»Herzliebste sind wohl nicht vorhanden?«
»Meinen Sie Kuchenherzen, Mr. Barkis?« Ich wußte nicht gleich, was er meinte, und glaubte, er machte eine nicht mißzuverstehende Anspielung auf meine Kuchen, um noch einen davon abzubekommen.
»Ne, ne, Herzliebste«, sagte Mr. Barkis. »Ich frage, es geht keine Mannsperson mit ihr?«
»Mit Peggotty?«
»Hm!« sagte er. »Mit der.«
»Ach nein, sie hat nie einen Liebsten gehabt.«
»Wirklich nicht!« sagte Mr. Barkis.
Wieder spitzte er den Mund zum Pfeifen und pfiff doch nicht, sondern sah nach den Ohren des Pferdes.
Endlich sagte Mr. Barkis nach einer langen Pause des Nachdenkens: »Sie macht also die Apfeltorten alle selbst und besorgt die ganze Küche?«
Ich antwortete bestätigend. ,
»Nun, dann will ich Euch was sagen«, schmunzelte Mr. Barkis, »Vielleicht schreibt Ihr mal an sie.«
»Ich schreibe jedenfalls an sie«, entgegnete ich.
»Hm!« sagte er und wendete langsam die Augen auf mich. »Nun, wenn Ihr an sie schreibt, vergeßt nicht, ihr zu bestellen, daß Barkis willens wäre; wollt Ihr so gut sein?«
»Daß Barkis willens wäre«, wiederholte ich unschuldig, »Ist das die ganze Bestellung?« »Ja, na«, sagte er bedächtig. »Ja – na, Barkis ist Willens.«
»Aber Ihr seid ja morgen selbst schon wieder in Blunderstone,« sagte ich, und fühlte mich etwas beunruhigt von dem Gedanken, daß ich um diese Zeit so weit davon entfernt sein würde, »und da könntet Ihr es ja selbst viel besser ausrichten.«
Er wies jedoch diesen Vorschlag mit einem Kopfschütteln weit von sich und wiederholte seinen ersten Wunsch mit tiefstem Ernste, indem er noch einmal sehr feierlich sagte: »Barkis ist willens, das ist die Bestellung.« Ich übernahm also gern den Auftrag und nachmittags, während wir in dem Gasthofe in Yarmouth auf die Landkutsche warteten, ließ ich mir einen Bogen Papier und ein Tintenfaß bringen, und schrieb folgenden Brief an Peggotty: »Meine liebe Peggotty! Ich bin glücklich hier angekommen. Barkis ist willens. Zärtlichsten Gruß an die liebe Mama. Freundlichst Dein Davy. Nachschrift: Er trägt mir noch besonders auf, Dir zu sagen – Barkis ist willens!«
Als ich diesen Zukunftsauftrag übernommen hatte, verfiel Mr. Barkis wieder in sein voriges absolutes Schweigen, und ich, ganz erschöpft von den letzten Ereignissen, legte mich auf einen Sack im Wagen und schlief ein. Ich schlief gesund, bis wir in Yarmouth eintrafen, das mir von dem Gasthofe aus, in den wir einfuhren, von einer so neuen und seltsamen Seite vorkam, daß ich sofort die stille Hoffnung aufgab, hier jemand von Mr. Peggottys Familie oder vielleicht gar die kleine Emilie zu treffen,
Die Postkutsche stand schmuck und funkelnd im Hofe, aber Pferde waren noch nicht vorgespannt, und sie sah in diesem Zustande gar nicht danach aus, als wenn sie London je erreichen würde. Ich dachte darüber nach und fragte mich, was wohl aus meinem Koffer werden würde, den Mr. Barkis auf den Boden neben den Türpfosten gesetzt hatte (denn er war des Umwendens halber auf den Hof hinaufgefahren), und dachte was aus mir würde, als eine Frau aus einem großen Fenster, vor dem ein paar Stück Geflügel und mehrere große Stücke Fleisch hingen, heraussah und sagte:
»Ist das der junge Herr aus Blunderstone?«
»Ja, Ma'm«, gab ich zur Antwort. -
»Wie ist der Name?« fragte die Frau.
»Copperfield, Ma'm«, sagte ich.
»Stimmt nicht«, sagte die Dame. »Auf diesen Namen ist hier kein Mittagessen bezahlt.« »Vielleicht dann für Murdstone?« sagte ich.
