonnenstrahlen. Über ihren Köpfen sangen zahlreiche Vögel.

      „Essenspause!“, rief ein Kräftiger von vorne, was zur Folge hatte, dass Rofon auf ihn zulief und ihn umarmte. Verlegen schaute der Zwergenmann dem Jungen nach. „Komischer Knabe“, murmelte er kopfschüttelnd.

      Rofon hingegen war hellauf begeistert. Die Männer hatten schon bald alle Reste der Lebensmittel auf dem Boden ausgebreitet. Rofon lief zu Lilla, um sie zu wecken. Lilla war nicht die Einzige, die auf der Maus geschlafen hatte. Doch alle waren schnell wach zu kriegen, mit der Nachricht, dass es nun Essen geben würde.

      Nach dem Essen starteten die Zwerge und Zwerginnen mit neuer Zuversicht in den Tag. Jetzt sollten wieder alle wandern, damit die Maus sich ausruhen konnte.

      Lilla unterhielt sich ein bisschen mit Rofon. „Glaubst du, wir kommen noch in dieser Nacht an?“, erkundigte sie sich bei ihrem Kumpel, während die junge Zwergin mit ihren braun-roten Haaren herumspielte.

      „Weiß nicht.“ Rofon schaute Lilla nicht an. Sein Blick klebte an seinen zerlaufenen Schuhen. Hier und da hatten sie Löcher, so groß wie Pflaumenkerne.

      „Was glaubst du, wann wir ankommen?“

      „Weiß nicht. Vielleicht morgen.“ Er beobachtete jeden seiner Schritte, während er Lilla seine nicht unbedingt vielsagende Antwort gab. Als sie in Sogitta aufgebrochen waren, waren die mittlerweile vom Staub der Steppe bedeckten Schuhe noch ganz neu gewesen. Nun fühlte er sich wie ein armer Zwergenjunge ohne Geld, ohne Essen, ohne Besitz.

      Lilla merkte, dass Rofon wohl nicht die allergrößte Lust hatte, sich zu unterhalten. Sie sah, wie er zu seinen Eltern ging, die ihm liebevoll über den Kopf wuschelten. Wie gerne wäre auch sie jetzt bei ihren Eltern gewesen. Neben ihr war bloß diese Blasse Wüste soweit das Auge reichte! Nur am Wegesrand standen – aufgereiht, wie von einem Gärtner gepflanzt – gelbe, blaue, grüne, türkise, rote und rosa Blümchen.

      Die Sonne brannte den Zwergen auf die Köpfe. Schweißperlen tropften von ihren Gesichtern. Tolla pflückte Blumen, um sich einen Sonnenschutz zu flechten. Eigentlich mochte es Lilla gar nicht, anderen etwas nachzumachen, schon gar nicht, wenn diese so arrogant waren. Doch schließlich lief auch sie zu den Blumen und pflückte sich welche.

      Man muss bedenken: Das Dorf Sogitta war zwar nicht groß, aber es hatte doch mindestens hundert Einwohner. Bald hatte fast jeder von ihnen einen Sonnenschutz, nur die kräftigen Männer und ein paar kleine Jungen wollten nicht. Sie meinten, Blumenkränze seien nur etwas für Mädchen.

      Lilla dachte: „Sind sie doch selbst schuld, wenn ihnen die Sonne bald ein Loch in den Kopf brennt!“

      Es sah sehr witzig aus – wie auf einer großen Hochzeit, bei der ein ganzes Dorf eingeladen war! Die fünf kräftigen Männer gingen mit zwei Jungen ohne Kopfbedeckung ganz vorne. Dahinter folgten die 90 großen und kleinen, dünnen, dicken und kugelrunden Zwerge und Zwerginnen. Jeder mit einem Blumenkranz auf dem Kopf. Der Bürgermeister war so stolz auf seine Tochter, dass er den kräftigen Männern befahl, sie zu tragen. Jetzt sah es noch komischer aus!

      So wie es aussah, ging es aber ganz und gar nicht zu auf dem Langen Weg … Die Kräftigen beschimpften den Bürgermeister lauthals, weil er ihnen die zusätzliche Anstrengung aufgebrummt hatte, seine Tochter zu tragen!

      Lilla stimmte den Männern zu. Es war wirklich eine Frechheit, den stärksten Zwergen ihre Kraft nicht für den Weg zu gönnen. Irgendwann wurde dem Bürgermeister diese Meckerei dann doch zu viel. Er ließ seine Tochter wieder selbst gehen. Tolla war – wie nicht anders zu erwarten – danach nicht gut auf ihren Vater zu sprechen.

