Sogitta. Lea Dienhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lea Dienhart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960742951
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Leise! ... Ich darf nicht schlafen. Ich bin zwergenmüde! Aber ich muss Drachenwache halten.“

      „Lass mich wachen, du kannst schlafen!“

      „Pssssst! Ich weiß nicht. Du bist ein Kind. Ich bin ein kräftiger Mann.“

      „Ruh dich aus, dann kannst du auch Kinder tragen, wenn wir weitergehen! Wann gehen wir eigentlich weiter?“

      „Die anderen haben gesagt, ich soll sie wecken, wenn die Sonne schon fast untergegangen ist. Pass auf! Halte du Wache! Wenn die Abenddämmerung beginnt, musst du mich wecken! Aber pass wirklich gut auf, sonst könnte es das Ende für uns alle sein!“

      „Okay. Gute Nacht!“ Lilla war beeindruckt, dass ein so kräftiger Mann ihr vertraute. Sie setzte sich auf den Boden und betrachtete den Himmel. Irgendwie war es schön, die Verantwortung für ein ganzes Dorf zu tragen, aber irgendwie war es auch unheimlich. Lilla hatte immer gedacht, es gäbe keine Drachen. Früher hatte Papa ihr des Öfteren Geschichten über diese großen Ungeheuer erzählt. Lilla schluckte, als sie an Mazzo dachte. Sie hatte bislang geglaubt, er habe nur Spaß gemacht – jetzt aber wusste sie, dass sie sich wohl geirrt hatte.

      Der Himmel war klar. Keine Wolke war zu sehen. Lilla schaute sich um. Hinter sich sah sie das Ende des Waldes, der zu Sogitta gehörte. Sie schauderte. Ein kalter Luftzug strich über ihre Beine. Einen kalten Luftzug an einem heißen Tag zu spüren, wenn man auf der Flucht ist und alle um einen herum schlafen, ist gruseliger als es sich anhört. Vor allen Dingen wenn ...

      „Aaah!“ Lilla zuckte zusammen. Etwas hatte sie am Arm berührt! „Mensch Rofon! Du hast mich total erschreckt! Warum schläfst du nicht?“

      „Du schläfst ja auch nicht!“

      „Ich halte Drachenwache.“

      „Darf ich nicht mit dir zusammen wachen?“

      Lilla seufzte. Sie fühlte sich außerordentlich erwachsen. Ohne Eltern, weit entfernt von Sogitta ein fliehendes Dorf vor Drachen zu beschützen – das machte man schließlich nicht alle Tage. „Setz dich“, sagte sie so erwachsen, wie es der Papa immer tat, wenn ein Kollege kam.

      „Es tut mir furchtbar leid für dich … die Sache mit Mazzo. Ich kann mir denken, wie du dich fühlst.“

      „Nein!“

      „Wie nein?“

      „Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich fühle!“ Lilla wendete sich von Rofons Blick ab und schaute in den Himmel. „Keiner kann das!“

      Da seufzte Rofon. „Du hast recht. Keiner kann das.“

      Lilla merkte, dass Rofon weinte. Ihr war klar, dass es auch für ihn sehr schwer gewesen sein musste, sich von seiner Heimat zu trennen. Lilla bereute es, so grob mit ihm umgegangen zu sein. „Tut mir leid“, sagte sie und legte ihm den Arm um die Schultern, „ehrlich.“ Rofon blickte auf und hatte ein ganz verweintes Gesicht.

      Ein trauriger Anblick war das! Überall schlafende, eng zusammen gepferchte Zwerge auf Mäusen oder auf dem heißen, sandigen Boden – und mittendrin zwei kleine weinende Zwergenkinder, die sich gegenseitig Mut machten. Was war das für ein trauriger Anblick!

      Die Stunden vergingen kriechend langsam! Aber kein Drache ließ sich blicken. Das war Lilla auch ganz recht so. Neben ihr war Rofon erneut eingeschlafen, er hatte sich zusammengerollt wie eine Katze, nur war er viel kleiner.

      Lilla dachte an ihre Mutter. Lilla dachte an ihren Vater. Lilla weinte, immer mehr! Sie nahm sich fest vor, die Drachen alle zu bekämpfen, sobald sie kamen! Sie wollte nicht mehr fliehen. Fliehen! Aus der eigenen Heimat! Nein. Doch nicht sie! Sie würde kämpfen, bis es nicht mehr ging, kämpfen, bis es keine Drachen mehr gab! Alles wollte sie tun! Alles – nur nicht fliehen!

      Lilla wischte sich die Tränen mit einem Rockzipfel aus dem Gesicht. Sie musste sich beruhigen. Es war anstrengend sich aufzuregen, und sie durfte keine Kraft vergeuden. Denn Kraft brauchte ein Zwergenkind auf jeden Fall, wenn es sich ohne Eltern auf den Weg zu einem neuen Zuhause machte. Eine Menge Kraft! Kraft und Mut.