»Wenn du Murdstone heißt,« sagte die Frau, »warum sagst du da zuerst einen andern Namen?«
Ich erklärte der Frau den Sachverhalt und sie klingelte und rief: »William! führe den jungen Herrn ins Frühstückszimmer«; worauf ein Kellner aus einer Küche am andern Ende des Hofes herbeigerannt kam, und ganz erstaunt zu sein schien, als er nur mich vorfand.
Ich kam in ein langgestrecktes und weites Zimmer, in dem einige große Landkarten hingen; doch zweifle ich, daß ich mir noch fremder und verlassener hätte vorkommen können, wenn die Karten wirklich die fremden Länder gewesen wären, die sie vorstellten, und wenn ich mitten in sie hineingesetzt worden wäre. Ich kam mir wahrhaftig schon sehr dreist vor, als ich mich scheu mit der Mütze in der Hand auf die Ecke des Stuhles setzte, der am nächsten an der Tür stand. Und als der Kellner nun gar einen Tisch für mich deckte und eine Menge darauf setzte, mußte ich ganz rot vor Bescheidenheit geworden sein.
Er brachte mir einige Koteletts und Gemüse, und nahm die Deckel in so heftiger Weise von den Schüsseln ab, daß ich glaubte, ich hätte ihn mit irgend etwas verletzt oder geärgert. Aber ich beruhigte mich wieder, als er einen Stuhl für mich an den Tisch setzte und sehr herablassend sagte: »Nun, Dreikäsehoch! immer Platz genommen!«
Ich dankte ihm und setzte mich an den Tisch, fand es aber sehr schwer, Messer und Gabel nur mit einiger Gewandtheit zu handhaben und mich nicht mit der Brühe zu bespritzen, weil er mir gegenüberstand und kein Auge von mir abließ, und mich immer erröten machte, wenn ich seinen Blicken begegnete. Als ich mit dem zweiten Hammelkotelett angefangen hatte, sagte er:
»Es ist auch ein halbes Maß Ale für Sie bestellt, junger Herr. Wollen Sie es jetzt?«
Ich dankte ihm und sagte ja, worauf er das Bier aus einem Kruge in ein großes Glas goß und es gegen das Licht hielt.
»Strafe mich Gott!« sagte er. »Es ist viel Zeug, nicht wahr?« »Es ist viel Zeug«, antwortete ich mit einem Lächeln, denn es machte mir ordentlich Spaß, ihn so freundlich zu finden. Es war ein Mann mit kleinen lustigen Augen, er hatte rote Pusteln im Gesicht, und das kurze Haar stand borstig in die Höhe; und wie er so dastand, den Arm in die Seite gestemmt, und mit der andern Hand das Glas gegen das Licht hielt, sah er ganz gemütlich aus.
»Gestern war ein Herr hier,« fing er an–»namens Purzler – ein dicker Herr, vielleicht kennen Sie ihn?«
»Nein – ich glaube nicht« – meinte ich.
»Kurze Hosen und Gamaschen, breitkrempigen Hut, grauen Überrock, gesprenkelten wollenen Schal«, fuhr der Kellner zu beschreiben fort.
»Nein,« erwiderte ich bescheiden, »ich habe wirklich nicht das Vergnügen.«
»Ja, also, der kehrte hier ein,« sagte der Kellner, und sah immer noch durch das Bierglas nach dem Fenster – »bestellte ein Glas von diesem Ale – bestand darauf – ich riet ihm noch ab – aber er trinkt es aus und fällt tot nieder. – War zu alt für ihn. Es sollte nicht verschenkt werden; das ist die Sache.«
Der traurige Vorfall machte mich ganz betroffen, und ich meinte, ich würde dann doch ein Glas Wasser vorziehen.
»Ja, sehen Sie,« sagte der Kellner, der immer noch mit dem einen Auge – das andere hatte er zugekniffen, – das Bier anblinzelte, »unsere Herrschaft sieht es nicht gern, wenn etwas bestellt wird und stehen bleibt. Nehmen's übel. Aber ich will's trinken, wenn Sie's erlauben, ich bin daran gewöhnt und Gewohnheit ist alles. Ich glaube nicht, daß es mir schadet, wenn ich den Kopf zurücklege und es rasch hinuntergieße. Soll ich?«
Ich erwiderte ihm, er würde mich sehr verpflichten, wenn er es tränke, falls er wirklich meine, daß es ihm nicht schade,