      „Armer Bürgermeister“, dachte Lilla. Doch wie sollte das Mädchen denn anders werden, wenn er sie dermaßen verwöhnte. Lilla suchte Rofon zwischen all den Wandernden. Ah! Da war er! Jetzt sprach er mit Krolle. Lilla beschloss kurzerhand, zu den beiden zu gehen.Die Jungen gingen etwas abseits von den anderen, Lilla sah, wie Krolle sich zu ihr umdrehte.

      „Hallo Krolle! Na, wie findest du diese Wanderung?“

      Krolle war eigentlich ein begeisterter Wandersmann. „Öde“, sagte er. „Die Sonne brennt und mein Sonnenschutz ist kaputt.“

      „Mach dir doch einen neuen“, schlug Lilla vor, merkte aber sofort, dass es dumm gewesen war, das zu sagen. Am Wegesrand standen keine Blumen mehr! Sie gingen auf einem Weg, der nur noch von Steppe umgeben war! „Nimm meinen.“ Lilla nahm ihren Kranz vom Kopf und hielt ihn Krolle entgegen.

      Dieser zögerte.

      „Nun nimm schon!“

      Schnell griff Krolle nach dem Kranz und setzte ihn auf. Seine Gesichtsfarbe verwandelte sich rötlich. Dankbar sah er Lilla an und brachte aber nur ein klägliches „Danke“ zustande.

      Lilla konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Beschämt wandte Krolle sich ab. Wie peinlich! Lilla ließ die beiden alleine. Sie mochte es nicht, wenn jemand so rot war.

      *

      3. Kapitel

      Bis zum Abend verlief alles ohne weitere Zwischenfälle. Kein Hungersausbruch, keine Verletzten.

      Mittlerweile saßen wieder ein paar Kinder auf dem Rücken der Maus. Lilla war leider schon beim letzten Mal an der Reihe gewesen. Wieder durfte Rofon in der Zeit reiten, in der sie laufen musste.

      Dieser Tag war trotz der brennenden Sonne ganz in Ordnung gewesen. Es war ein langer Tag, aber nun kam schon wieder der Sonnenuntergang. Lilla dachte an den gestrigen Abend – ungefähr um diese Zeit hatte sie die Drachenwache beendet und den Kräftigen geweckt. Dessen Name Florlep erinnerte sie immer an Ohrläppchen. Sie musste an ihren Vater denken. Sie hatte ihn früher oftmals Matscho genannt, obwohl er doch Mazzo hieß. Hoffentlich lebte er noch! Lilla bekam Herzklopfen vor Angst. Was die Drachen wohl mit ihm vorhatten?

      Lilla schaute zurück und suchte den Mäuserücken nach Rofon ab. Er hatte denselben blöden Platz erwischt wie sie gestern. Ganz hinten. Aber Rofon war wach und blickte in den unendlichen Sternenhimmel. Lilla wusste, dass Rofon und sie morgen in die Schule gekommen wären, wenn sie in Sogitta geblieben wären.

      Die Schule … Lilla hatte sich diesen Tag so sehr herbeigesehnt, und jetzt sollte er einer der schrecklichsten Tage ihres Lebens werden. Morgens hatte Lilla zwar noch gehofft, sie würden noch am gleichen Abend in Fulmen ankommen, aber mittlerweile nahm sie an, dass es noch ewig dauern konnte. Lilla hatte längst jegliche Lust am Weitergehen verloren. So stark und groß sie sich am Vortag gefühlt hatte, so klein und hilflos kam sich die junge Zwergin im Moment vor.

      „Ich werde nicht fliehen, ich werde kämpfen!“, das hatte sie sich doch vor 24 Stunden vorgenommen. „Ich werde nicht fliehen. Nicht ich! Nicht, solange ich Arme und Beine hab und solange mir das Leben meiner Eltern etwas wert ist!“ Wie hatte sie nur so unendlich dumm sein können, ging es Lilla durch den Kopf. „Wie hatte ich denn auch glauben können, heute würde alles wieder gut sein?“ Heute würden sie ankommen und das Leben auf dem Sofa gemeinsam mit drei Tassen Kakao und buntem Streuselkuchen genießen können! Wie hatte sie sich denn bloß so sicher sein können, ihre Eltern würden leben, sie würde sie eines Tages retten können. Sie, Lilla, würde die Drachen besiegen, egal, wie viele es waren.

      Heute aber war alles so anders. Lilla fühlte sich trostlos. Aus dem Augenwinkel