      Langsam wurde es dunkler auf dem Langen Weg. Die Sonne musste zu Bett gehen. Während Lilla das dachte, lächelte sie ein bisschen. Es war albern sich vorzustellen, wie der Mond der Sonne befiehlt, sich schlafen zu legen. Aber es tat gut.

      Lilla weckte Rofon. „Rofon! Aufwachen! Wir müssen weiter!“ Sie lief zu dem eigentlichen Drachenwächter und weckte auch ihn auf. Lilla fiel jetzt erst ein, dass es von den Bürgern doch eine schlechte Idee gewesen war, nachts zu laufen. Dann war es doch ganz dunkel! Aber immerhin war es der Entschluss vieler Zwerge, die sich bestimmt etwas dabei gedacht hatten.

      Es dauerte nicht lange, bis der Kräftige alle aufgeweckt hatte. Er half Lilla, Rofon und den anderen Zwergenkindern auf die Maus, dann ging es auch schon weiter.

      Lilla war sehr müde, genau wie während der ersten Etappe, aber dieses Mal schlief sie nicht. Sie fühlte sich wesentlich besser als am Tag zuvor. Schön kühl war es, anders als tagsüber. Das spürte man schon deutlich, obwohl die Sonne ja noch gar nicht ganz untergegangen war. Lilla drehte sich um. Das lächelnde Gesicht von Rofon gab ihr neue Hoffnung. Genauso hatte er gelächelt, als sie sich das erste Mal gesehen hatten. Da waren beide noch kleine Zwergenbabys gewesen. Wie groß sie jetzt schon waren! Lilla war beeindruckt. Damals hätte sie niemals gegen einen Drachen gekämpft. Damals hatte sie mit ihrem Teddy gekämpft und Rofon hatte zugeguckt. „Toll max tu tas!“, hatte er immer gesagt und gelacht. Und sie hatte immer geantwortet: „I kämpema gege di großte Drakse von der Welt!“ Sie waren immer schon sehr gute Freunde gewesen. Und jetzt kämpften sie nicht mehr nur gegen Teddys, jetzt kämpften sie tatsächlich gegen die Angreifer von Sogitta! Gegen echte, große, starke Drachen!

      Lilla aber vermisste die unbeschwerte Zeit sehr, in der sie sich um nichts hatte kümmern müssen. Sie dachte daran, dass sie und Rofon dieses Jahr noch eingeschult werden sollten. Und jetzt? Würden sie im Nachbardorf die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen? Lilla kam sich wirklich schon etwas zu groß für den Kindergarten. Obwohl man üblicherweise, und so auch in Sogitta, in Zwergendörfern das letzte Jahr Kindergarten zum Lesen und Schreiben lernen nutzte. Wieder musste sie an Rofon denken und es fiel ihr schwer, den Blick von ihm abzuwenden. Aber dennoch tat sie es.

      Man sah immer noch die letzten Strahlen der Sonne. Lilla wollte nicht schlafen. Sie dachte daran, wie sie zu Hause immer gebettelt hatte, länger aufbleiben zu dürfen. Sie spürte die Schweißperlen der Maus in ihren zitternden Händen. Sie spürte die Steine, die sich durch die Pfoten des Tieres bohrten. Wie schwer es für diese kleinen Wesen sein musste, von einem Tag auf den anderen ein Reittier zu werden! Eigentlich mochte Lilla Mäuse nicht besonders. Doch an diesem Abend hatte sie Mitleid mit den Tieren.

      Vor sich sah sie das Licht der Fackeln, welche die kräftigen Männer in ihren Händen trugen. Rechts und links konnte man schemenhaft die Umrisse der Blassen Steppe erkennen. Der Steppe, die Sogitta vom Nachbardorf Fulmen trennte.

      Irgendwann meinte Lilla, Rufe gehört zu haben. Ihr fielen fast die Augen zu, nur mit großer Mühe konnte sie es verhindern. Plötzlich fiel ihr auf, dass sich etwas verändert hatte ... doch sie wusste nicht, was. Hinter ihr saß Rofon und zählte die Steine, über die die Maus lief. Und jetzt auf einmal wusste Lilla, was hier falsch war!

      „HAAAALT!“, schrie sie aus voller Kehle, „AAANHAAALTEEN!“

      Es war die Maus! Natürlich!

      Die Rufe! Lilla hatte sich nichts eingebildet. Es war eindeutig! Die Maus, die hätte hinter ihnen sein sollen, war nicht hinter ihnen! Es war kein Getrampel war mehr zu hören!

      „STOOPP! SO HALTET DOCH AAN!“

      Als keine Reaktion kam, sprang Lilla ab. Ja! Sie sprang von einer laufenden Maus ab! Was wohl Agiza gesagt hätte, wenn sie das gesehen hätte! So schnell ihre kleinen Zwergenbeine sie trugen, lief sie nach vorne zu den kräftigen Männern. „So wartet doch!“, schrie sie. „Wir haben die Maus verloren! Die zweite Maus ist nicht mehr hinter uns!“

      Endlich